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Besiedelungsstrategie gegen einen Palästinenser-Staat

ND-Gespräch mit Peace-Now-Generalsekretär Yariv Oppenheimer

Nicht nur in den palästinensischen Territorien Ost-Jerusalem, Westjordanland und Gaza wächst die Wut über die permanente Landnahme – verharmlost mit der Bezeichnung Siedlungs- oder Wohnungsbau – durch Israel. Auch die Kritik der israelischen Friedensbewegung an der schleichenden Enteignung wird schärfer. ND sprach mit dem 34-jährigen Generalsekretär der Organisation Peace Now, Yariv Oppenheimer. Die Fragen stellte Raoul Rigault.

ND: Wie stellt sich die Lage heute aus Ihrer Sicht dar?

Oppenheimer: Das Ziel der extremistischen Siedler und ihrer Sponsoren in der Regierung ist klar: Jede Chance auf ein Abkommen zunichte machen, durch das die israelische Herrschaft über die 1967 besetzten palästinensischen Gebiete beendet wird. Es ist Zeit, dass das israelische Volk seine Stimme erhebt und der Regierung die Leviten liest, denn der geht es offenkundig nur darum, die Situation der Siedler zu verbessern und die Stabilität der Regierung zu wahren.

Allen gegenteiligen Einschätzungen zum Trotz behauptet Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, er sei nicht gegen ein Abkommen auf der Grundlage des Prinzips »Zwei Völker, zwei Staaten«. Warum glauben Sie ihm nicht?

Weil jeder konkrete Akt seiner Regierung darauf gerichtet ist, genau diese Lösung zu verhindern. Die Sache ist so eindeutig, dass sie Netanjahu auf Kollisionskurs zum Nahostquartett aus USA, EU, Russland und der UNO gebracht hat.

Der geplante Bau von 1600 neuen Wohnungen für jüdische Siedler im Ost-Jerusalemer Stadtteil Ramat Schlomo hat die Spannungen weiter verschärft. Besteht die Gefahr, dass es zu einem Religionskrieg kommt?

Ich würde nicht von einer Gefahr, sondern von einer Gewissheit sprechen, weil alle wissen, dass das Jerusalem-Problem beziehungsweise die Frage des Status nicht nur das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern betrifft, sondern die gesamte arabische und islamische Welt in Aufruhr versetzt. Die religiöse und symbolische Bedeutung der Heiligen Stadt entspricht ihrer nationalen Wertigkeit. Hinter den Beschlüssen des Netanjahu/Lieberman-Kabinetts steht eine aggressive, fundamentalistische Ideologie, die sich auf den Mythos von »Eretz Israel«, der »Heiligen Erde Israels«, bezieht, also das genaue Gegenteil dessen, was die Pioniere des Zionismus und die Gründerväter des Staates Israel im Sinn hatten.

Die Kolonisierung hat nichts mit dem Thema Sicherheit zu tun. In diesem Bestreben, die internationale Gemeinschaft herauszufordern, kommt das ganze Abenteurertum der Rechten zum Ausdruck, die in hohem Maße von nationalistischem Extremismus und einer Vorstellung vom jüdischen Volk als dem auserwählten Volk durchdrungen ist, das eine göttliche Mission zu erfüllen hat. Diejenigen, die von dieser Ideologie besessen sind, können einen Kompromiss mit den Palästinensern und den arabischen Nachbarstaaten niemals akzeptieren, weil sie sie als das absolute Böse betrachten. Auf diese lange Liste der Feinde von Eretz Israel haben sie nun auch den Präsidenten der Vereinigten Staaten, Barack Obama, gesetzt.

Netanjahu beteuert allerdings, dass es im Verhältnis zu den USA keine Rückschläge gegeben habe.

Das waren auch keine Rückschläge, sondern ein Erdbeben. Angesichts der Tatsache, dass alle wissen, dass Netanjahus engste Berater in Obama eine Bedrohung Israels sehen, konnte es auch gar nicht anders sein. Eine noch schlechtere Meinung von ihm haben die extremistischen Siedler und die fundamentalistische Rechte, die einen starken Einfluss auf die Regierungspolitik ausüben. Etwas hat sich inzwischen herausgestellt: Die gegenwärtige israelische Regierung wird niemals bereit sein, sich mit den Palästinensern auf halbem Wege zu treffen und einen Ausgleich zwischen den Interessen beider Völker zu finden.

Die radikalsten Vertreter der Exekutive erklären, diese harte Haltung sei der einzige Weg, um die Palästinenser-Organisation Hamas zu liquidieren. Haben sie Recht?

Diese Sprüche habe ich schon oft gehört, aber am Ende hat die Politik der Eisernen Faust die Hamas nur gestärkt. In Wahrheit nähren sich die Falken beider Seiten wechselseitig. Ihr Ziel ist immer dasselbe: den Dialog zu begraben und jede Verhandlungschance zu beseitigen. So beerdigen sie die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft für zwei Völker.

* Aus: Neues Deutschland, 10. April 2010


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