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Netanjahu werden die Instrumente gezeigt

Das undiplomatische Vorgehen in der UNO und Israels Siedlungspolitik stoßen in Washington auf harsche Kritik

Von Oliver Eberhardt *

Zwischen Israels Regierung und US-Präsident Barack Obama gibt es erneut Streit: Am Rande eines Washington-Besuches von Premier Benjamin Netanjahu kritisierte das Weiße Haus die Siedlungspolitik.

Von Tag zu Tag werden es mehr: Gut 100 Israelis waren am Donnerstag bereits in die sieben Wohngebäude in Silwan außerhalb der Altstadt im arabischen Ostteil Jerusalems eingezogen; rund 200 sollen in den 25 Wohnungen insgesamt wohnen, und, so wünscht es sich die rechte Organisation Elad, den Charakter des Stadtteils von Grund auf ändern. Seit Jahren bemüht sich die Gruppe darum, den einst rein arabischen Stadtteil zu einer jüdischen Siedlung zu machen. Immer wieder brachte sie dafür mit Hilfe von komplexen juristischen Manövern Gebäude unter ihre Kontrolle oder ließ sie mit sehr viel Geld durch ein Geflecht aus Scheinfirmen aufkaufen. Umgerechnet rund fünf Millionen Euro soll es dieses Mal gekostet haben.

Noch sehr viel höher dürfte aber der politische Preis dafür sein, zumal auch fast gleichzeitig bekannt wurde, dass Jerusalems Stadtverwaltung vorhat, Wohnungen für 2600 Menschen zwischen Bethlehem und Jerusalem zu bauen. Palästinas Regierung sieht den erneuten Siedlungsbau als Bestätigung für ihre Haltung, dass weitere Friedensverhandlungen nichts bringen. Eine Woche zuvor hatte Präsident Mahmud Abbas vor der UNO-Vollversammlung gefordert, die internationale Gemeinschaft möge Israel eine Frist für einen Abzug aus den besetzten Gebieten setzen. Und die US-Regierung hat nun den Tonfall verschärft. »Diese Entwicklung wird nur die Verurteilung der internationalen Gemeinschaft hervorrufen, Israel von seinen engsten Verbündeten distanzieren und nicht nur die Atmosphäre mit den Palästinensern, sondern auch mit jenen arabischen Regierungen vergiften, mit denen Netanjahu Beziehungen aufbauen will«, so Jen Psaki. Die Sprecherin des US-Außenministeriums äußerte sich am Mittwoch, kurz nachdem Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu zu einem Gespräch mit Präsident Barack Obama zusammengetroffen war.

Frostig war das Verhältnis der beiden schon, seit Netanjahu im letzten Präsidentschaftswahlkampf offen Obamas Gegenkandidaten unterstützt hatte. Nun ist die Atmosphäre aber eisig geworden. Zwar bekannte sich Netanjahu in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Obama erneut zur Zwei-Staaten-Lösung. Doch der ließ dann kurz darauf über seinen Sprecher ausrichten, es reiche nicht aus, es einfach nur zu sagen, man müsse auch etwas tun. »Wir müssen einen Weg finden, den Status quo zu verändern,« hatte Obama dies in der Pressekonferenz bereits angedeutet. Netanjahu konterte nach der Pressekonferenz im Fernsehsender NBC, das Weiße Haus solle erst einmal die Fakten checken, bevor man die Bauvorhaben kritisiere: »Dies sind keine Siedlungen; das sind Stadtteile von Jerusalem. Es gibt arabische Stadtteile, und es gibt jüdische Stadtteile.«

Doch in den USA wird das ebenso als Rhetorik gewertet wie der Vergleich zwischen Hamas und dem »Islamischen Staat« (IS), den Netanjahu [externer Link, pdf] am Montag vor den Vereinten Nationen gezogen hatte. Auch israelische PR-Spezialisten werten solche Aussagen als Versuch, über Teile der US-Öffentlichkeit Druck auf die Politik auszuüben – eine Vorgehensweise, vor der in israelischen PR-Kreisen bereits seit Monaten gewarnt wird. »Vergleiche können zwar Meinungen verändern, aber sie können auch dazu führen, dass man als kenntnisfrei und verallgemeinernd, möglicherweise auch zynisch dasteht«, heißt es in »Hasbarah«, einem Magazin für politische Kommunikation.

Genau das ist dann auch im Fall des Hamas/IS-Vergleichs passiert. Netanjahu wird vorgeworfen zu verallgemeinern. Zudem hat seine Rede ihre beabsichtigte Wirkung verfehlt; die US-Politik steht Netanjahu distanzierter denn je gegenüber. Man müsse damit beginnen, »über den Kirchturm hinaus zu schauen«, zitieren US-amerikanische Medien Mitarbeiter des Weißen Hauses; Netanjahu gebe sich einer Illusion hin, wenn er glaube, dass die USA immer auf Seiten Israels stehen, egal was er tue.

Im Raum steht die Möglichkeit, dass die USA kein Veto einlegen könnten, wenn die Palästinenser mit ihrer Fristforderung beim UNO-Sicherheitsrat vorsprechen. Auszüge aus dem Resolutionsentwurf wurden jetzt bekannt: Darin wird das Jahr 2016 als »Deadline« vorgeschlagen. Doch im Weißen Haus hofft man darauf, dass man gar nicht erst vor dieser Frage stehen wird. Denn man hat Druckmittel. Und man scheut sich nicht mehr davor, sie anzuwenden.

So klagte Israels Generalstab am Dienstag darüber, dass die Lagerbestände bestimmter Munition auf bis zu 25 Prozent ihrer Sollstände geschrumpft sind – ein Indikator dafür, dass die USA nicht mehr bereitwillig sämtliche Rüstungsgüter liefern, die Israels Militär bestellt.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 4. Oktober 2014


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