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Hoffnung auf den jüdischen Ruhetag

Israelische Bombardierungen und palästinensischer Raketenbeschuss drohen in neuen Krieg zu münden

Von Oliver Eberhardt

In Ostjerusalem hat es am Freitag schwere Ausschreitungen gegeben. Vom Gazastreifen aus wurden erneut Raketen auf Israel abgefeuert. Israels Regierung hält sich bislang zurück.

Es sind Szenen, die an die Jahre der Intifada erinnern: »Blut ist Blut«, sagte Rachel Frenkel, die Mutter eines der Anfang der Woche tot im Westjordanland aufgefundenen Teenagers einmal mehr den Medien, während in Ostjerusalem jener Jugendliche zur letzten Ruhe gebettet wurde, dessen Ermordung sehr viele für einen Racheakt halten. Doch die Aufrufe zur Besonnenheit, die Politiker auf beiden Seiten, aber auch die Angehörigen der Opfer, an die Öffentlichkeit richten, verhallen in diesen Stunden ungehört: Hunderte Palästinenser gehen auf die Straße, um sich Straßenschlachten mit den israelischen Sicherheitskräften zu liefern. In den Online-Foren der israelischen Medien kommen die Schreiber, die meist anonym bleiben, richtig auf Touren: Viele heißen den Tod des jungen Mannes gut; so mancher ruft zu weiteren Taten auf. Wer anderer Ansicht ist, ausdeutet, dass die Kommentatoren genau das tun, was sie auf der palästinensischen Seite kritisieren, wird niedergepöbelt.

»Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich diese Aggressionen erneut auf der Straße zeigen«, sagt ein Mitarbeiter der Polizei. Und sagt, man sei froh, dass jetzt erst einmal der jüdische Ruhetag kommt: »Vielleicht kühlen sich die Gemüter ein bisschen ab.«

In der Politik hofft man derweil darauf, dass man es schafft, sich kurzfristig mit dem militärischen Flügel der Hamas zu einigen: Mehr als 40 Raketen wurden in dieser Woche vom Gazastreifen aus auf Israel abgefeuert. Zuvor hatte Israels Luftwaffe als Reaktion auf den Leichenfund im Westjordanland Dutzende Angriffe auf Ziele der der Hamas nahe stehenden Essedin-al-Kassam-Brigaden und des Islamischen Dschihad geflogen. Nachdem die Nachricht vom Mord an dem arabischen Jugendlichen die Öffentlichkeit erreicht hatte, wurde der Raketenbeschuss stärker. Ägyptens Regierung versucht deshalb zur Zeit, einen Waffenstillstand auszuhandeln, und so zu verhindern, dass Israels Regierung eine Militäroperation im Gazastreifen startet – Verhandlungen, die so heißt es aus dem ägyptischen Außenministerium, dadurch erschwert werden, dass man mit dem Politbüro der Hamas, und nicht mit der örtlichen Führung in Gaza verhandeln muss. Denn die Gaza-Hamas hat nur wenig Einfluss auf die Militanten.

Auch das Politbüro unter Führung von Khaled Maschal hat derzeit kein Interesse an einer Eskalation, weil die oberste Führung zwar militärischen Einfluss im Gazastreifen, aber dafür in der Gaza-Öffentlichkeit nichts zu sagen hat: Dort wird dem im Ausland ansässigen Politbüro oft vorgeworfen, man habe keinen Sinn für die Lebensrealität in Gaza. Dass sich die Verhandlungen über einen Waffenstillstand so schwierig gestalten, liegt aber vor allem daran, dass die oberste Führung befürchtet, durch einen Deal mit Israel die Militanten gegen sich aufzubringen – auf den sich der gesamte Einfluss des Politbüros stützt.

In Israel hält sich die Regierung derweil zurück – noch. An der Grenze wurde bereits die Truppenpräsenz aufgestockt; die Hamas habe nun ihre letzte Chance, erklärte Regierungschef Benjamin Netanjahu am Freitag. Der Druck auf ihn steigt zunehmend: War es bislang vor allem der rechte Koalitionspartner »Jüdisches Heim« unter Führung von Handelsminister Naftali Bennett, die einen groß angelegten Militäreinsatz forderte, macht mittlerweile auch Außenminister Avigdor Lieberman, Vorsitzender der rechtspopulistischen Jisrael Beitenu, Druck: »Es gibt Angelegenheiten, die man aus der Luft nicht regeln kann«.

Derweil geht die Suche nach den Mördern der vier Jugendlichen weiter. Im Fall des arabischen Teenagers ist man, anders als im Fall der drei Israelis, um die größtmögliche Transparenz bemüht. So wurde ein Gerichtsmediziner der palästinensischen Staatsanwaltschaft mit der Durchführung der Obduktion des Getöteten betraut.

* Aus: neues deutschland, Samstag 5. Juli 2014


Kurs auf den nächsten Gaza-Krieg

Roland Etzel zur Gewalteskalation in Nahost **

Vom Mord an Jugendlichen bis zum nächsten nahöstlichen Waffengang ist es nicht mehr weit. Es wäre ein arg kurzer und folgenschwerer Weg. Nicht allein weil Krieg fast immer die schlechteste und opferreichste aller Handlungsmöglichkeiten bedeutet. Sie wäre es, weil hier besonders von israelischer Seite eine Mordtat, zu alledem eine unaufgeklärte, zum Anlass für Eskalation genommen wird.

Schwer zu ignorieren ist dabei der Eindruck, dass ein maßgeblicher Teil der Koalitionsregierung Netanjahu darauf schon ungeduldig gewartet hat. Da werden – bei einem unaufgeklärten Entführungsfall! – Mitglieder des palästinensischen Parlaments eingekerkert, darunter der Präsident. Handelsminister Bennett als Lautsprecher der Siedlerbewegung scharrte am geräuschvollsten mit den Hufen: Man werde »sowieso einen Krieg mit Gaza führen. Deshalb ist es besser, wenn wir diejenigen sind, die ihn anfangen.«

Es mag Vernünftige geben, die den Berserker der Rechten noch davon abhalten. Zu hören sind sie im Moment kaum. Ohne die Schuld zu gleichen Teilen vergeben zu wollen – es gehört zur Tragik der Geschehnisse, dass gerade jetzt auch auf palästinensischer Seite keine Persönlichkeit mit Charisma und politischer Übersicht wahrnehmbar ist. Mindestens solange werden die sinnlosen Raketenschüsse palästinensischer Desperados wohl weitergehen.

** Aus: neues deutschland, Samstag 5. Juli 2014 (Kommentar)


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