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Entsetzen über Tod jungen Arabers

Geheimdienst uns Polizei Israels zeigen sich von Aufwallung der Gewalt völlig überrascht

Von Oliver Eberhardt *

Nach der Beerdigung der drei im Westjordanland getöteten Jugendlichen ist es in Jerusalem zu anti-arabischen Ausschreitungen gekommen. Ein junger Araber wurde tot aufgefunden.

Der junge Mann, der aus Schuafat zwischen Jerusalem und Ramallah stammt, wurde am Mittwochmorgen tot in einem Waldstück entdeckt. Nach Ansicht der Gerichtsmedizin wurde der arabische Jugendliche Opfer eines Gewaltverbrechens. Augenzeuge hatten ausgesagt, er sei außerhalb von Schuafat in ein Auto gezerrt worden.

Bei Politik und Sicherheitsdiensten sorgte die Nachricht von dem Leichenfund für Entsetzen: Viele befürchten, gewaltbereite Nationalisten könnten auf diese Weise Rache für die Ermordung der drei israelischen Jugendlichen verübt haben. Bereits am Tag zuvor hatte es im Stadtzentrum von Jerusalem gewaltsamen Ausschreitungen gegeben: Mehrere Dutzend rechte Israelis waren durch Westjerusalem in Richtung der palästinensischen Altstadt gezogen, und hatten auf dem Weg Araber angegriffen. Nach Angaben der Rettungsdienste wurden dabei mindestens 20 Menschen verletzt.

Die Polizei hatte Mühe, den Mob unter Kontrolle zu bringen. Die Beamten seien von den Ereignissen völlig überrascht worden; die Sicherheitsanalyse des Inlandsgeheimdienstes Schin Beth hatte für den Tag der Beerdigung eher Trauer um die drei am Vortag tot im Westjordanland aufgefundenen Jugendlichen vorhergesagt als Aggression und Gewalt. Dementsprechend schlecht vorbereitet war die Polizei.

Sie ist auch ratlos in Bezug auf den getöteten arabischen Jugendlichen: Offiziell heißt es, man ermittele in alle Richtungen – es könnte sich um ein Verbrechen mit kriminellem Hintergrund handeln, oder um einen sogenannten »Ehrenmord«. Nur: »Ehrenmorde« hat es in Ostjerusalem schon seit sehr langer Zeit nicht mehr gegeben. Zudem stellt sich die Frage, warum der Jugendliche in jenes Waldstück weit von seinem Lebensumfeld verbracht wurde.

Für die Menschen in Schuafat ist derweil der Fall klar: Der junge Mann sei Opfer von gewaltbereiten rechtsradikalen Israelis geworden, heißt es dort. Sofort nach dem Eintreffen der Todesnachricht gingen dort Hunderte auf die Straße; auch hier schlug die Stimmung schnell in Gewalt um: Autos und Straßenbahnhaltestellen wurden beschädigt; vereinzelt wurden Molotow-Cocktails geworfen. Die Polizei schlug, anders als am Vortag, mit voller Härte zurück; setzte Gummigeschosse und Tränengas ein.

Politiker aller Couleur sind nun um Schadensbegrenzung bemüht: Kaum ein Abgeordneter oder Minister, der nicht umgehend der Familie des Getöteten sein Mitgefühl ausdrückte und gelobte, auf eine schnelle Aufklärung des Verbrechens zu drängen.

Die Aufklärung der Tat gestaltet sich schwierig: Der Schin Beth, der eigentlich auch Israels Rechte im Auge behalten soll, hat die betreffende Abteilung im Laufe der vergangenen Jahre auf politischen Druck hin stark ausgedünnt. Bereits zuvor war es dem FBI-ähnlichen Geheimdienst schwer gefallen, Informationen aus Gruppen wie der Kach-Bewegung zu sammeln, deren Mitglied Baruch Goldstein 1994 am Grab der Patriarchen in Hebron 29 Palästinenser getötet hatte. Die als terroristische Vereinigung verbotene Gruppe tritt offen bei Fußballspielen und rechten Demonstrationen auf, gilt aber als verschlossen und misstrauisch gegenüber Außenstehenden.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 3. Juli 2014


Eskalation in Nahost

Jerusalem: Ausschreitungen nach mutmaßlichem Rachemord an jungem Palästinenser **

In den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten eskaliert die Lage. Die Nachricht von der Entführung und Ermordung eines palästinensischen Jugendlichen löste am Mittwoch wütende Proteste aus. Es wird davon ausgegangen, daß das Verbrechen in Jerusalem ein Racheakt israelischer Rechtsextremisten war. Es ereignete sich einen Tag nach der Beerdigung von drei jüdischen Religionsschülern, die im Westjordanland von unbekannten Tätern verschleppt und ermordet worden waren.

Der 16jährige Mohammed Abu Chdeir war am frühen Mittwoch morgen beim Trampen an einer Straßenbahnhaltestelle im arabischen Stadtteil Schuafat in ein Auto gezwungen worden, teilte die Polizei mit. Einige Stunden später sei seine verbrannte Leiche im Westteil der Stadt bei Givat Schaul entdeckt worden. Ein Vetter des Entführungsopfers berichtete im israelischen Militärrundfunk: »Es war das schwarze Auto, auf das schon Montag abend hingewiesen wurde, als versucht wurde, ein siebenjähriges Mädchen zu verschleppen.« Palästinensische Medien hatten am Dienstag über diesen Entführungsversuch berichtet.

Palästinas Präsident Mahmud Abbas erklärte, Israel trage »die volle Verantwortung für diesen Zwischenfall«. Die israelischen Sicherheitskräfte müßten die Verantwortlichen ergreifen. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu verurteilte die Tat als »verabscheuungswürdiges« Verbrechen und kündigte schnellstmögliche Aufklärung an. Polizeisprecherin Luba Samri sagte der Nachrichtenagentur AFP, es werde geprüft, ob die Tat im Zusammenhang mit der Verschleppung der drei Jugendlichen stehe. Schon am Dienstag abend war es in Jerusalem zu antiarabischen Ausschreitungen gekommen, an denen sich etwas 200 rechtsradikale Israelis beteiligten. »Sie sind in die Straßenbahn eingedrungen und haben sie gestoppt, Autos wurden angehalten und immer wieder ›Tod den Arabern‹ gerufen«, berichtete ein Augenzeuge. Die Polizei teilte mit, sie habe 47 Menschen festgenommen.

Das israelische Militär hat unterdessen seine Bombenangriffe auf den Gazastreifen verstärkt. Ziel seien Stellungen der Hamas, die von Tel Aviv für die Ermordung der drei israelischen Jugendlichen verantwortlich gemacht wird. Eine Bodenoffensive im Gazastreifen oder die neuerliche Besetzung des Gebiets schloß Netanjahu jedoch aus. Die Hamas bestreitet eine Verwicklung in die Ermordung der Jugendlichen. Inzwischen gibt es Anzeichen dafür, daß ein Ableger der bislang in Syrien und im Irak aktiven ISIL für das Verbrechen verantwortlich sein könnte.

Der UN-Sicherheitsrat verurteilte die Ermordung der jüdischen Schüler am Dienstag einstimmig »auf das Schärfste« und rief alle Konfliktparteien auf, auf Maßnahmen zu verzichten, »die die Situation weiter destabilisieren könnten«. [Siehe Kasten!]

** Aus: junge Welt, Donnerstag 3. Juli 2014


Dokumentiert: Reaktionen der UNO auf die Ermordung der israelischen Jugendlichen sowie auf die Ermordung des palästinensichen Jungen

UN urges ‘maximum restraint’ as tensions rise after missing Israeli teens found dead

1 July 2014 – With tensions mounting in the West Bank and the Gaza Strip following yesterday’s discovery of the bodies of three Israeli teenagers missing since mid-June, the United Nations is today calling strongly on all Israelis and Palestinians to exercise maximum restraint and to prevent the situation from worsening further.

“I call on all sides to avoid steps that can further exacerbate an already tense atmosphere,” Robert Serry, UN Special Coordinator for the Middle East Peace Process, said in a statement.

He emphasized that the perpetrators must be brought to justice, “as any association with or support for terror or violence must be rejected and will have consequences for those concerned.”

“In this regard, I continue to be deeply troubled by statements from Hamas representatives suggesting support for this heinous act,” the envoy said, strongly condemning the murder of the three students, who went missing on 12 June and whose bodies were found northwest of Hebron yesterday.

News agencies have citied rising tensions since Israeli troops discovered the bodies. Israel has blamed Hamas for the murders and militants in Hamas-controlled Gaza have reportedly stepped up rocket attacks, drawing Israeli airstrikes.

According to the Office of the UN High Commissioner for Human Rights (OHCHR), a Palestinian teenager was killed overnight by Israeli forces in the northern West Bank, bringing to 7 the number of Palestinians killed in the area, including 3 teenagers, since 12 June.

Also, last night, at least 6 Palestinians were injured by Israeli forces in the West Bank. OHCHR has also noted an increase in rocket fire from the Gaza Strip and air and sea strikes by Israeli forces in Gaza, additional movement restrictions and incidents of settler violence in the West Bank.

The risk of widespread violence has raised concerns among UN officials, including Mr. Serry and Secretary-General Ban Ki-moon, who yesterday expressed hope “that Israeli and Palestinian authorities will work together to bring the perpetrators swiftly to justice.”

OHCHR joined those officials and the UN Children’s Fund (UNICEF) in extending condolences and sincere sympathy to the families of the three teenagers, and in calling for the perpetrators to be brought to justice.

“We call on all Israelis and Palestinians to exercise maximum restraint and to prevent the situation from worsening further,” OHCHR spokesperson Ravina Shamdasani told reporters in Geneva, reiterating the Office’s call for strict adherence to international law by all relevant actors to avoid further loss of life, injuries and negative impact on human rights.

“We urge all parties to refrain from punishing individuals for offences they have not personally committed or by imposing collective penalties,” she added.

In a statement to the press later in the day, the UN Security Council also condemned the murder of the three teens and, underlining the need to bring perpetrators to justice, “encouraged Israel and the Palestinian Authority to continue working together to do so.”

Urging all parties to refrain from steps that could further destabilize the situation, the Council also reiterated the need to take appropriate steps to ensure the safety and well-being of civilians and their protection, and urged all parties to abide by their obligations under international humanitarian law.

Meanwhile, in its own press statement, UNICEF condemned the abduction and killing of the Israeli teens, and added: “This latest act of violence is a tragic and terrible reminder of the toll that senseless hatred is taking on both Israeli and Palestinian children.

“We hope that these events will not fuel further violence. We urge all parties to exercise the utmost restraint, and do everything in their power to protect all children – Palestinian and Israeli – from harm.”

UN News Centre, 1 July 2014; http://www.un.org


UN officials deplore murder of Palestinian boy in Jerusalem

2 July 2014 – Secretary-General Ban Ki-moon and the United Nations Special Coordinator for the Middle East Peace Process have both condemned the murder of a Palestinian teenager in Jerusalem, and called on both Israelis and Palestinians to refrain from exacerbating an already tense situation.

Mohammed Abu Khdair, 17, was reportedly seen being forced into a car early on Wednesday. Media reports say his partly burnt body was found in a forest on the outskirts of Jerusalem. The killing comes in the wake of the recent murder of three Israeli teenagers, which had been widely condemned by the UN.

Mr. Ban, in a statement issued by his spokesperson, described the murder of the Palestinian teenager as a “despicable act” and called for the perpetrators to be promptly brought to justice.

“The Secretary-General reiterates his call on all parties to ensure that tensions do not escalate further, leading to more loss of life,” the statement added.

UN Special Coordinator Robert Serry also called for the perpetrators of such “heinous acts” to be brought to justice. “There can be no justification for the deliberate killing of civilians – any civilians,” he said in a statement issued in Jerusalem.

Mr. Serry repeated his call on all sides to do everything they can not to further exacerbate an already tense atmosphere.

The UN Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA) also strongly condemned the killing of the Palestinian boy, as well as the recent murder of the three Israeli teenagers.

“At the same time, we urge maximum restraint from all parties to prevent the situation from deteriorating further,” UNRWA spokesperson Chris Gunness said in a statement. “We call for strict compliance with international law by all relevant actors to avoid further loss of life, injuries and suffering.”

Recalling that collective punishment is illegal under international law, UNRWA called on the Israeli authorities to refrain from punishing individuals for offences they themselves have not personally committed.

The agency stressed that the human impact on all sides caused by the events of the last three weeks is “grave.” From 13 June to 1 July, seven Palestinians have been killed, including five registered refugees, while almost 200 have been injured.

UN News Centre, 2 July 2014; http://www.un.org




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