Rosemaries Baby
Von Uri Avnery *
SEIT ICH in meiner Kindheit den Aufstieg der Nazis in Deutschland
miterlebte, juckt meine Nase jedes Mal, wenn ich etwas Faschistisches
rieche, auch wenn der Geruch noch schwach ist.
Als die Debatte über die "Ein-Staaten-Lösung", begann, fing meine Nase
zu jucken an.
Bist du verrückt geworden, sagte ich zu meiner Nase, dieses Mal hast du
absolut unrecht. Dies ist ein Plan der Linken. Er wird von Linken mit
unzweifelhaften Referenzen vorgebracht, von den größten Idealisten in
Israel und im Ausland, sogar von Marxisten.
Doch meine Nase blieb dabei. Sie juckte weiter. Nun sieht es so aus, als
ob die Nase letzten Endes Recht hätte.
DIES IST nicht das erste Mal, dass ein koscherer linker Plan zu extrem
rechten Konsequenzen führt. Es geschah z.B. mit dem hässlichsten Symbol
der Besatzung: der Trennungsmauer. Sie wurde von der Linken erfunden.
Als die terroristischen Anschläge häufiger wurden, boten linke
Politiker, von Chaim Ramon angeführt, eine Wunderlösung für das Problem
an: ein unpassierbares Hindernis zwischen Israel und den besetzten
Gebieten. Sie behaupteten, dass es die Anschläge stoppen würde ohne die
Anwendung brutaler Gewalt in der Westbank.
Die Rechte widersetzte sich diesem Gedanken vehement. Für sie war es
eine Verschwörung, die Grenzen des Staates festzulegen und die
"Zwei-Staaten-Lösung" zu liefern, die sie als eine existentielle
Bedrohung ihrer Pläne sah und noch sieht.
Aber plötzlich änderte die Rechte ihren Ton. Ihr war klar geworden, dass
die Mauer eine wunderbare Möglichkeit ist, große Teile der Westbank zu
annektieren und sie den Siedlern zu vermachen. Und so geschah es denn
auch: Die Mauer/ der Zaun wurde nicht auf die Grüne Grenzlinie ( von vor
1967) gesetzt, sondern schnitt tief in die Westbank ein und nahm so den
palästinensischen Dörfern viel Land weg.
Jetzt demonstrieren jede Woche Linke gegen die Mauer, die Rechten
schicken Soldaten, um auf sie zu schießen, und die Zwei-Staaten-Lösung
ist zurück gedrängt worden.
NUN HABEN die Rechten die "Ein-Staaten-Lösung" entdeckt. Meine Nase
juckt wieder.
Einer der ersten war Moshe Arens, früherer Verteidigungsminister. Arens
ist ein extrem Rechter, ein fanatisches Likudmitglied. Er begann mit dem
Reden über einen Staat vom Mittelmeer bis zum Jordan, einem Staat, in
dem den Palästinensern die vollen Rechte gewährt werden würden,
einschließlich der Staatsbürgerschaft und des Wahlrechtes.
Ich rieb mir die Augen. Ist das derselbe Arens? Was ist mit ihm
geschehen? Aber das scheinbare Rätsel hat eine einfache Lösung.
Arens und seine Kollegen stehen einem mathematischen Problem gegenüber,
das unlösbar erscheint: ein Dreieck in einen Kreis zu verwandeln.
Ihr Ziel hat drei Seiten: a) einen jüdischen Staat, b) das ganze Erez
Israel und c) eine Demokratie. Wie kann man diese drei Seiten in einen
harmonischen Kreis verwandeln?
Zwischen dem Mittelmeer und dem Fluss leben jetzt 6,5 Millionen Juden
und 3,9 Millionen Palästinenser - 59% Juden zu 41% Palästinenser
(einschließlich der Bewohner der Westbank, des Gazastreifens,
Ost-Jerusalems und der arabischen Bürger Israels). Diese Zahl schließt
natürlich nicht die Millionen palästinensischer Flüchtlinge mit ein, die
außerhalb des Landes leben.)
Mehrere "Experten" versuchten, diese Zahlen anzufechten, aber
geachtete Statistiker, auch Israelis, akzeptieren sie mit kleinen
Veränderungen hier und dort.
Das Verhältnis verändert sich schnell zu Gunsten der Palästinenser. Die
palästinensische Bevölkerung verdoppelt sich alle 18 Jahre. Selbst wenn
man das natürliche Wachstum der jüdischen Bevölkerung in Israel und die
potentielle Einwanderung in der voraussehbaren Zukunft berücksichtigt,
kann man mit fast mathematischer Genauigkeit voraussagen, wann die
Palästinenser zwischen dem Jordan und dem Meer die Mehrheit darstellen
werden. Es ist eher eine Sache von Jahren als von Jahrzehnten.
Die unausweichliche Schlussfolgerung: Man kann zwei der drei Ziele
mit einander in Einklang bringen, aber nicht alle drei: a) ein jüdischer
Staat im ganzen Land kann nicht demokratisch sein, b) ein demokratischer
Staat kann nicht jüdisch sein, und c) ein jüdischer demokratischer
Staat kann nicht ganz Erez Israel einschließen.
Einfach und logisch. Man muss kein Moshe Arens sein, ein Ingenieur vom
Fach, um dies zu sehen. Deshalb sieht sich die Rechte nach einer anderen
Logik um, die es erlauben würde, einen jüdischen und demokratischen
Staat im ganzen Lande zu schaffen.
LETZTE WOCHE veröffentlichte die Tageszeitung Haarez eine
phantastische Sensation: prominente Persönlichkeiten der extremen
Rechten - tatsächlich einige der extremsten - akzeptierten die
Ein-Staaten-Lösung vom Meer bis zum Fluss. Sie sprechen über einen
Staat, in dem die Palästinenser Bürger mit vollen Rechten sein würden.
Die Rechten, die in Noam Sheizafs Artikel zitiert werden, verheimlichen
die Gründe nicht, die sie dahin brachte, diesen Standpunkt zu
akzeptieren: sie wollen verhindern, dass ein palästinensischer Staat
neben Israel entsteht, was das Ende des Siedlungsunternehmens und die
Evakuierung vieler Siedlungen und Außenposten überall in der Westbank
bedeuten würde. Sie wollen auch dem wachsenden internationalen Druck für
eine Zwei-Staatenlösung ein Ende setzen.
Unter einigen Linken in der Welt, die für die Ein-Staaten-Lösung sind,
wurde die Nachricht mit großer Freude begrüßt. Sie überschütten das
israelische Friedenslager mit Verachtung (Linke mögen nichts lieber,
als andere Linke verspotten), und häufen Lob auf die israelische Rechte.
Was für eine Großmut! Was für eine Bereitschaft, aus der gewohnten
Denkungsart auszubrechen und linke Ideale zu adoptieren. Nur die Rechte
wird Frieden machen! Aber wenn diese guten Leute doch die Texte lesen
würden, dann würden sie entdecken, dass es nicht ganz so ist. Um genau
zu sein - es ist das genaue Gegenteil der Fall.
Alle sechs Rechte, die in dem Artikel zitiert werden, sind sich in
einer Anzahl von Punkten einig, die näher betrachtet werden müssen.
Erstens: alle wollen den Gazastreifen von der vorgeschlagenen Lösung
ausschließen. Gaza soll nicht länger ein Teil des Landes sein. Auf diese
Weise wird die Zahl der Palästinenser um 1,5 Millionen reduziert und
verbessert so das schwankende demographische Gleichgewicht. ( (Im
Oslo-Abkommen hat Israel zwar anerkannt, dass die Westbank und der
Gazastreifen eine einzige integrierte Einheit bilden; aber die Rechten
betrachten das Oslo-Abkommen ja sowie so als das abscheuliche Produkt
linker Verräter.)
Zweitens: der eine Staat wird natürlich ein jüdischer Staat sein .
Drittens: die Annexion der Westbank wird sofort stattfinden, damit der
Siedlungsbau ungestört weitergehen kann. In einem Großisrael kann
das Siedlungsunternehmen nicht begrenzt werden.
Viertens: Es gibt keine Möglichkeit, allen Palästinensern unverzüglich
die Staatsbürgerschaft zu gewähren.
Der Autor des Artikels fasst ihre Positionen zusammen: "ein Prozess, der
etwa ein Jahrzehnt bis zu einer Generation dauert, am Ende werden die
Palästinenser sich der vollen persönlichen Rechte erfreuen, aber der
Staat wird in seinen Symbolen und seinem Geist jüdisch bleiben ... dies
ist nicht die Vision eines Staates, der all seinen Bürgern gehört und
nicht "Isratin" sein wird mit einer kombinierten Flagge mit dem Halbmond
und dem Davidstern. Der eine Staat wird jüdische Herrschaft bedeuten."
ES LOHNT sich, gut auf die Erklärungen seiner Initiatoren zu hören (Was
kursiv steht, wird von mir betont).
Uri Elitsur, früherer Generaldirektor des Judäa und Samaria-Rats
(Führung der Siedler, auch Jesha-Rat genannt) : "Ich spreche von einem
jüdischen Staat, der der Staat des jüdischen Volkes ist und in dem es
eine arabische Minderheit gibt.
Hanan Porat, ein Gründer von Gush Emunim ( die religiöse Siedlerführung
und der Mann, der nach Baruch Goldstones Massaker -1994 - in Hebron
die Juden aufrief, sich darüber zu freuen):"Ich bin gegen die
automatische Staatsbürgerschaft, wie sie Uri Elitsur vorschlägt, was
naiv ist und zu ernsten Konsequenzen führen könnte. Ich schlage vor,
nach und nach das israelische Gesetz über die Gebiete zu verhängen,
zunächst in den Gebieten, wo es (schon) eine jüdische Mehrheit gibt,
und innerhalb der Zeitspanne eines Jahrzehnts bis zu einer Generation
in allen besetzten Gebieten."
Porat schlägt vor, die Palästinenser in drei Kategorien zu teilen: a)
diejenigen, die einen arabischen Staat wollen, die bereit sind, dies
durch Terrorismus zu verwirklichen und gegen den Staat zu kämpfen - sie
haben keinen Platz in Erez Israel. Das bedeutet: sie werden vertrieben.
b) Diejenigen, die sich mit ihrem Platz und mit jüdischer Herrschaft
abfinden, aber nicht bereit sind, am Staat teil zu nehmen und ihre
Verpflichtungen ihm gegenüber zu erfüllen - sie werden alle
Menschenrechte haben, aber keine politische Vertretung in den
Institutionen des Staates. c) Diejenigen, die volle Loyalität dem Staat
gegenüber zeigen und volle Treue ihm gegenüber schwören - ihnen werden
die vollen Bürgerrechte zugestanden (Sie werden natürlich eine kleine
Minderheit sein.)
Zipi Hutubeli, ein Mitglied des Parlamentes vom äußersten Rand des
Likud: "Am politischen Horizont muss es für die Palästinenser in Judäa
und Samaria eine Staatsbürgerschaft geben ...das wird nach und nach
geschehen ... Dieser Prozess muss lange Zeit in Anspruch nehmen,
vielleicht eine Generation. Im Laufe dieser Zeit muss sich die Situation
stabilisieren und die Symbole des jüdischen Staates und sein Charakter
werden im Gesetz verankert sein. Das Fragezeichen, das über Judäa und
Samaria schwebt, muss verschwinden .. Als erstes kommt mein tiefer
Glaube an unser Recht auf Erez Israel. Shilo und Bethel ( in der
Westbank) sind für mich das Land unserer Vorfahren in der vollen
Bedeutung dieses Wortes ... Im Augenblick sprechen wir über die Verleihung
von Staatsbürgerschaft in Judäa und Samaria, nicht im Gazastreifen. Ganz
klar gesagt: Ich erkenne keine politischen Rechte für Palästinenser über
Erez Israel an.. zwischen Meer und dem Jordan gibt es nur Platz für
einen Staat, für einen jüdischen Staat."
Moshe Arens: "Die Integration der arabischen Bevölkerung ( innerhalb
Israels) in die israelische Gesellschaft ist eine Vorbedingung, und
erst danach kann man über Staatsbürgerschaft für Palästinenser in den
besetzten Gebieten reden." Das bedeutet: Arends schlägt vor, sich auf
die Integration der arabischen Bürger in Israel zu konzentrieren - auf
etwas, das in den letzten 62 Jahren nicht geschehen ist - und erst
danach über die Frage der Staatsbürgerschaft der Westbankbewohner
nachzudenken.
Emily Amrussi, eine Siedlerin, die Treffen zwischen Siedlern und
Palästinensern in den benachbarten Dörfern organisiert: "Beschreibt mich
nicht als jemanden, der den ,einen Staat' befürwortet. Am Ende mögen
wir dort ankommen. Aber noch sind wir sehr weit davon entfernt. Lasst
uns zunächst über ein Land reden...Wir reden nicht über
Staatsbürgerschaft, sondern über Beziehungen zwischen Nachbarn .. Lasst
uns zunächst gute Nachbarn werden, und dann werden wir ihnen Rechte
geben. ... in weiter Zukunft wird es nötig sein, in Richtung
Staatsbürgerschaft für jeden zu gehen."
Reuben Rivlin, Vorsitzender der Knesset: "Das Land kann nicht geteilt
werden ... Ich bin gegen einen Staat für all seine Bürger oder einen
bi-nationalen Staat. Ich denke über Vereinbarungen einer gemeinsamen
Souveränität in Judäa und Samaria nach, sogar über ein Regime mit zwei
Parlamenten, ein jüdisches und ein arabisches ... Judäa und Samaria wird
ein Kondominium (ein Kondominium ist ein Gebiet, das von zwei Staaten
beherrscht wird), aber diese Dinge brauchen viel Zeit... Hört mir auf, mit
Demographie zu kommen."
DAS HIER beschriebene Regime ist kein Apartheidstaat, sondern etwas viel
Schlimmeres: ein jüdischer Staat, in dem die jüdische Mehrheit alles
entscheiden wird, wann (falls überhaupt) einigen Arabern die
Staatsbürgerschaft verliehen wird. Die Worte, die immer wieder
auftauchen: "vielleicht innerhalb einer Generation" sind natürlich
sehr ungenau - und dies ist nicht zufällig.
Was aber am Wichtigsten ist: es besteht ein donnerndes Schweigen über
der Mutter aller Fragen: was geschieht, wenn die Palästinenser zur
Mehrheit in dem Einen Staat werden.? Das ist keine Frage des "falls",
sondern des "wann": es gibt nicht den geringsten Zweifel darüber, dass
dies nicht erst "in einer Generation", sondern lange vorher geschehen wird.
Dieses donnernde Schweigen spricht für sich selbst. Leute, die Israel
nicht kennen, mögen glauben, die Rechten werden bereit sein, solch eine
Situation zu akzeptieren. Nur eine naive Person kann erwarten, dass sich
dies wiederholt, was in Südafrika geschah, als die Weißen (eine kleine
Minderheit) den Schwarzen ( die große Mehrheit) die Macht ohne
Blutvergießen übergaben .
Wir sagten oben, dass es unmöglich sei, "ein Dreieck in einen Kreis zu
verwandeln". Aber die Wahrheit ist, dass es doch einen Weg gibt, die
ethnische Säuberung. Der jüdische Staat kann den ganzen Raum zwischen
dem Meer und dem Jordan ausfüllen und dann noch demokratisch sein -
falls es dort keine Palästinenser mehr gibt.
Ethnische Säuberung kann dramatisch ausgeführt werden ( wie in diesem
Land 1948 und im Kosovo 1998) oder in einer ruhigen und systematischen
Weise durch Dutzende raffinierter Methoden, wie sie jetzt in
Ost-Jerusalem (im Jordantal und südlich Hebron) stattfinden. Aber es
kann nicht den geringsten Zweifel geben, dass dies das Endstadium der
"Ein-Staat-Vision" der Rechten ist. Das erste Stadium wird die Bemühung
sein, das ganze Land mit Siedlungen zu füllen und jede Chance einer
Zwei-Staaten-Lösung zu demolieren, die die einzige realistische Basis
für einen Frieden wäre.
In Roman Polanskis Film "Rosemaries Baby" bekam eine hübsche junge Frau
ein reizendes Baby, bei dem es sich bald herausstellte, dass es der Sohn
des Satans ist. Die ideale linke Vision einer "Ein-Staaten-Lösung" mag
einem rechten Monster zum Leben verhelfen.
24. Juli 2010
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Quelle: Newsletter von Ellen Rohlfs; der Artikel wird demnächst auf
der deutschen Website von Uri Avnery erscheinen: www.uri-avnery.de
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