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"Keine Autos für Araber"

Israelische Siedler und Militär gehen brutal gegen Palästinenser vor. Minister will Westbank annektieren

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

»Wir wollen nur ein ruhiges Zuhause und unsere Kinder erziehen, damit ihr Leben einmal besser wird als das unsere«, sagt Daoud Ibrahim (richtiger Name der Autorin bekannt), ein junger Palästinenser in Damaskus. Ibrahim arbeitet in einem Geschäft in der Altstadt, mehrmals half er Leben retten, wenn unweit seines Ladens Granaten einschlugen. Sein Zuhause im palästinensischen Flüchtlingslager Yarmouk hat er verloren und lebt heute mit Frau und Kindern wieder bei seinen Eltern. Jeden Tag denke er darüber nach, wohin er mit seiner Familie gehen könne, sagt er. »Wir Palästinenser können nirgendwohin und nach Hause, in unsere Heimat, schon gar nicht.«

Die palästinensische Heimat von Ibrahim steht in Flammen. Täglich sterben junge Palästinenser bei Protesten gegen die israelische Besatzungsmacht, die mit völkerrechtswidrigem Siedlungsbau, Hauszerstörungen, Razzien und Festnahmen in den besetzten Gebieten ihre Herrschaft ausbauen will.

Am Dienstag wurde der 21jährige Palästinenser Imad Jawabra von israelischen Streitkräften erschossen, als es bei einer Demonstration im Flüchtlingslager Al-Arrub zu Auseinandersetzungen kam. Die Soldaten hätten sich gegen rund 200 Angreifer verteidigen müssen, sagte eine Armeesprecherin. Warum die Armee scharfe Munition einsetzte, erklärte sie nicht.

Erst am Samstag war ein 22jähriger Palästinenser mit israelischer Staatsangehörigkeit erschossen worden. Bei nächtlichen Razzien wurden nach Angaben der Nachrichtenagentur Maan Dutzende Menschen festgenommen, die Zahl palästinensischer Gefangener in israelischen Gefängnissen wird derzeit mit 7.000 angegeben, darunter auch Kinder. Hunderte der Inhaftierten werden ohne Anklage festgehalten. Nach offiziellen Angaben wurden allein in Ostjerusalem in den letzten zwei Wochen 200 Palästinenser verhaftet.

Zusätzliches angeheizt wird die Lage durch den Streit um den Zugang zur Al-Aksa-Moschee in Ostjerusalem. Siedler hatten unter Armeeschutz mehrfach dort gebetet, während Palästinensern immer wieder der Zugang verweigert wird. Sie gilt als eines der wichtigsten Heiligtümer der Muslime.

Die Siedler und nationalistische Kräfte wollen die Öffnung des muslimischen Heiligtums erzwingen und dort einen jüdischen Tempel errichten. Die israelischen Behörden planen offenbar eine Teilung des Geländes. Die Al-Aksa-Moschee liegt in Ostjerusalem, das als zukünftige Hauptstadt eines palästinensischen Staates vorgesehen ist.

Israelische Siedler greifen im besetzten Westjordanland und in Ostjerusalem fast täglich Palästinenser und ihr Eigentum an. Am Dienstag wurden in Betrieben in Nablus Maschinen zerstört, Autos demoliert und mit Parolen wie »Keine Autos für Araber« besprüht. Damit soll offenbar gegen Angriffe mit Autos auf Passanten protestiert werden. In einem Dorf bei Ramallah wurde eine Moschee in Brand gesetzt und rassistische Parolen in Hebräisch an die Wände geschrieben, wie Augenzeugen berichteten.

Der israelische Wirtschaftsminister Naftali Bennett beschrieb am vergangenen Freitag in einem Artikel in der International New York Times über Pläne, wie Israel in einem Vierphasenplan die Westbank annektieren könne. »Die Zweistaatenlösung ist keine Option für Israel«, schrieb Bennett. Aus Sicherheitsgründen könne sich Israel aus der Westbank nicht zurückziehen. Ein zukünftiges »palästinensische Gebilde« werde kein Staat sein, nicht seine Grenzen kontrollieren und keine Armee haben. Bennett gilt als möglicher zukünftiger Ministerpräsident Israels.

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas forderte Israel auf, sein »provokatives Verhalten« zu stoppen. 106 ehemalige israelische Generäle, Mossad-Agenten und Polizisten haben in einem Brief Premierminister Benjamin Netanjahu aufgefordert, endlich einen »diplomatischen Prozess« einzuleiten, um zu einem Friedensabkommen mit den Palästinensern zu kommen. Die »Zweistaatenlösung« sei für Israel »kein Sicherheitsrisiko«, erklärten Unterzeichner des Briefes im israelischen Fernsehen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 13. November 2014


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