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Schlagabtausch am Golan

USA und EU billigen Israels "Recht auf Selbstverteidigung" in widerrechtlich annektierten Gebieten

Von Knut Mellenthin *

Im jüngsten militärischen Konflikt auf den Golanhöhen haben sich die EU und die USA mit krass unausgewogenen Stellungnahmen auf die Seite Israels gestellt. Anlass waren ein Angriff der schiitischen Hisbollah auf einen israelischen Truppenkonvoi in der Nacht zum Mittwoch und das darauf folgende israelische Artilleriefeuer auf Ziele im Libanon. Bei dem mit Panzerabwehrraketen durchgeführten Überfall der Hisbollah wurden zwei israelische Soldaten getötet und sieben weitere verletzt. Durch Israels »Vergeltungsschläge« starb ein spanischer Soldat, der sich in einem den Israelis genau bekannten Posten der UN-Friedenstruppe UNIFIL aufgehalten hatte. Israelische Regierungssprecher äußerten zwar ihr Bedauern, lieferten aber nicht einmal Ansätze einer Erklärung, wie es zu einem so fatalen Fehler kommen konnte. UNIFIL ist seit dem ersten israelischen Einmarsch in den Libanon 1978 im Grenzgebiet stationiert und besteht zur Zeit aus 10.270 Soldaten aus 36 Ländern.

Schauplatz der Kommandoaktion von Hisbollah war ein 28 Quadratkilometer kleines Gebiet am Rande des Golan, das im Libanon mit dem Namen »Schebaa-Farmen« bezeichnet wird, während die Israelis es »Har Dow« nennen. Sie halten es seit dem Junikrieg 1967 besetzt und annektierten es zusammen mit einem Großteil des Golan am 14. Dezember 1981. Diese Grenzziehung ist international nicht anerkannt. Der UN-Sicherheitsrat erklärte das entsprechende israelische Gesetz drei Tage später einstimmig für null und nichtig. Zugleich wurde die israelische Regierung unter Androhung von Sanktionen aufgefordert, die Maßnahme innerhalb von zwei Wochen rückgängig zu machen.

Selbstverständlich folgte darauf nichts weiter. Aber grundsätzlich unstrittig ist nach wie vor, dass das Gebiet, in dem sich der jüngste Zwischenfall ereignete, nicht Teil Israels, sondern illegal besetztes Territorium ist. Trotzdem brachte die europäische Außenpolitik-Chefin Federica Mogherini es fertig, die »Einstellung der Angriffe an der libanesisch-israelischen Grenze« zu fordern und einseitig die Hisbollah für die Gewalt in dieser Region verantwortlich zu machen. Vertreter des US-Außenministeriums kamen der Wahrheit zwar näher und sprachen von einem Angriff »in der Nähe der Grenze zwischen Libanon und Israel«, bekannten sich aber ausdrücklich zu Israels »Recht auf Selbstverteidigung«. Nach Lage der Dinge war damit offenbar das Artilleriefeuer auf benachbarte Teile des Libanon gemeint.

Weder die USA noch die EU brachten die Aktion der Hisbollah mit dem rechtswidrigen und provokatorischen israelischen Angriff zusammen, der sie ausgelöst hatte: Am 18. Januar hatte ein Militärhubschrauber mehrere Raketen auf eine Gruppe von Hisbollah-Soldaten abgeschossen, die sich in der Umgebung der syrischen Stadt Kuneitra befanden. Dabei wurde außer mehreren Mitgliedern der Hisbollah auch ein iranischer Offizier getötet, der als Berater im Kampf gegen die sunnitischen Fundamentalisten des »Islamischen Staats« eingesetzt war. Das einzige Motiv der israelischen Seite für diesen gezielten Mord war offenbar, die Verteidigungsanstrengungen der syrischen Streitkräfte und ihrer Verbündeten zu stören. Die angegriffene Hisbollah-Stellung befand sich nach israelischen Presseberichten in einer von den Islamisten eingekesselten Enklave.

Eine Verurteilung des israelischen Angriffs durch USA oder EU erfolgte nicht. Es gab auch keine Beileidsbekundungen für die dabei ums Leben Gekommenen, so wie jetzt für die getöteten Israelis und den spanischen Soldaten.

Dass Hisbollah und der Iran auf den israelischen Überfall reagieren würden, war von vornherein klar. Die Alternative hätte in einer Demütigung und einem schweren Gesichtsverlust bestanden. Gleichzeitig ist zumindest Hisbollah bemüht, es nicht zu einer Eskalation kommen zu lassen: Durch den UNIFIL-Kommandeur Luciano Portolano ließ sie der israelischen Regierung die Botschaft zukommen, dass sie nicht an einer weiteren Zuspitzung der militärischen Konfrontation interessiert sei.

* Aus: junge Welt, Freitag, 30. Januar 2015


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