Israel droht die politische Starre
Die Nachfolge an der Regierungsspitze ist völlig offen / Der Friedensprozess liegt auf Eis
Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *
Israels Premierminister Ehud Olmert gibt auf -- sein Amt und damit auch
den Friedensprozess mit den Palästinensern. Denn bis eine neue Regierung
gebildet ist oder Neuwahlen stattgefunden haben, wird in der Politik
kaum noch etwas passieren.
Es ist inzwischen Routine: Am Freitagmorgen fuhren erneut weiße
Mittelklasse-Wagen mit den roten Nummernschildern der Polizei vor der
Residenz von Premierminister Ehud Olmert vor. Die Beamten befragen
Olmert zu mittlerweile sechs Korruptionsaffären, die seine Amtszeit
praktisch seit deren Beginn im Frühjahr 2006 belasten. Es war bereits
das vierte Mal, dass die Korruptionsermittler den Regierungschef
vernahmen. Und die Ergebnisse dieser Befragung, heißt es aus dem Büro
der Generalstaatsanwaltschaft, würden wohl darüber entscheiden, ob
Anklage erhoben werden wird.
Aber ganz gleich, wie die Entscheidung ausfallen wird: Israelischer
Premierminister wird Ehud Olmert dann wohl nicht mehr sein. Mitte
vergangener Woche kündigte er an, er werde bei der Vorstandswahl seiner
Kadima-Partei am 17. September nicht wieder für den Vorsitz kandidieren
und als Regierungschef zurücktreten, sobald sein Nachfolger gewählt ist.
Er wolle sich nun voll und ganz darauf konzentrieren, sich gegen die
Korruptionsvorwürfe zu wehren, sagte er zur Begründung.
Die Rechnung wird nicht aufgehen
Olmert wolle es wohl so machen wie einst Tony Blair in Großbritannien
und zurücktreten, so lange es noch mit erhobenem Haupte geht,
kommentierte die Zeitung »Haaretz« und erklärte auch gleich, warum diese
Rechnung nicht aufgehen wird: Olmerts Name sei, Anklage oder nicht,
beschmutzt. Der israelische Premier sei keinesfalls beliebt wie einst
Blair, und er habe nicht einmal ansatzweise etwas vorzuweisen, was das
Etikett »Erfolg« tragen könnte. Mit dem Tag seines Rücktritts drohe dem
Land ein möglicherweise monatelanges politisches Chaos. Denn anders als
in Großbritannien wird es keinen geordneten Übergang durch Neuwahlen
geben -- ganz im Gegenteil.
Vermutlich werden der oder die neue Vorsitzende Kadimas, mit 29 von 120
Abgeordneten die größte Fraktion im Parlament, und Benjamin Netanjahu,
Chef des mit zwölf Sitzen recht mageren rechtskonservativen
Likud-Blocks, Präsident Schimon Peres um den Auftrag zur
Regierungsbildung bitten. Ihre Erfolgsaussichten sind unklar, denn die
Knesseth ist stark zersplittert, vor allem die Kleinparteien stellen für
die Teilnahme an einer neuen Regierung Bedingungen, die den
Staatshaushalt stark belasten würden. Wer immer eine neue Regierung
bilden wird -- er wird dies auch und vor allem mit Blick darauf tun,
welcher mögliche Partner am »billigsten« sein wird.
Dafür stehen ab dem Zeitpunkt des Rücktritts des Premierministers
insgesamt 42 Tage zur Verfügung. Hat die Knesseth bis dahin keinen neuen
Regierungschef gewählt, muss der Präsident Neuwahlen anordnen.
Theoretisch könnte dann eine Mehrheit der Parlamentarier den Präsidenten
auffordern, ein namentlich genanntes Knesseth-Mitglied damit zu
beauftragen, innerhalb von 21 Tagen eine Regierung zu bilden. Aber dies
ist angesichts der Zersplitterung des Parlaments in zwölf Fraktionen
wirklich reine Theorie.
Wahrscheinlicher ist (wenn der Versuch der Regierungsumbildung nicht
gelingt), dass Präsident Peres irgendwann Anfang November die Wähler für
den letzten Dienstag vor dem Ablauf von 90 Tagen an die Urnen rufen
wird, das wäre Ende Januar oder Anfang Februar 2009.
Netanjahu steht in den Startlöchern
Olmert wird während dieser Zeit als Übergangspremier im Amt bleiben,
aber viel wird er nicht tun können. Vor allem der Friedens-prozess mit
den Palästinensern, dessen Abschluss bis Anfang 2009 bei der
Nahost-Konferenz in Annapolis im vergangenen November wortreich
versprochen worden war, wird Monate auf Eis liegen, denn die
Palästinensische Autonomiebehörde hat bereits kurz nach Olmerts
Bekanntmachung erklärt, dass man in weiteren Gesprächen keinen Sinn mehr
sieht. Olmert besitze keine Entscheidungsbefugnis mehr.
Ob der Prozess in absehbarer Zeit überhaupt wieder in Fahrt kommt, hängt
ohnehin davon ab, wer der nächste Premierminister wird. Misslingt dem
oder der Neuen an der Kadima-Spitze die Regierungsbildung und kommt es
zu Neuwahlen, haben Netanjahu und sein Likud-Block den Umfragen zufolge
die besten Chancen, stärkste Parlamentsfraktion zu werden -- und dort
steht man Zugeständnissen an die Palästinenser mehr als kritisch gegenüber.
Ob Likud letzten Endes wirklich gewinnen wird, ist jedoch ebenfalls
nicht sicher. Dies hängt davon ab, ob der nahezu bankrotte Block
überhaupt die finanziellen Mittel für einen aufwändigen Wahlkampf hat.
Und: Netanjahu hat zwar keine Korruptionsaffäre am Hals, sich und seiner
Familie aber in den vergangenen Jahren mehrmals Luxusreisen von
pro-israelischen Organisationen bezahlen lassen.
Kadimas Bewerber
In parteiinternen Wahlen will die Kadima-Partei am 17. September einen
Nachfolger ihres Vorsitzenden Ehud Olmert bestimmen. Die wichtigsten
Kandidaten:
Zipi Livni: Israels Außenministerin ist Olmerts schärfste Rivalin
in der Partei. Die 50- jährige ehemalige Agentin des
Auslandsgeheimdienstes Mossad führte in den vergangenen Monaten die
Friedensverhandlungen mit den Palästinensern. Sie gilt als gemäßigt und
geradlinig.
Schaul Mofas: Israels Vizepremier und Transportminister hat eine
lange Karriere als Militär hinter sich. 1948 in Iran geboren, gilt der
ehemalige Generalstabschef und Verteidigungsminister als Rechtsaußen
innerhalb der Kadima-Partei. Zuletzt drohte er Iran offen mit einem
Militärschlag.
Avi Dichter: Der Polizeiminister war früher Chef des
Inlandsgeheimdienstes Schin Bet. 55 Jahre alt und Sohn von
Holocaust-Überlebenden, gilt er ebenfalls als sehr
»sicherheitsorientiert«. Er kann Großbritannien nicht besuchen, weil er
juristische Schritte wegen seiner Rolle bei der Bombardierung eines
Wohnviertels in Gaza 2002 befürchten muss, bei dem Zivilisten starben.
Meir Schitrit: Der Innenminister wanderte als 10-Jähriger mit
seiner Familie aus Marokko nach Israel ein. Heute 59-jährig, gilt der
Doktor der Politikwissenschaften als gemäßigt, aber wenig einflussreich.
* Aus: Neues Deutschland, 4. August 2008
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