Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Alltäglicher Terror

Israel zerstört im Westjordanland die Lebensgrundlagen der Palästinenser

Von Karin Leukefeld *

Im von Israel besetzten Westjordanland haben israelische Soldaten in der jüdischen Siedlung Barkan am Donnerstag (22. Juli) einen Palästinenser erschossen, ein weiterer Mann sei geflohen, heißt es nach Angaben einer Armeesprecherin. Weil sie auf Warnungen nicht reagiert hätten, sei das Feuer eröffnet worden. Soldaten sind nach Angaben der Armeesprecherin in der Siedlung stationiert, um Einbrüche zu verhindern.

Obwohl ein Moratorium für den Bau weiterer israelischer Siedlungen im Westjordanland erst Ende September ausläuft, hat der israelische Vizeregierungschef und Innenminister Eliyahu Yishai am Donnerstag an einer Grundsteinlegung teilgenommen. In einem Industriegebiet südlich von Hebron soll ein Verwaltungsgebäude gebaut werden, das für 15 jüdische Siedlungen mit rund 4500 Bewohnern zuständig sein soll. Öffentliche Gebäude wie Schulen, Krankenhäuser und Synagogen sind von dem Bau­stopp ausgenommen.

Derweil werden palästinensische Wohnungen und Infrastruktur im Westjordanland von Israel weiter zerstört. Anfang der Woche hatte das israelische Militär in den Dörfern Hmayyir und Ein Ghazal im Jordantal 74 Gebäude eingerissen, darunter Wohnungen und Wohnzelte, Koch- und Waschhäuser sowie Ställe. Ebenfalls vernichtet wurden Wassertanks, Weizenvorräte und Viehfutter. 107 Menschen wurden vertrieben, darunter 52 Kinder. Seit Anfang des Jahres wurden nach Angaben der Vereinten Nationen mindestens 198 palästinensische Gebäude im West­jordanland zerstört und 300 Menschen vertrieben. Nach Angaben der israelischen Tageszeitung Haaretz will die Regierung mit den Zerstörungen gegen »illegale« Baumaßnahmen im Gebiet C vorgehen, das rund 60 Prozent der Westbank umfaßt. Israel übt dort die zivile und militärische Kontrolle aus, die rund 150000 Palästinenser, die dort leben, werden mit einer Fülle von Einschränkungen drangsaliert. Bauen dürfen sie so gut wie nicht, gegen die Vertreibungen und Zerstörungen haben sie juristisch kaum eine Handhabe, zumal wenn Israel die Gebiete kurzerhand zur »militärischen Sperrzone« erklärt.

Das Jordantal, nicht zuletzt wegen seines Wasserreichtums die Kornkammer der Region, wurde von Israel 1967 besetzt und fast vollständig zur »militärischen Sperrzone« erklärt. Es ist durch fünf feste israelische Kontrollposten abgesperrt, die nachts geschlossen bleiben. Palästinenser gelangen nur hindurch, wenn sie im Jordantal ihren Wohnsitz haben oder älter als 30 Jahre sind. Gleichzeitig beuten israelische Unternehmen wie der Nahrungsmittelkonzern Agrexco mit Produktmarken wie Carmel, Carmel Bio Top, Jaffa und Ecofresh das Jordantal rücksichtslos aus. So werden die palästinensischen Bauern beispielsweise gezwungen, ihre Produkte den Siedlern gegen Bezahlung zu überlassen, damit diese die Kontrollposten passieren, verpackt und exportiert werden können. Teilweise erhalten die Produkte sogar den Vermerk »Made in Israel«.

* Aus: junge Welt, 23. Juli 2010


Dokumentiert: Interview mit Hamas-Minister

"Europa kann in Palästina eine tragende Rolle spielen"

Die EU muß sich klar zugunsten eines Endes der Belagerung des Gazastreifens positionieren. Ein Gespräch mit Mahmud Al-Zahar **

Mahmud al-Zahar (65) ist Mitbegründer und Führungsmitglied der Hamas sowie Außenminister der Gaza-Regierung.

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton hat am 18. Juli den Gazastreifen besucht, wollte sich aber nicht mit Spitzenvertretern der Hamas treffen. Was sagen Sie dazu?

Wir werden das noch diskutieren. Aber Lady Ashton hat mit den Menschen in Gaza gesprochen, und von denen ist die Hamas ein Teil. Wenn wir Aliens wären oder irgendein Fremdkörper, würden wir seit langem hinweggefegt worden sein.

Es ist dem israelischen Staatsterrorismus weder gelungen, den palästinensischen Widerstand noch die Hamas in die Knie zu zwingen. Das ist eine faktische Tatsache, der auch Lady Ashton Rechnung tragen muß. Und mit ihr zusammen Europa.

Ist das eine Drohung?

Ganz im Gegenteil. Das ist eine Öffnung. Europa kann in Palästina eine tragende Rolle spielen, vorausgesetzt, daß es in der Praxis unter Beweis stellt, daß es die Besatzer- und Annexionspolitik Israels nicht unterstützt. Eine dieser Taten ist eine klare Stellungnahme zugunsten eines Endes der Belagerung des Gazastreifens samt entsprechender Aktivitäten.

Dies, das möchte ich unterstreichen, ist ein politisches und kein humanitäres Problem. Die Palästinenser reklamieren ihr Recht auf Widerstand und verlangen die Einhaltung der Genfer Konvention sowie jenes internationalen Rechts, das Israel immer wieder gebrochen hat. Die Palästinenser bitten nicht um Barmherzigkeit.

Ist die »Intifada des Meeres« mit internationalen Hilfsschiffen beendet?

Keineswegs. Ich weiß sicher, daß acht Schiffe bereitstehen, auch während des Fastenmonats Ramadan (der dieses Jahr am 11.August beginnt; Anm. d. Red.) vom Persischen Golf aus in See zu stechen.

Es gibt Leute, die behaupten, daß Ägypten die Durchquerung des Suezkanals verhindern könnte ...

Ich glaube wirklich nicht, daß Ägypten jemals in der Lage wäre, diese internationale Kampagne zu stoppen.

Dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad wird vorgeworfen, er habe mehrfach die Beseitigung Israels beschworen. Und die Hamas?

Ahmadinedschad bezieht sich dabei auf die Niederlage des zionistischen Regimes als Vorrausetzung für die Verwirklichung der Rechte des palästinensischen Volkes. Ein Regime zu besiegen, das kontinuierlich und straflos ein Volk unterdrückt, ist nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht des palästinensischen Widerstandes. Die Religion hat mit diesem Diskurs nichts zu tun. Israel ist nicht deshalb unser Feind, weil es der Staat der Juden ist, sondern weil es jeden Tag unsere Rechte mit Füßen tritt und sich weiterhin unser Land aneignet.

Der Präsident der Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, hat die Tür zum Dialog mit der Hamas nicht geschlossen. Und Sie?

Wir sind zum Dialog bereit, allerdings ohne Vorbedingungen und unter Respektierung des vom palästinensischen Volk bei den Parlamentswahlen im Januar 2006 frei zum Ausdruck gebrachten Willens. Dieses Votum und nicht die Waffen haben den Sieg der Hamas bestätigt. Und um beim Thema zu bleiben: Warum fordert der demokratische Westen Abbas nicht dazu auf, endlich die Präsidentschaftswahlen anzusetzen? Welche Legitimation kann ein Präsident haben, dessen Mandat seit 17 Monaten abgelaufen ist?

Sie sprechen von Freiheit, doch die Hamas hält seit mehr als vier Jahren den israelischen Soldaten Gilad Schalit gefangen ...

Und Israel hält seit sehr viel längerer Zeit über zehntausend Palästinenser gefangen. Wollen Sie die Wahrheit wissen?

Wie lautet Ihre Wahrheit?

Nun, es war Israel, das sich aus den Verhandlungen zurückgezogen hat, und es war der Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der das erreichte Abkommen annullierte. Der deutsche Vermittler weiß das sehr genau. Fragen Sie ihn, wie die Dinge gelaufen sind. An unserer Forderung hat sich nichts geändert (die Freilassung von eintausend inhaftierten Palästinensern; Anm. d. Red.). Wenn Israel sie akzeptiert, wird Schalits Gefangenschaft keinen weiteren Tag dauern.

Ist die Hamas von US-Präsident Barack Obama enttäuscht?

Enttäuscht sind nur jene, die sich falschen Erwartungen hingegeben haben. Wir gehören nicht dazu. Obama ist ein guter Redner, aber mit ihm hat sich in Palästina nichts geändert.

Interview: Umberto De Giovannangeli

Das Interview erschien zuerst in der italienischen Tageszeitung l’Unità. Übersetzung: Andreas Schuchardt

Quelle: junge Welt, 23. Juli 2010




Zurück zur Israel-Seite

Zur Palästina-Seite

Zur Gaza-Seite

Zurück zur Homepage