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Israelische Provokation

Tel Aviv will im widerrechtlich besetzten Ostjerusalem 900 neue Wohneinheiten bauen. Vorhaben löst weltweite Proteste aus

Von Karin Leukefeld *

Insgesamt 900 neue Wohneinheiten will Israel in der Siedlung Gilo im Osten Jerusalems bauen. Das hat am Dienstag das Innenministerium bekanntgegeben und damit weltweit Empörung ausgelöst. Die Siedlung befindet sich auf 1967 von Israel besetztem Land, das früher zu Bethlehem gehörte und völkerrechtswidrig annektiert wurde. Derzeit wohnen dort 40000 Siedler. Von Israel vertriebene Bewohner leben heute im nahe gelegenen Aida-Flüchtlingslager. Der Siedlungsbau löste gewaltlosen Widerstand und eine gerichtliche Klage auf palästinensischer Seite aus. Beides konnte den Bau nicht aufhalten. Inzwischen hat die israelische Mauer nahegelegene Dörfer wie den Ort Budrus völlig abgeriegelt, um die Siedlung Gilo »zu schützen«. Auch gewaltloser Widerstand gegen die Mauer blieb ohne Erfolg. Die Stadt Beit Jala (12000 Einwohner) wird mittlerweile nicht nur von der expandierenden Siedlung Gilo, sondern auch von zwei weiteren Siedlungen bedroht.

Die israelische Ankündigung brüskiert den US-Sondervermittler George Mitchell, der mehrfach einen Baustopp in der Siedlung Gilo gefordert hatte. Gilo sei keine Siedlung, sondern »ein Stadtteil von Jerusalem«, so die offizielle Position. Der Bürgermeister von Gilo, Moshe Ben Shushan, wies die »Einmischung in israelische Angelegenheit« zurück: »Für mich war Gilo nie eine Siedlung.« Mark Regev, Sprecher der israelischen Regierung, betonte, daß in den annektierten Gebieten weiter gebaut werde. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, »ist bereit, größtmögliche Zurückhaltung beim Ausbau (von Siedlungen) zu üben«, so Regev. Das gelte allerdings nur für die Westbank. »Jerusalem ist die Hauptstadt Israels und wird es bleiben«, wiederholte Regev die Position seiner Regierung, die international zurückgewiesen wird. Israel verfolge die Strategie, Ostjerusalem vom Rest der besetzten Westbank abzutrennen, sagte die Al-Dschasira-Korrespondentin in Israel, Jacky Rowland. Mit dem Ausbau sollten »900 neue Tatsachen geschaffen« werden, mit denen die Einvernahme ganz Jerusalems legitimiert werden soll.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilte die Entscheidung und verwies darauf, daß das Land, auf dem Gilo gebaut wurde, seit 1967 besetztes palästinensisches Gebiet sei. Kritik kam auch von Robert Gibbs, Sprecher des Weißen Hauses in Washington, der sich »bestürzt« zeigte. Der Sprecher von Präsident Mahmud Abbas, Nabil Abu Rudeineh, sagte, Israel sei nicht am Frieden interessiert und wolle »sicherstellen, daß die internationalen Bemühungen für einen Frieden und die Zwei-Staaten-Lösung scheitern«. Die »ständige Akzeptanz der internationalen Gemeinschaft für solche Maßnahmen Israels gefährdet die Stabilität der Region und die Grundlagen für den Frieden, den wir suchen«, fügte Rudeineh hinzu. Der französische Außenminister Bernard Kouchner, der am Dienstag zu Gesprächen in Israel eintraf, äußerte den Eindruck, Israel sei nicht länger an einem Friedensabkommen interessiert. Früher habe es eine große Friedensbewegung gegeben und eine Linke, die für den Frieden eingetreten seien. Er habe den Eindruck, »der Wunsch nach Frieden ist völlig verschwunden, als ob die Menschen nicht mehr daran glauben«.

Dafür sorgt in Israel eine Art »Hexenjagd« gegen regierungskritische Äußerungen, was besonders linke Akademiker an Universitäten zu spüren bekommen. »Ich bezeichne das als eine McCarthy-Kampagne« sagte David Newman, Politikprofessor an der Ben-Gurion-Universität von Beersheva, im Gespräch mit dem Journalisten Jonathan Cook über Gruppen, die gezielt Professoren denunzieren. Auf der Webseite von IsraCampus (www.isracampus.org.il) wurden die Fotos von 100 regierungskritischen Professoren veröffentlicht und als »Akademische Fünfte Kolonne« bezeichnet. Einer von ihnen ist der Philosophieprofessor Anat Matar von der Universität Tel Aviv. »Unsere Gesellschaft ist etwas faschistischer geworden«, zitiert ihn Cook in seinem Bericht.

* Aus: junge Welt, 19. November 2009


Jerusalem-Amnesie

Von Roland Etzel **

Die Bestürzung über die israelischen Landnahmebeschlüsse im arabischen Teil Jerusalems, die das Weiße Haus gestern den Medien mitteilen ließ, klingt reichlich bemüht. Es mag wohl sein, dass Obama alles andere als glücklich darüber ist, von seinem Nahostpartner Israel zum wiederholten Male am Nasenring durch die Nahostarena geführt zu werden. Doch hat Netanjahu jetzt lediglich ausgesprochen, was er seit Wochen ankündigt, was die US-Außenministerin kürzlich in Jerusalem offiziell erfuhr und dennoch nicht verurteilungswürdig empfand und was Obama bei Netanjahus Washington-Besuch letzte Woche mit dem Nichtstattfinden einer Pressekonferenz offenbar ausreichend bestraft sah.

Das US-State-Department wartet also in Sachen Jerusalem mit einer Amnesie auf, die man ihm schwerlich abnehmen kann. Bereits als Israel 1980 den 1967 eroberten Ostteil annektierte und die Stadt zu »Israels ungeteilter Hauptstadt« erklärte, trugen die USA die Verurteilung dessen durch den UNO-Sicherheitsrat nicht mit. Auch als Israel mehrfach seine »Hauptstadt« vergrößerte, indem es ihr willkürlich Gebiete der besetzten Westbank angliederte, wurde eine Verurteilung dessen im Rat jeweils durch US-Veto verhindert.

Dies alles ist Obama nicht anzulasten; auch nicht, dass der US-Kongress 1995 als einziges Parlament - gemünzt auf Israel und Jerusalem - die eigentümliche Erklärung abgab, jeder Staat habe das Recht, seine Hauptstadt selbst zu bestimmen. Ein stärkeres Zeichen aber als die nunmehrige Geste der Hilflosigkeit könnte er dennoch setzen. Die Palästinenser könnten es gebrauchen. Gerade jetzt.

** Aus: Neues Deutschland, 19. November 2009 (Kommentar)


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