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"Vorposten der Freiheit"

Der Kampf gegen die "Islamisierung des Abendlandes" verbindet sich oft mit einseitiger Parteinahme für Israel im Nahostkonflikt

Von Knut Mellenthin *

Eine »Welle der Islamisierung« fege über Europa hinweg, behauptete Israels Premier Benjamin Netanjahu am 18. Januar während der allwöchentlichen Routinesitzung seines Kabinetts. Demnächst will er diese Sicht der Dinge auch in einer Sondersitzung des US-amerikanischen Kongresses vortragen, zu der ihn die Republikaner gegen den Willen von Präsident Barack Obama eingeladen haben.

Netanjahu ist der erste maßgebliche israelische Politiker, der sich ausdrücklich des Kampf- und Hassbegriffs »Islamisierung« bemächtigt hat, um ihn für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Die israelischen Medien und die Mehrheit der Bevölkerung haben bisher mit Misstrauen und Besorgnis beobachtet und kommentiert, was sich unter diesem Titel seit Herbst vorigen Jahres in Deutschland entwickelt hat. Die meisten Sprecher jüdischer Communities in aller Welt haben die Versuche, muslimfeindliche Stimmungen zu schüren, mit deutlichen Stellungnahmen verurteilt. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hat am vergangenen Sonntag erneut die Gefährlichkeit der Pegida-Bewegung unterstrichen. Wer dort mitlaufe, solle sich bewusst machen, »welches Gedankengut dort transportiert wird und wem er folgt«.

Andererseits erinnert Netanjahus Intervention daran, dass die Propagandaparole »Islamisierung« mitsamt der zugehörigen Verschwörungstheorien nach dem 11. September 2001 von rechtsextremen Zionisten, Neokonservativen und anderen Unterstützern der aggressivsten israelischen Politikvarianten erfunden wurden. Sieht man einmal von der chaotischen Pegida-Bewegung in Dresden und anderen deutschen Städten ab, die mit Sammelsurien widersprüchlicher Vorstellungen vor sich hin tobt, gilt die Faustregel, dass muslimfeindliche Ideologie und verabsolutierte Unterstützung Israels untrennbar zusammengehören.

»Wollt ihr weniger Marokkaner?«

Der Niederländer Geert Wilders ist unter den europäischen Politikern, die auf dem Ticket »Anti-Islam plus Pro-Israel« reisen, bisher der bekannteste und wohl auch erfolgreichste. Eine Umfrage, die wenige Tage nach dem Angriff auf die Redaktion von Charlie Hebdo durchgeführt wurde, sah Wilders’ Freiheitspartei an erster Stelle, falls jetzt Wahlen stattfinden würden. Der 51jährige ist seit 1989 politisch aktiv und hat seit 1998 ein Parlamentsmandat. Im September 2004 trennte er sich von seiner Partei, der rechtsliberalen VVD, bildete kurze Zeit eine Einmannfraktion und gründete im Februar 2006 seine Partij voor de Vrijheid (PVV). Sie ist buchstäblich sein Eigentum, da sie nur aus seiner Person besteht und keine Mitglieder aufnimmt. Das sichert ihm maximale Entscheidungsfreiheit und verringert das Risiko interner Streitigkeiten. Die Mitglieder seiner Fraktion wählt er persönlich aus. Als Nebeneffekt bekommt Wilders zwar keine Staatsgelder, muss aber andererseits seine Finanzquellen nicht offenlegen. Die Nachrichtenagentur Reuters bezeichnete die Freiheitspartei deshalb am 10. September 2012 als »die am wenigsten transparente parlamentarische Gruppe der Niederlande«.

Wilders’ Partei kam bei ihrer ersten Wahlbeteiligung im November 2006 auf 5,9 Prozent und gewann damit neun Mandate. Offensichtlich hatte sie hauptsächlich die gesellschaftspolitisch eher linksliberale, aber aggressiv muslimfeindlich agitierende Liste von Pim Fortuyn (LPF) beerbt. Fortuyn war am 6. Mai 2002 ermordet worden – nicht etwa von einem fanatischen Muslim, sondern von einem Aktivisten einer Tierschutzorganisation. Auslöser der Mordtat waren vermutlich Sprüche Fortuyns wie »Wählt mich, dann dürft ihr wieder Pelzmäntel tragen«. Die LPF holte neun Tage nach dem Attentat bei ihrem ersten Wahlantritt 17 Prozent der Stimmen und wurde damit zweitstärkste Kraft im Parlament, zerfiel aber in der Folgezeit.

Im Juni 2010 erreichte Wilders mit 15,5 Prozent sein bisher bestes Ergebnis bei einer Parlamentswahl. Das brachte der Freiheitspartei 24 Mandate – und ein Abkommen mit Rechtsliberalen (VVD) und Christdemokraten (CDA), die eine von Wilders tolerierte Koalitionsregierung bildeten. Das Bündnis verlor seine äußerst knappe Mehrheit jedoch im März 2012, als ein Abgeordneter die PVV-Fraktion verließ. Als Begründung gab er an, dass Wilders Bestechungsgelder angenommen habe und einen diktatorischen Führungsstil praktiziere. Bei den dadurch erforderlich gewordenen Neuwahlen im September 2012 fiel die Freiheitspartei auf 10,1 Prozent und behielt nur noch 15 Sitze.

Wilders spricht von einem »Krieg der Islamisierung«, der mit den »Waffen« der »Masseneinwanderung« und einer überdurchschnittlich hohen Geburtenrate geführt werde. Seine zentralen Forderungen sind ein totaler Einwanderungsstopp aus allen muslimischen Ländern – mit Ausnahme von christlichen und homosexuellen Asylbewerbern –, eine Aufhebung der Religionsfreiheit für den Islam, da dieser nur eine »totalitäre Ideologie« sei, ein generelles Verbot für den Neubau von Moscheen und eine Schließung aller islamischen Privatschulen.

Im Jahre 2009 forderte Wilders, das Tragen »islamischer Kopftücher« lizenzpflichtig zu machen. Die »Kopvoddentaks« – wörtlich: Kopflumpensteuer – sollte 1.000 Euro im Jahr betragen. Im Kommunalwahlkampf 2014 rief er während einer Versammlung seinen Anhängern zu: »Wollt ihr weniger oder mehr Marokkaner?« Als diese im Sprechchor mit »Weniger! Weniger!« antworteten, sagte Wilders: »Gut, dann kümmern wir uns darum.« Niederländische Zeitungen zogen daraufhin Vergleiche zur Sportpalastrede des deutschen Propagandaministers Joseph Goebbels im Februar 1943.

»Bei meinem Land, meinen Werten«

Dennoch wäre es irreführend, Wilders ohne Einschränkung als Rechtspopulisten zu bezeichnen. Sein gesellschaftspolitisches Programm ist, abgesehen von der »Ausländerfrage« im weitesten Sinn, eher linksliberal als reaktionär. Sprüche mit NS-Touch vermeidet er wahrscheinlich nicht nur aus politischer Klugheit, sondern auch aus Überzeugung. Gegenüber rechtsextremen Parteien des Auslands verhält sich Wilders in der Regel betont vorsichtig. Er weiß, dass er durch Kontakte zu ihnen kaum etwas gewinnen, aber möglicherweise viel verlieren kann, wenn deren kompromittierende Äußerungen auf ihn zurückfallen würden. So hat er zum Beispiel eine Zusammenarbeit mit dem französischen Front National grundsätzlich abgelehnt. Allerdings war das noch vor der Übernahme der Parteiführung durch Marine Le Pen, die Tochter des früheren FN-Chefs Jean-Marie Le Pen, im Januar 2011. Im Gegensatz zu ihrem Vater achtet sie beispielsweise darauf, das Image ihrer Partei nicht durch Äußerungen beschädigen zu lassen, die als antisemitisch oder unfreundlich gegenüber Israel interpretiert werden könnten. Andererseits bremst sie aber auch Parteifunktionäre, die die Polemik gegen den Islam und den muslimischen Bevölkerungsteil radikal zuspitzen wollen.

Stärker und überzeugender als irgendein anderer Politiker des islamfeindlichen Spektrums ist Wilders ein schwärmerischer Verehrer und jederzeit zuverlässiger Unterstützer Israels. Er hat Anfang der 1980er zwei Jahre dort gelebt und sich damals, nach seinen eigenen Worten, »in das Land verliebt«. Die israelische Tageszeitung Haaretz schrieb am 11. Januar 2008: »Über die Jahre hat Wilders Israel Dutzende Male besucht, um sich mit Sicherheitsexperten, Politikern und alten Freunden zu treffen.« Das linksliberale Blatt zitierte Wilders mit den Sätzen: »Wenn ich hier bin, bin ich bei meinen Leuten, meinem Land, meinen Werten. Ich fühle mich hier mehr zu Hause als in vielen europäischen Ländern.« – Zur Vermeidung von Missverständnissen sei eingeschoben, dass Wilders kein Jude ist. Er wurde katholisch erzogen, trat aber mit Erreichen der Volljährigkeit aus der Kirche aus und bezeichnet sich jetzt als Agnostiker. Also als jemanden, der zwar nicht an die Existenz Gottes glaubt, sie aber auch nicht unbedingt bestreitet.

Was die Behandlung der Palästinenser angeht, würde Wilders in Israel auf dem äußersten rechten Flügel der Parteienlandschaft stehen: Er lehnt einen Palästinenserstaat kategorisch ab, ist gegen die Räumung der besetzten Westbank, preist die jüdischen Siedlungen als »Vorposten der Freiheit« und fordert die israelische Regierung dringend auf, die Bautätigkeit zu verstärken. Er verlangt die Umbenennung Jordaniens in Palästina und schwadroniert über eine »freiwillige« Abschiebung der palästinensischen Bevölkerung in das Königreich. Ebenso übrigens, wie er auch die in den Niederlanden lebenden Muslime zur »freiwilligen Auswanderung« veranlassen möchte. Israel bezeichnet Wilders, sachlich falsch, als »Wiege der westlichen Zivilisation«, und von der Verewigung der israelischen Herrschaft über das ungeteilte Jerusalem hängt nach seinen Worten »die Zukunft der Welt« ab. »Der Islam« bedrohe die ganze Welt, und Israel sei »die Hauptfront, die unsere gemeinsame Zivilisation schützt«.

Dass soviel Engagement belohnt wird, zeigt sich immer wieder bei Wilders’ Reisen in die USA. Er wird von den extremen Vertretern des »Kampfs gegen die Islamisierung der Welt« wie Pamela Geller herumgereicht. Er hat auch Auftritte in den populären Talkshows rechtschristlicher Agitatoren wie Glenn Beck und wird von Politikern wie dem – mittlerweile ehemaligen – Senator Jon Kyl empfangen. Ungesicherte Berichte besagen, dass ein erheblicher Teil der Spenden, die Wilders einnimmt, aus den USA kommen.

»Daham statt Islam«

An Nachahmern und Trittbrettfahrern, die an Wilders’ Glanz partizipieren möchten, fehlt es nicht. Im Dezember 2010 hielten sich Vertreter von vier rechtspopulistischen, rabiat muslimfeindlichen Parteien in Israel auf, hatten Gespräche mit Knesset-Abgeordneten und bekamen auch Gelegenheit, sich in den besetzten Gebieten mit den zionistischen Siedlern solidarisch zu erklären. Die Reisegruppe bestand aus Heinz-Christian Strache von der österreichischen FPÖ, Filip Dewinter vom belgischen Vlaams Belang, Kent Ekeroth von den Schwedendemokraten (Sverigedemokraterna) und René Stadtkewitz von der erst knapp zwei Monate vorher gegründeten deutschen Partei »Die Freiheit«.

Während ihres Aufenthalts in Israel gaben die vier Politiker ein gemeinsames Statement, die »Jerusalemer Erklärung«, an die Medien. Dem Inhalt schloss sich nachträglich und höchstwahrscheinlich ungebeten auch der damalige Bundesvorsitzende der deutschen Republikaner, Rolf Schlierer, an. »Die Menschheit« sei nach der Überwindung der »totalitären Systeme« des 20. Jahrhunderts »gegenwärtig einer neuen weltweiten totalitären Bedrohung ausgesetzt: dem fundamentalistischen Islam«, heißt es in der Erklärung. Sie, die Unterzeichner und ihre Parteien, seien »Teil des weltweiten Kampfes der Verteidiger von Demokratie und Menschenrechten« und stünden »an vorderster Front des Kampfes für die westlich-demokratische Wertegemeinschaft«. Es folgten die üblichen Verbeugungen gegenüber den Gastgebern: Israel sei die »einzige wirkliche Demokratie im Nahen Osten«; man bekenne sich »ohne Einschränkung« zum »Existenzrecht des Staates Israel innerhalb sicherer und völkerrechtlich anerkannter Grenzen« und zum »Recht Israels auf Selbstverteidigung gegenüber allen Aggressionen, insbesondere gegenüber islamischem Terror«.

Werfen wir einen Blick auf die beteiligten Parteien: Die FPÖ ist eine Partei, die sehr traditionelle Vorstellungen von Familie, Normalität, Kultur und Heimat bedient. Unter ihrem früheren Chef Jörg Haider fiel die FPÖ immer wieder durch verständnisvolle Äußerungen über die Nazizeit und Grenzüberschreitungen zum Antisemitismus auf. Vor diesem Hintergrund stieß Straches einseitige Solidarisierung mit Israel, für das die meisten Anhänger der Partei keine großen Sympathien haben, auf erheblichen internen Widerspruch. Eine muslimfeindliche Ausrichtung der FPÖ war unter Haider, der enge, finanziell vorteilhafte Beziehungen mit Libyen und dessen Staatschef Muammar Al-Ghaddafi unterhielt, nicht zu machen gewesen. Der Weg wurde erst frei, als Haider sich im April 2005 gemeinsam mit einer Clique von Spitzenfunktionären von der FPÖ trennte und eine eigene Partei, das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ), gründete. Danach führte Strache die FPÖ mit einer islamfeindlichen Kampagne in die nächste Nationalratswahl, die im Oktober 2006 stattfand. Parolen wie »Daham statt Islam«, »Wien darf nicht Istanbul werden«, »Pummerin statt Muezzin« – »die Pummerin« ist eine Glocke am Stefansdom und gilt als Wahrzeichen Wiens – und »Deutsch statt nix versteh’n« fanden über die Grenzen Österreichs hinaus Beachtung. Die Anhänger der »Freiheitlichen« honorierten den neuen Kurs: Bei der Wahl lag die FPÖ mit elf Prozent weit vor Haiders BZÖ, die es nur auf 4,1 Prozent brachte.

Haiders Tod durch einen Autounfall im Oktober 2008 beschleunigte den Niedergang der BZÖ, die bei der Nationalratswahl 2013 an der Vierprozenthürde scheiterte. Dagegen liegt, wie der Wiener Standard am 24. Januar berichtete, die FPÖ laut jüngsten Umfragen mit 28 Prozent auf Platz eins der Wählergunst. Immerhin 19 Prozent möchten Strache als Kanzler sehen.

In Wien soll am 2. Februar erstmals eine Demonstration nach dem Dresdner Vorbild stattfinden. Die FPÖ hat den Aufruf bisher nicht unterschrieben, aber verkündet ihr »Verständnis« für das »berechtigte Anliegen« der kaum bekannten Initiatoren.

Mit Kopftuch Ausweisung

Vlaams Belang (Flämische Interessen) wurde im November 2004 als Ersatzorganisation für den rechtsextremen Vlaams Blok gegründet. Zuvor hatte das oberste belgische Gericht entschieden, dass diese Partei Ausländer diskriminiere. Das hätte wahrscheinlich dazu geführt, dass der Vlaams Blok sein Recht auf Wahlkampfkostenerstattung verloren hätte. Dieser Konsequenz sollte durch die Neugründung, die genaugenommen nicht viel mehr als eine Umbenennung war, vorgebeugt werden. Vlaams Belang strebt, wie seine Vorläuferorganisation, die Trennung Flanderns von Belgien und die staatliche Unabhängigkeit an. Alle Immigranten, die »die flämische Kultur ablehnen, verleugnen oder bekämpfen«, sollen gezwungen werden, das Land zu verlassen. Frauen, die einen Hidschab – eine auf die Schultern fallende Art des Kopftuchs – tragen, würden damit »ihre Ausweisungsverfügung unterschreiben«, drohte Filip Dewinter, Teilnehmer der Israel-Reise und Fraktionschef im Parlament. Die Partei hat bei den letzten zwei landesweiten Wahlen kräftig Stimmen verloren und kam im vorigen Jahr nur noch auf 3,67 Prozent; 2007 hatte sie bei zwölf Prozent gelegen.

In Anlehnung an die Aufmärsche in Dresden versucht Vlaams Belang, unter den Namen »Pegida Vlaanderen« oder »Vlativa« – Abkürzung für »Vlamingen tegen de Islamisering van het Avondland« – eine ähnliche Bewegung aufzubauen. Eine erste Demonstration, die allerdings verboten wurde, sollte am vergangenen Montag in Antwerpen, der Hochburg der Partei, stattfinden. Vlaams Belang hat in der Vergangenheit eng mit der ausländerfeindlichen Pro-Bewegung in Nordrhein-Westfalen zusammengearbeitet, in der hauptsächlich ehemalige Funktionäre rechtsextremer Parteien wie NPD und Republikaner aktiv sind. Die Pro-Bewegung ist Hauptträgerin der Pegida-artigen Demonstrationen in Köln, Düsseldorf und Duisburg, an denen sich stets nur wenige hundert Menschen beteiligen.

Multiplikator »Politically Incorrect«

Die deutsche Partei Die Freiheit, die ebenfalls an der »Jerusalemer Erklärung« beteiligt war, ist als Organisation bedeutungslos. Obwohl es sich ursprünglich um eine Berliner Parteigründung handelte, blieb die deutsche Freiheitspartei bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus 2011 unter einem Prozent. Bei Landtagswahlen in Niedersachsen und Bayern im Jahre 2013 erreichte sie nur 0,3 und 0,1 Prozent. Der starke Einfluss der Partei in der islamfeindlichen Bewegung beruht ausschließlich auf ihrer engen Verbindung und Verfilzung mit dem vermutlich meistbesuchten Blog dieser Szene, »Politically Incorrect«, bekannter unter dem Kürzel »PI«. Weitgehend unzensiert können die Anhänger der Bewegung dort primitiv-aggressive, menschenverachtende Kommentare über Muslime, Flüchtlinge – das Wort taucht generell nur in Anführungszeichen und in Verbindung mit zynischen Bemerkungen auf – und andere »Ausländer« hinterlassen. Wer wissen will, was viele Pegida-Marschierer im Kopf oder Bauch haben, erfährt bei PI weit mehr als bei bemühten Dialogversuchen.

Eine Besonderheit von PI ist das exhibitionistische Bekenntnis zum »Westen«, das sich im Kopf des Blogs in den Worten »proamerikanisch« und »proisraelisch« ausdrückt. Vor allem dann, wenn Israel wieder einmal Krieg gegen die Palästinenser führt, erscheinen bei PI Artikel, in denen die zivilen Opfer verhöhnt und die israelischen Streitkräfte mit Beifall überhäuft werden. Zu Fotos zerstörter Moscheen im Gazastreifen wird kommentiert, dass man auch in Deutschland Ziele anzubieten habe. Die deutsche Justiz vermag darin weder Volksverhetzung noch Aufforderung zur Gewalt zu erkennen.

Der Gründer der Freiheitspartei, René Stadtkewitz, ein ehemaliger Berliner CDU-Abgeordneter, wurde nach internen Streitigkeiten beiseite geschoben und übernahm im Juni 2014 die Führung der gleichfalls extrem antiislamischen »Bürgerbewegung Pax Europa«. Vorsitzender der Freiheitspartei ist jetzt der frühere CSU-Pressesprecher Michael Stürzenberger, der zugleich als Organisator der Bagida-Demonstrationen in München und als eine Art Chefideologe von PI fungiert. Dort verkündete er im Oktober 2011 in einem »Thesenpapier gegen die Islamisierung«, dass es zwischen Islam und Islamismus keinen Unterschied gebe. Der Islam müsse deshalb verboten werden, und alle in Deutschland lebenden Muslime müssten vor die Entscheidung gestellt werden, entweder ihrem Glauben abzuschwören oder abgeschoben zu werden.

Die Pegida-Demonstrationsleitung sah sich bisher nicht veranlasst, sich von diesem lautstarken Teil der Bewegung »gegen die Islamisierung des Abendlandes« abzugrenzen. Schließlich ist PI der vermutlich wichtigste Multiplikator der Mobilisierung zu den verschiedenen örtlichen Demonstrationen. Am Montag wurde Pegida mit einer schon länger erhofften Grußadresse vom strahlenden Helden der Bewegung, Geert Wilders, gewürdigt. Die Menge applaudierte begeistert. Man störte sich auch nicht daran, dass der Überbringer der Botschaft, ein in Deutschland lebender Niederländer, schon beim Hooliganaufmarsch Hogesa und anderen rechtsextremen Kundgebungen als Redner aufgetreten ist und dass er nebenbei einen Online-Waffenhandel betreibt. Sicher unwahr ist trotzdem das Gerücht, dass die Pegida-Leitung jetzt die offizielle Anerkennung Dresdens als »Hauptstadt der Bewegung« fordert.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 29. Januar 2015


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