Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Natanjahu: Siedlungsbau ist eine "heilige Pflicht" / Sein "Widersacher" Bennett will gar 60 Prozent des Westjordanlands annektieren

Es ist Wahlkampf in Israel

Von Karin Leukefeld

Neun Verhaftungen in der West Bank, Hauszerstörung in Ostjerusalem, Razzien bei palästinensischen Familien in Hebron, Schließung des Grenzübergangs Erez in den Gazastreifen, so lauteten die Schlagzeilen der palästinensischen Nachrichtenagentur Maan News am (gestrigen) Mittwoch (9.1.2013).

Zwei Wochen vor den vorgezogenen Neuwahlen in Israel am 22. Januar wetteifern das Regierungslager um Benjamin Netanjahu und seinen am rechten Rand agierenden Koalitionspartner Avigdor Lieberman von der Partei „Unser Haus Israel“ mit der noch weiter rechts stehenden Oppositionspartei „Jüdische Heimat“ um den politischen Neuaufsteiger Naftali Bennet. 34 Parteien konkurrieren um die 120 Sitze der Knesset, dem israelischen Parlament.

„Ein starker Ministerpräsident, ein starkes Israel“ lautet das Motto der Likud Partei, mit dem Netanjahu um Stimmen unter den 500.000 Siedlern wirbt, die politisch am rechten Rand der israelischen Gesellschaft verortet werden. Bezug nehmend auf die anhaltende Kritik an der völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik Israels in Ostjerusalem und im besetzten Westjordanland, erklärte Netanjahu am Montag bei einem Wahlkampfauftritt in Jerusalem, die „größte Gefahr für die Welt“ gehe „nicht von den Juden aus, die in unserer seit Urzeiten gehörenden Hauptstadt Jerusalem bauen, sie geht von den Atomwaffen im Iran aus“. Am Dienstag wiederholte sich Netanjahu bei einem Besuch in der illegalen Siedlung Ariel, östlich von Jerusalem. Bei einer Rede in dem erst kürzlich von der israelischen Regierung in den Status einer Universität erhobenen College der Siedlung bezeichnete er den Siedlungsbau als „heilige Pflicht“. Gefahr für die Welt gehe „nicht von der Universität in Ariel oder den israelischen Bauvorhaben im Umland von Jerusalem aus. Die Gefahr kommt aus dem Iran, der Atomwaffen baut.“ Die Aufwertung des Lehrinstituts in der illegalen Siedlung hatte Ende 2012 sowohl in Israel als auch international für scharfe Proteste gesorgt, die von der israelischen Regierung ebenso wie die Kritik an der israelischen Besatzungspolitik ignoriert wurde.

Die israelischen Vorwürfe gegen den Iran sind nicht bewiesen, werden aber dennoch von Israels Verbündeten in den USA und Europa zum Anlass genommen, den Iran politisch und wirtschaftlich mit immer neuen Sanktionen unter Druck zu setzen. Die iranische Führung hat mehrfach erklärt, dass sein Atomprogramm ausschließlich für friedliche Zwecke vorgesehen ist. Mit wiederholten Angriffsdrohungen auf iranische Atomanlagen hält Benjamin Netanjahu die Region am Abgrund eines Krieges, gleichzeitig weigert sich Israel, die internationale Atomenergiebehörde Kontrollen in eigenen Atomanlagen durchführen zu lassen. Beobachter gehen davon aus, das Israel über etwa 200 Nuklearsprengköpfe verfügt, die es mit den aus Deutschland gelieferten U-Booten oder über Kampfjets in alle Himmelsrichtungen abschießen könnte. Mehrere Vorstöße arabischer Staaten und der Vereinten Nationen, eine Konferenz zur Abschaffung aller Vernichtungswaffen in der Region durchzuführen, werden von Israel blockiert.

Netanjahu erklärte, Israel werde gegen Syrien einen Schutzzaun auf den Golanhöhen bauen, womit die 1967 besetzten Golanhöhen, die später völkerrechtswidrig von Israel annektiert wurden, vollständig von Syrien abgetrennt würden. Netanjahu beschuldigte das „tyrannische Regime“ in Damaskus, sein „Volk abzuschlachten“ und Massenvernichtungswaffen zu besitzen. Diese könnten in die Hände islamistischer Kämpfer fallen, die bereits angekündigt haben, nach Damaskus auch Tel Aviv erobern zu wollen. Dagegen solle der Zaun angeblich schützen. Am vergangenen Sonntag hatte das israelische Fernsehen Kanal 2 berichtet, derzeit würden einhundert Kampfpiloten mit ihren Jets aus verschiedenen Ländern in Israel trainieren, unter anderem einen koordinierten Großangriff auf Syrien.

Mehrere Mitglieder der regierenden Likud-Partei forderten derweil im Wahlkampf die Annexion der mit C gekennzeichneten Gebiete im Westjordanland, die unter israelischer militärischer Kontrolle stehen. Es handelt sich um etwa 60 Prozent der West Bank, in denen sich die illegalen Siedlungen befinden. Ze’ev Elkin, der Vorsitzende der Regierungskoalition empfahl eine „Salami-Taktik“ der Annexion. Der rechtsextreme Siedler Moshe Feiglin schlug vor, den palästinensischen Familien 500.000 US-Dollar zu bezahlen (etwa 381.500 Euro), damit sie „Judäa und Samaria“ (Westjordanland) verlassen. „Das wäre für uns die perfekte Lösung.“

Mit solchen Tönen will der Likud offenbar seinem Herausforderer Naftali Bennett (40) und dessen Partei „Jüdische Heimat“ Wind aus den Segeln nehmen. Bennett, den seine Geschäfte im Bereich der Softwareentwicklung zum Multimillionär gemacht haben, wurde in Haifa als Sohn US-amerikanischer jüdischer Einwanderer geboren und ist Major der Reserve der israelischen Streitkräfte. Er diente in der Eliteeinheit Sayaret Matkal, die dem militärischen Geheimdienst der Streitkräfte untersteht. Zwischen 2004 und 2008 war Bennett Büroleiter von Netanjahu während dessen erster Amtzeit als israelischer Ministerpräsident (2000-2008). Ende 2012 sorgte er für heftige Debatten, als er öffentlich erklärte, als Reservist werde er sich weigern, illegale israelische Siedlungen, die „Vorposten“ zu räumen. „Einen Juden aus seinem Haus zu zerren und davonzujagen“ könne er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren.

Bennett war Sprecher der außerparlamentarischen Siedlerbewegung ‚Mein Israel’ sowie Vorsitzender des ‚Siedlerrates von Judäa und Samaria’. Im Wahlkampf bekommt er so viel Zuspruch dass seine Partei möglicherweise als zweitstärkste aus der Wahl hervorgehen könne. „Die wichtigste Frage ist die Frage der Macht“, erklärte Bennett im Interview mit der britischen Tageszeitung The Guardian. „Wenn wir genügend Sitze in der Knesset bekommen, werden wir der größte und einflussreichste Partner in der nächsten Regierung Netanjahu“.

Bennett plädiert für die Annexion des von dem Besatzerstaat bisher als Gebiet C ausgewiesenen militärisch genutzten Westjordanlands, etwa 60 Prozent der gesamten West Bank. Palästinenser, die in diesem Gebiet wohnten, könnten entweder israelische Staatsbürger werden oder sie sollten in die restlichen 40 Prozent umsiedeln, die unter der Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) stehen. Den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern bezeichnete Bennett als „unlösbar“, den meisten Israelis sei das inzwischen auch egal, so Bennett laut Guardian. „Es wird keinen palästinensischen Staat in dem Ministaat Israel geben“. Ein Staat Palästina wäre „eine Katastrophe für die nächsten 200 Jahre“, darum werde er die nächsten vier Jahre nicht damit verbringen „über Israel und die Palästinenser zu quatschen“.


Rollenspiel

Rechte Konkurrenz für Netanjahu

Von Werner Pirker *


Man hält es kaum für möglich: Dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu droht Gefahr von rechts. Angesichts der Tatsache, daß er in seinem Kabinett Leute wie Avigdor Lieberman hat, der den noch nicht vertriebenen Palästinensern ein Bekenntnis zu »Israel als jüdischem Staat« abverlangen will und für die Abschiebung der palästinensischen Bevölkerung aus den 1967 besetzten Gebieten eintritt, fragt sich, ob man eine solche Koalition überhaupt noch von rechts herausfordern kann. Dem aus den USA stammenden Multimillionär Naftali Bennett wird das zugetraut. Seine Partei Jüdisches Haus befindet sich laut Umfragen in einem stetigen Aufstieg – inzwischen liegt sie an dritter Stelle.

Bennett empfiehlt sich als Mann, der im Gegensatz zu Netanjahu zu keinen Zugeständnissen – und seien sie nur taktischer Natur – bereit ist. Als sich der Premier auf Drängen Obamas zu einem temporären Siedlungsstopp im Westjordanland bereit erklärte, den er in der Praxis nicht umsetzte, lieh Bennett den wütenden Siedlern seine Stimme. Nicht einmal verbal dürfe man den Palästinensern entgegenkommen. Ihnen müsse vielmehr klargemacht werden, daß es für sie keinen Platz in Eretz Israel (Land Israel), worunter die Zionisten das ganze historische Palästina verstehen, gebe.

Zumindest immer weniger Platz. Die Zone C, in der rund 150000 Palästinenser leben, soll annektiert werden, nach und nach will man sich der gesamten palästinensischen Gebiete bemächtigen. Einen Palästinenserstaat dürfe es daher nicht geben. Damit immer weiter annektiert werden kann – bis es kein palästinensisches Territorium und in der Folge auch keine Palästinenser in dem von Gott angeblich den Juden versprochenen Land mehr gibt.

Es ist ein Rollenspiel, das rechts und rechts hier abziehen. Was Bennett unverfroren von sich gibt, ist genau der Plan, den die israelische Regierung ohnehin verfolgt. Netanjahu war stets ein Gegner der Zweistaatenlösung. Er hat sie zuerst offen abgelehnt, dann verbal akzeptiert, um sie schließlich explizit abzuschreiben, nachdem sie von seiner Politik der vollendeten Tatsachen längst ad absurdum geführt worden ist. Die israelische Rechte will keinen palästinensischen Staat, weil sie in einem solchen die ständige Negation ihrer Eretz-Israel-Doktrin sieht. Noch mehr aber fürchten die Zionisten – welcher Schattierung auch immer – einen gemeinsamen jüdisch-palästinensischen Staat mit gleichen Rechten für alle Bürger, was das Ende des Projekts eines exklusiv jüdischen Staates bedeuten würde.

Auch die israelische Bevölkerung, obwohl des ständigen Kriegszustandes längst müde, ist mehrheitlich für eine demokratische Lösung nicht zu haben. Im Gegenteil erhalten die Propagandisten einer rassistischen, auf die Eliminierung der Palästinenser als Nation zielenden Lösung immer mehr Zulauf.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 09. Januar 2013 (Kommentar)


Zurück zur Israel-Seite

Zur Palästina-Seite

Zurück zur Homepage