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Israels Rechte hält nichts von Waffenruhe

Festnahmen im Fall des ermordeten arabischen Jugendlichen / Ausschreitungen dauern an

Von Oliver Eberhardt *

In Israel gab es am Wochenende erneut schwere Ausschreitungen; auch der Raketenbeschuss ging weiter. Stimmen, die zur Besonnenheit aufrufen, mehren sich.

Für einen Moment bot sich ein Bild der Eintracht, des Friedens: »Wir weigern uns, Feinde zu sein«, hatten um die 500 Leute auf Transparente geschrieben, mit denen sie am Sonnabend durch Haifas Zentrum zogen. Auch in Tel Aviv und Jerusalem hatten sich Menschen versammelt, um gegen den Hass zu demonstrieren.

Wie groß der ist, das ließ sich nur einige Schritte weiter beobachten. »Verräter – Fünfte Kolonne«, riefen allerorts Gegendemonstranten unter israelischen Fahnen. Nur die Polizeipräsenz hielt sie davon ab, auf die Friedensdemonstranten loszugehen.

Derweil dauern die Ausschreitungen an, die begannen, als der Tod eines arabischen Jugendlichen Mitte vergangener Woche bekannt wurde. Am Sonntagnachmittag wurde bekannt, dass es in diesem Fall sechs Festnahmen gegeben habe. Die Beschuldigten entstammen dem ultranationalistischen Milieu.

Die Krawalle haben sich mittlerweile auch auf arabische Städte im Norden Israels ausgebreitet, nachdem die palästinensische Staatsanwaltschaft bekanntgegeben hatte, dass der Jugendliche an schweren Brandverletzungen verstorben war. Immer wieder wird auf beiden Seiten die Frage aufgeworfen, ob eine weitere Intifada bevorstehen könnte. Palästinas Präsident Mahmud Abbas versichert, er werde alles tun, um das zu verhindern. Doch die Ereignisse der vergangenen Wochen haben bei vielen eine tief sitzende Wut ausgelöst: Bei der Suche nach den drei israelischen Jugendlichen war über Wochen die Bewegungsfreiheit im Westjordanland eingeschränkt worden. Hunderte wurden ohne Haftbefehl inhaftiert, nachdem sich Israels Premier Benjamin Netanjahu bereits Stunden nach dem Verschwinden der Drei auf die Urheber festgelegt hatte. Diesmal hält er sich mit Schuldzuweisungen zurück, und seine Regierung duldet, dass Siedler neue Außenposten errichten.

Dies geschieht vor allem auf Druck der Rechten, die die Ausschreitungen, aber auch den mittlerweile täglichen Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen als Bestätigung dafür sehen, dass drastische Maßnahmen erforderlich sind: Sowohl Handelsminister Naftali Bennett als auch Außenminister Avigdor Liebermann fordern einen groß angelegten Militäreinsatz zur gewaltsamen Niederschlagung der arabischen Proteste. Schon jetzt kommt es zu Vorwürfen von Polizeigewalt: So soll der Cousin des Getöteten, ein Palästinenser mit arabischem Pass, im Polizeigewahrsam misshandelt worden sein.

Die von Ägypten vermittelten Verhandlungen zwischen Israel und den Essedin-al-Kassam-Brigaden über einen Waffenstillstand scheinen derweil gescheitert zu sein: Vor allem Bennets Partei »Jüdisches Heim« macht ihren Verbleib in der Regierung davon abhängig, dass es keinen Waffenstillstand gibt: Der habe sich schon nach dem letzten Gazakrieg Ende 2012 nicht bewährt – was selbst viele Rechte bestreiten: Danach habe Ruhe geherrscht – bis jetzt.

Nun haben sich auch zwei ehemalige Geheimdienstchefs zu Wort gemeldet: Die Hamas sei vor dem Hintergrund anderer, sehr viel militanterer Gruppen, die darauf warten, die Macht in Gaza zu übernehmen, nicht die schlechteste aller Lösungen, schrieb der frühere Mossad-Chef Ephraim HaLevy in »Jedioth Ahronoth«. Und der ehemalige Schin-Beth-Direktor Juwal Diskin hat auf seiner Facebook-Seite aufgelistet, was Netanjahu alles falsch macht. Sein Fazit: Der Premier habe einen erheblichen Anteil an der Eskalation.

* Aus neues deutschland, Montag, 7. Juli 2014


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