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Massada und Samson

ISRAEL

Von Susann Witt-Stahl *

Der Anblick des Meeres und blau-weißer Winkelemente, von dem die Feierlichkeiten zum 60. Geburtstags des jüdischen Staates getragen wurden, löste nicht bei allen Israelis ozeanische Gefühle aus. Während TUI-Slogans wie »Israel ist sexy« (die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Berlin) aufgesagt wurden, verfasste der Historiker Moshe Zuckermann eine Analyse der umfangreichen Strukturprobleme seines Landes. Was dabei herauskam, ist eine messerscharfe Ideologiekritik des Zionismus.

Zuckermann widmet sich dessen »religiös eingefärbter Identitätsgrundlage«, der Fetischisierung der Sicherheitsfrage und des Militärs, seiner Klassenhierarchie, dem »systemgewachsenen Rassismus«, der Selbstviktimisierung seiner Träger als »schießende Gewissensgequälte« und ihrer »ideologischen Unverfrorenheit«, mit der die Möglichkeit des Friedens geleugnet wird: Zionisten stellen das unterdrückerische Verhältnis der israelischen Besatzer zu den palästinensischen Besetzten als symmetrisches zu einem »Partner« dar, der angeblich zu keinem »Kompromiss« bereit sei. Deutliche Worte findet der Autor für die »heteronome Instrumentalisierung« der Shoah, die von der wachsenden Siedlerbewegung auf die Spitze getrieben wird: »Wer den Auszug seiner Kinder aus dem Haus in den besetzten Gebieten ins Kernland Israel mit der Situation des Kindes mit den erhobenen Händen im Warschauer Ghetto vergleicht und inszeniert, darf Mitgefühl lediglich im Hinblick auf seinen Realitätsverlust beanspruchen.«

Kritik erntet aber auch das deutsche Jubelpersertum für die israelischen Kriege. Beispielsweise »das hohle Gerede«, mit dem eine geschichtsvergessene deutsche Kanzlerin -- deren Partei dafür sorgte, dass es einem beachtlichen Teil der NS-Eliten im postnazistischen Deutschland nicht an Nestwärme mangelte -- ihre Treue zur israelischen Staatspolitik bekundet. Das Täterland habe aber seine Möglichkeit zur Solidarität mit den Juden »sechsmillionenfach verwirkt«, meint Zuckermann. Angela Merkels jüngst erworbener Ablassbrief lasse sich bestenfalls zu einer historischen Mogelpackung falten. Es könne nichts wiedergutmachen. »Schon gar nicht, wenn es meint, 'Juden' mit 'Israel' gleichsetzen bzw. umtauschen zu dürfen.«

Dieses Bedürfnis scheine durch, wenn »philosemitische Israelsolidarisierer« -- sogenannte Antideutsche, die sich »lusterfüllt im islamophobischen Ressentiment suhlen und das Netz deutschspezifi- scher Neuralgien und psycho-ideologischer Katharsis bilden« -- mit heroischem Gestus das Existenzrecht Israels verteidigen, sich aber einen feuchten Kehricht um seine Existenz scheren. »Insofern diese bedroht ist, rührt das nicht von einem abstrakten Diskurs über eine wie auch immer geartete Wesensbestimmung des 'jüdischen Volkes' oder die normative Beurteilung des 'historischen zionistischen Weges' her.« Sondern es resultiere aus der Tatsache, dass das real existierende Israel sich nicht in den Nahen Osten integriere, »eine bis zum Halse bewaffnete Bastion in einer feindlichen Umwelt bleibt, das als historische Perspektive einzig einen unausgestandenen Dauerkonflikt zu bieten, eine Ideologie der permanenten Gewalt, den Ausnahmezustand als psychokollektive Matrix seines Selbstverständnisses zu offerieren hat«.

Es »drängt die Zeit«, befürchtet Zuckermann, weil das historische Experiment Zionismus an einem kritischen Punkt angelangt sei: Israel habe sich »zweifelsfrei vom Massada-Komplex« (73 n. Chr. hatten sich die letzten jüdischen Verteidiger in der Felsenfestung selbst getötet) zum Samson-Syndrom hinbewegt. »Man kann die Juden nicht mehr 'ins Meer werfen'; eher gehen alle - die Juden und ihre Feinde - gemeinsam unter.« Nach dem Gemetzel im Gaza-Streifen und dem durch die Knesset-Wahlen manifest gewordenen Rechtsruck in Israel kommt Moshe Zuckermanns nachträgliches Geburtstagsständchen für den jüdischen Staat nicht nur wie gerufen. Da er als Marxist, der in die Frankfurter Schule gegangen ist, starke Dissonanzen einkomponieren musste, erweist sich sein Werk als unverzichtbare Antithese zu einer Politik der Stagnation des Friedensprozesses und der damit einher gehenden Alltagsbarbarei in den besetzten Gebieten.

Zuckermann sieht einen einzigen Ausweg aus Israels Misere: ein gerechter Frieden mit den arabischen Nachbarn. Alles andere werde den Bewohnern der Region die Perspektive verbauen »für ein menschliches Dasein, das das Menschsein emphatisch ernst nimmt und seine Verwirklichung erstrebt«.

Moshe Zuckermann: Sechzig Jahre Israel. Die Genesis einer politischen Krise des Zionismus. Pahl-Rugenstein: Bonn 2009; 166 S., br., 16,90 EUR; ISBN 978-3-89144-413-9

* Aus: Neues Deutschland, 11. März 2009 (Literaturbeilage zur Leipziger Buchmesse)


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