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Mauer des Schweigens durchbrochen

Israels Regierung verhinderte über Monate Berichterstattung über Verfahren gegen zwei Journalisten

Von Mel Frykberg, Ramallah (IPS) *

Zum ersten Mal nach mehreren Monaten verordneten Schweigens durften israelische Medien am Donnerstag über den Fall der Journalistin Anat Kam und ihres Kollegen Uri Blau informieren, nachdem das israelische Verteidigungsministerium ein Verbot der Berichterstattung aufgehoben hatte. Die 23jährige Kam, eine Mitarbeiterin des Internetportals Walla, wurde im vergangenen Dezember festgenommen und später unter Hausarrest gestellt, nachdem sie angeblich während ihres Armeedienstes geheime Militärdokumente kopiert hatte. Diese Papiere belegten die gezielte Exekution von drei palästinensischen Politikern und Kämpfern. Im Nachhinein waren diese Morde als unglückliche Wendung beim Versuch einer Festnahme dargestellt worden. Uri Blau von der Tageszeitung Haaretz schrieb im Anschluß einen Bericht über die entwendeten Dokumente. Er weigert sich nun, Großbritannien zu verlassen und nach Israel zurückzukehren, weil er befürchten muß, vom israelischen Geheimdienst Shin Bet abgefangen zu werden.

Monatelang hatte das Militär diese Informationen unter Verschluß gehalten und israelischen Journalisten verboten, darüber zu berichten. Die versuchten nun, ihr Recht auf Meinungsfreiheit per Gericht zu erstreiten und gaben außerdem ihre Informationen an Kollegen im Ausland weiter. Die israelische Tageszeitung Yedioth Ahronoth provozierte die Zensurbehörde, indem sie eine Liste ausländischer Medien abdruckte, bei denen sich die Leser über den Fall informieren konnten. Außerdem übernahm sie einen Artikel der US-Journalistin Judith Miller von deren Website »The Daily Beast«, schwärzte allerdings alle relevanten Textstellen, um so auf den Maulkorb hinzuweisen.

Nach Erkenntnissen des Palästinensischen Menschenrechtszentrums PCHR im Gazastreifen ist die Zahl der extralegalen Hinrichtungen von Palästinensern durch das israelische Militär weit höher als bislang bekannt. Von September 2000 bis März 2008 sollen 500 Menschen getötet worden sein, denen Widerstand gegen die Besatzungsmacht vorgeworfen wurde. Das israelische Militär habe den Tod von 228 Unschuldigen, darunter 77 Kindern, als »Kollateralschaden« in Kauf genommen, kritisierte Jaber Wishah vom PCHR. Einige der Ermordeten waren zuvor von israelischen Behörden begnadigt worden, nachdem sie eingewilligt hatten, sich nicht mehr für den bewaffneten Widerstand zu engagieren. Dies trifft auch auf drei Mitglieder der Al-Aqsa-Brigaden zu, die im vergangenen Dezember in Nablus im Norden des Westjordanlands erschossen wurden. Aussagen von Familienangehörigen zufolge waren die drei Männer unbewaffnet und hatten sich bereits ergeben.

»Israelische Soldaten übernehmen die Rolle sowohl des Richters als auch des Henkers«, kritisierte Michael Kerney von der Menschenrechtsorganisation »Al Haq« mit Sitz in Ramallah, die einen Großteil der Fälle recherchiert und dokumentiert hat. Auch die israelische Menschenrechtsorganisation »B’Tselem« protestierte: »Seit Beginn der zweiten Intifada im September 2000 stiehlt sich Israel immer mehr aus der Verantwortung, die Menschenrechtsverbrechen aufzuklären, für die es im Gazastreifen und im Westjordanland zuständig ist«.

* Aus: junge Welt, 9. April 2010


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