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Zwei nahöstliche Vordenker

Menachem Klein und Sari Nusseibeh: Zwei-Staaten-Lösung oder nicht?

Von Roland Etzel *

Mehr als 60 Jahre dauert der Nahostkonflikt. Um die Chancen auf eine einvernehmliche Lösung zwischen Israel und den Palästinensern steht es derzeit nicht gut. Warum das so ist und was sie selbst vorschlagen - darüber unterhielten sich gestern bei einem Podiumsgespräch der Berliner Rosa-Luxemburg-Stiftung zwei Professoren - der eine aus Israel, der andere aus Palästina.

»Zwei Staaten - eine Lösung?« war die Veranstaltung überschrieben, doch obwohl die Protagonisten des Abends dazu unterschiedliche Ansichten äußerten, bekämpften sie sich in ihren Plädoyers nicht, im Gegenteil. Beide Wissenschaftler schienen innerlich verbunden durch die tiefe Sorge um die Zukunft nicht nur des eigenen Volkes. So entschuldigte sich Sari Nusseibeh, Rektor der palästinensischen Al-Quds-Universität, augenzwinkernd, dass es ihm durchaus schwerfalle, seinem Gegenüber zu widersprechen. Dieser - Menachem Klein (58), in Israel geboren und Politikwissenschaftler an der Tel Aviver Bar-Ilan-Universität - formulierte freundlich, aber messerscharf: »Einen Staat haben wir bereits: In ihm befindet sich eine jüdische Ethnie, die eine palästinensische regiert. Die Frage ist also, wie wir vom momentanen jüdischen Ethno-Regime zu einer Zwei-Staaten-Lösung kommen.« Alle Politiker, die in den Nahen Osten kämen, Lösungswege vorschlügen, dabei aber das »jüdische Ethno-Regime« als Grundproblem übersähen, müssten folglich scheitern. Für Klein ist daher auch die Bezeichnung »Okkupation« schon lange irrelevant, um den politischen Status der palästinensischen Gebiete zu beschreiben.

Beide sind in ihrem Umfeld durchaus Vordenker. Ihren Gedanken zu folgen war ein geistiges Vergnügen, denn sie bevorzugen es, die Sache erfrischend unakademisch auf den Punkt zu bringen. Nusseibeh nahm das Stichwort Kleins auf. Was die Okkupation betreffe, so neige er dazu, Klein zuzustimmen. Wenn am Raum einer Wohnung das Schild »besetzt« (okkupiert) steht, so das launige Urteil Nusseibehs, dann erwartet man, dass der, der hineingegangen ist, irgendwann auch wieder herauskommt. Jeder aber sehe, dass dies für die besetzten Palästinenser-Gebiete nicht zutreffe.

Nusseibeh bezeichnet das, was sich derzeit in Israel/Palästina entwickelt, als »binationale Apartheid-Realität«. Es sei schon zuviel passiert, deshalb »sind wir jetzt nicht in einer Situation, wo wir wie in einen Supermarkt gehen und uns eine Lösung aussuchen können, die uns gefällt: Ein Staat? Oder doch Zwei-Staaten-Lösung?« Er wäre ja bereit, letztere zu akzeptieren, »auch weil so Frieden leichter möglich scheint, auch weil die Juden es so wollen...«

Aber von seinem Traum will der vor 61 Jahren in Damaskus geborene Palästinenser trotzdem nicht lassen: »Aus arabischer Perspektive hoffe ich nicht auf einen Nationalstaat an sich, sondern auf einen friedlichen Staat, in dem unterschiedliche Ethnien friedlich leben können. Deshalb wäre ich gegen einen palästinensischen Staat, der mir diese Rechte nicht gibt.«

Klein teilt Nusseibehs Klassifizierung Israels als Apartheid-Staat nicht, denn es gehe im Nahen Osten nicht um die Hautfarbe. Damit wolle er nichts beschönigen. Das israelische Regime sei auch so schlimm genug. Tatsächlich kritisiert er an der palästinensischen Seite etwas anderes, indem er sie auffordert, ihre Haltung zu überdenken. Das Grundproblem sei, so Klein, dass eine Seite viel stärker als die andere ist. Und die internationale Gemeinschaft unterstütze - leider - die viel stärkere Seite. Deshalb sollten die Palästinenser nicht länger darauf vertrauen, vom Ausland eine Lösung auf dem Silbertablett serviert zu bekommen, sondern selbst handeln. Sehr deutlich einig sind sich beide dafür in der Frage der Nahostverhandlungen. Für Klein wie für Nusseibeh ist dieser Prozess gescheitert.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Juli 2010


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