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Wer kontrolliert die Halbinsel Sinai?

Israel erwägt Revision von Camp David

Von Oliver Eberhardt *

Der Tod von fünf ägyptischen Grenzpolizisten durch israelisches Feuer am Donnerstag hat zu einer schweren diplomatischen Krise zwischen Israel und Ägypten geführt, wie es sie in der drei Jahrzehnte währenden Herrschaft von Husni Mubarak nicht gegeben hat. Doch der Umsturz in Kairo hat die Karten neu gemischt.

Eiszeit zwischen Israel und Ägypten: Nachdem Israels Militär auf der Suche nach den Urhebern der Anschläge auf mehrere Fahrzeuge im Landessüden fünf ägyptische Grenzschützer getötet hatte, kommt es in Kairo zu Protesten. In Israel wird gefordert, die Armee in den Sinai zu schicken.

Israels Staatsstraße 12 ist eine Betonpiste, die sich Kilometer um Kilometer durch eine Wüste aus Stein und Staub hinzieht, meist so nah an der Grenze zu Ägypten, dass man die Nummernschilder der wenigen Fahrzeuge auf der genau parallel verlaufenden Straße im Nachbarland erkennen kann. Manchmal ist die Straße gesperrt, weil ein Sturm alte Landminen auf die Straße geweht hat. Manchmal ist sie überschwemmt.

Dennoch galt die Straße, eine von zwei Möglichkeiten, vom Rest Israels aus den Badeort Eilat am Roten Meer zu erreichen, als sehr sicher. »Unsere Busfahrer haben diese Route geliebt, weil die 12 gut ausgebaut ist und es wegen der Nähe zur Grenze viel Militär und Polizei gibt«, sagt Avraham Misrachi, Sprecher der größten israelischen Busgesellschaft Egged. Am Donnerstag haben nun Attentäter auf dieser Straße mehrere Fahrzeuge, darunter einen Egged-Bus, unter Beschuss genommen und dabei acht Menschen getötet. Welcher Organisation die Angreifer angehörten, ist bis heute unklar. Nach der Tat flüchteten die Überlebenden über die Grenze nach Ägypten; bei der Verfolgung traf eine israelische Rakete einen Posten des ägyptischen Grenzschutzes; fünf Beamte starben dabei.

Die Ereignisse waren der Auftakt einer schweren Krise zwischen Israel und Ägypten: In Kairo demonstrierten am Sonntag Tausende vor der israelischen Botschaft; die Sicherheitskräfte hielten sich selbst dann noch zurück, als einer der Demonstranten das Gebäude erklomm und die israelische Fahne durch die ägyptische austauschte.

In Israel fordern die Medien derweil, die Camp-David-Verträge neu zu verhandeln. »Es wird zunehmend deutlich, dass die Vorgaben der Verträge nicht mehr ausreichen«, kommentierte Ron Ben-Jishai am Sonntag in der Zeitung »Jedioth Ahronoth«. »Ägyptens Militär hat nach der Revolution die Kontrolle über den Sinai verloren. Deshalb muss Kairo es unserer eigenen Armee erlauben, auf der Halbinsel aktiv zu werden.«

In der Tat hatte es im Laufe der vergangenen Monate immer wieder Anschläge auf Pipelines im Sinai gegeben; die ägyptische Polizei räumt ein, dass die Kriminalitätsrate dort massiv gestiegen ist. »Unsere Kräfte sind seit der Revolution stark ausgedünnt«, beklagten sich die Polizeichefs der Region Anfang des Monats in einem Brandbrief an das Innenministerium in Kairo, und warnten vor einem »massiven Schaden für die Wirtschaft und die Menschen der Region«, falls das Ministerium nicht zusätzliche Beamte schicken sollte.

Doch eine Reaktion blieb aus. Es könne gar keine Rede davon sein, dass die Regierung den Sinai nicht mehr unter Kontrolle habe, sagt Ministeriumssprecher Hosni Mekai: »Es ist absolut unmöglich, dass die Terroristen von Ägypten aus zugeschlagen haben. Darüber haben wir keine Erkenntnisse. Israel versucht, anderen die Schuld für sein eigenes Versagen zu geben.«

Ein Sprecher des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Beth weist diesen Vorwurf in für den Dienst ungewöhnlich deutlichen Worten zurück: »Es gab Warnungen, dass auf ägyptischem Gebiet ein Anschlag geplant wird, und diese Warnung hat sich nun leider bestätigt.«

Allerdings: Auch in Ägypten wird die Möglichkeit eingeräumt, dass das Land durchaus eine Rolle bei den Anschlägen gespielt haben könnte. In der Zeitung »Al Ahram« äußerte Jailan Halawi am Sonntag die Vermutung, die Gruppierung, die hinter dem Anschlag steckt, welche auch immer das sein mag, könnte durch die Wahl des Ortes für den Anschlag versucht haben, eine Krise zwischen Israel und Ägypten zu provozieren: »Israel war während der Revolution für viele der Demonstranten ein Reizthema. Viele haben sich erhofft, dass die neue Regierung die Beziehungen zu Israel zurückfahren würde. Die Ereignisse setzen die Regierung unter Druck: Sie muss handeln, oder sich dem Zorn der Straße stellen.«

Verträge von Camp-David zwischen Israel und Ägypten

  • Die im September 1978 in Camp David (USA) unterzeichneten Verträge bereiteten den Boden für die Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen Israel und Ägypten im März 1979. Sie bestehen aus zwei Teilen, die durch eine Reihe von in den folgenden Monaten geschlossenen Einzelabkommen konkretisiert wurden.
  • Der erste Teil skizziert die Grundzüge eines NahostfFriedens und stellte den Palästinensern Verhandlungen über eine Autonomie in Aussicht. Dieses Rahmenwerk stieß allerdings in der arabischen Welt auf weitgehende Ablehnung und blieb damit ohne praktische politische Bedeutung für den weiteren Verhandlungsprozess.
  • Der zweite Teil befasste sich mit militärischen und territorialen Festlegungen für den Frieden zwischen Israel und Ägypten. So verpflichtete sich Israel dazu, die Sinai-Halbinsel zu räumen, die es während des Sechs-Tage-Krieges 1967 erobert hatte. Sämtliche Truppen sollten abgezogen und mehrere israelische Siedlungen geräumt werden.
  • Ägypten erklärte sich bereit, höchstens eine Infanterie-Division – nach heutiger Rechnung um die 30 000 Soldaten – auf der Halbinsel zu stationieren. Innerhalb einer Sicherheitszone von 20 bis 40 Kilometer Breite entlang der Grenze sind nur leicht bewaffnete Polizisten zugelassen. Auf der israelischen Seite gilt eine Pufferzone von drei Kilometern, in der vier Infantrie-Bataillone (heute an die 5200 Mann) stationiert sein dürfen. Auf beiden Seiten dürfen zudem bis zu 4000 Grenzschützer agieren. Die Einhaltung der Camp-David-Verträge wird von Beobachtern der Vereinten Nationen kontrolliert. Die Größe von Bataillonen und Divisionen wird zwischen den beiden Verteidigungsministerien abgesprochen. liv


* Aus: Neues Deutschland, 22. August 2011


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