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Kampf um die Geschichte

Israel verstärkt seine Siedlungsaktivitäten in Ost-Jerusalem

Von Johannes Zang *

Der Nahostkonflikt ist auch ein Kampf um Geschichte, und selbst Archäologie ist in Israel und Palästina politisch durchtränkt. So auch in Silwan, nicht einmal 100 Meter von der Jerusalemer Altstadtmauer entfernt.

Als israelische Archäologen behaupteten, sie hätten den Palast von König David gefunden, war es mit der Beschaulichkeit Silwans vorbei. Zwar wurden die Aussagen der Archäologen von Fachkollegen belächelt oder in Frage gestellt, von nationalistisch oder religiös motivierten jüdischen Siedlern jedoch als Auftrag zum Besiedeln aufgefaßt. Ähnlich wie in Hebron, wo 500 Siedler inmitten von 170 000 Palästinensern unter großem Sicherheitsaufwand leben, nur um nahe am Grab Abrahams zu sein, möchten nun immer mehr Siedler im Umkreis der angeblichen Davidstadt wohnen. Yair Zakovitch, Professor für Biblische Studien an der Hebräischen Universität Jerusalem, sagt dazu: »Jeder bedient sich der Ausgrabungen, um das zu beweisen, was er beweisen will.«

Während manche israelischen Wissenschaftler grundsätzlich in Zweifel ziehen, ob König David überhaupt gelebt hat oder nur ein Mythos ist, verkündet die Internetseite »City of David« auf Hebräisch, Englisch, Russisch, Französisch und Spanisch: »Die Stadt Davids ist der tatsächliche Ort der biblischen Stadt Jerusalem, die von König David vor über 3 000 Jahren erobert wurde.« Die hinter dieser Seite stehende, 1986 gegründete Stiftung »Ir David« fühlt sich dem Erbe des Königs verpflichtet, was sich in vier Schlüssel-Aktivitäten niederschlägt: Ausgrabungen, Entwicklung des Tourismus, Bildungsprogramme und »Wiederbelebung zum Wohnen«, als wenn dort nicht seit Jahrhunderten Palästinenser leben würden.

1991 zogen die ersten Siedler nach Silwan, mittlerweile sind es bereits 60 jüdische Familien, so daß die Internet­seite behauptet, heute lebe dort eine »blühende jüdische Gemeinschaft«.

Tatsächlich herrscht in Silwan Tag für Tag ein Krieg der israelischen Bürokratie und der Siedlerbewegung Elad gegen die dort lebenden Palästinenser. Der israelische Rechtsanwalt und Friedensaktivist Daniel Seidemann beobachtet die Siedleraktivitäten seit Jahren mit größter Sorge. Nach Ansicht des Gründers der Organisation Ir Amim (Stadt der Völker), die sich für ein friedliches Zusammenleben von Israelis und Palästinensern einsetzt, führen die jüdischen Siedlergruppen einen erbitterten Kampf um Land in Jerusalem. Sie wollen in und um die Altstadt mit vielen Bauvorhaben eine »starke jüdische Dominanz« herstellen. Ähnlich deutet sein Landsmann Meron Rapoport, ein Journalist, die Siedlungsaktivitäten: »Die jüdische Siedlung in Ir David/Wadi Hilweh ist Teil eines jüdischen Ringes, der um die Altstadt entstehen soll.« Dadurch solle eine politische Lösung vereitelt und der freie Zugang von Palästinensern zum Tempelberg mit Al-Aksa-Moschee und Felsendom verhindert werden. Genau das aber erachten die Palästinenser als Grundvoraussetzung für eine künftige Hauptstadt Palästinas in Ost-Jerusalem. Dies wurde Rapoport kürzlich bei einem Besuch in Silwan bestätigt, als ihm ein Siedlermädchen ungefragt sagte: »Jerusalem ist unsere Stadt. Der Messias wird erst dann kommen, wenn kein Araber mehr da ist.«

Jochen Stoll, der von Pax Christi und vom Forum Ziviler Friedensdienst nach Jerusalem entsandt worden ist, bilanziert nach fast zwei Jahren Tätigkeit in Jerusalem: »Es gibt eine Bestrebung, ganze Stadtteile zu judaisieren, das heißt Palästinenser zu vertreiben. Die jüdischen Menschen kommen nicht als Nachbarn in die Stadt, sondern als Siedler, als Besatzer, als die, die die Macht haben.«

* Aus: junge Welt, 23. November 2009


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