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Palästinensisches Lob für Israels Präsidenten Rivlin

Im Juli neu gewähltes Staatsoberhaupt steht für Ein-Staaten-Lösung, wird von ultrarechten Parteien trotzdem angefeindet

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Die Ausschreitungen in Ost-Jerusalem gehen weiter; die Stimmung wird immer aggressiver. Ausgerechnet ein Rechter bemüht sich derweil um Ausgleich: Israels Präsident Re'uven Rivlin.

Die Polizeipräsenz auf den Straßen Jerusalems ist auch an diesem Morgen massiv. »Wir werden mit allen Mitteln die öffentliche Ordnung wieder herstellen«, hatte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu am Morgen in einem Radiointerview angekündigt, bevor dann Mosche Feiglin, der wie Netanjahu dem Likud-Block angehört, auf demselben Sender forderte, nun sei die Zeit gekommen, Juden das Beten auf dem Tempelberg zu erlauben. Aktuell dürfen Juden die heilige Stätte zwar besuchen, aber dort keine religiösen Handlungen vornehmen, um Konfrontationen mit muslimischen Gläubigen zu verhindern. »Ich denke, dass diese heilige Stätte Angehörigen aller Religionen offen stehen muss«, sagt Re'uven Rivlin, »aber dieser Ort darf meiner Ansicht nach nur für religiöse Zwecke genutzt werden. Manche versuchen nun, ihn für politische Zwecke zu vereinnahmen, und das dürfen wir nicht zulassen.«

Es sind Worte, die auch in Palästina sehr wohl vernommen werden. Denn seit dem Sommer ist Rivlin Israels Staatspräsident. Und: Er ist ein Politiker, der nicht leicht einzuordnen ist. Er ist ein Rechter, ein vehementer Verfechter der Ein-Staaten-Lösung. Aber es sind vor allem Israels Linke und der arabische Bevölkerungsanteil die hinter ihm stehen, während Israels Ultrarechte, »den Tag verfluchen, an dem dieser Mann in dieses Amt gewählt worden ist«, wie in der vergangenen Woche ein Abgeordneter der Siedlerpartei »Jüdisches Heim« bei Facebook schrieb.

Denn ein Staat vom Jordan bis zum Mittelmeer bedeutet für ihn: »Ein Staat, der auf Toleranz und Gleichheit aufgebaut ist, in dem alle Menschen, Juden und Araber gleichberechtigte Bürger sind,« sagt Rivlin, »jeder Mensch muss das Recht besitzen, nach den Regeln der Toleranz so zu leben, wie es seinen Vorstellungen entspricht.« Eine Illusion, in weiter Ferne, möglicherweise unmöglich, wie auch Rivlin sagt.

Doch obwohl seit dem Gaza-Krieg der Graben zwischen jüdischen und arabischen Israelis, zwischen jüdischen Israelis und Palästinensern tiefer geworden ist, bemüht er sich, diesen Graben zu überbrücken: So war er im Oktober der erste hochrangige israelische Politiker, der am Jahrestag des Massakers von Kfar Kassem zur Gedenkveranstaltung kam. 1956 hatten israelische Grenzpolizisten in dem arabischen Dorf 47 Arbeiter erschossen, die von ihren Feldern kamen. Politisch aufgearbeitet wurden die Ereignisse dieses Tages in Israel nie. »Ich bin in diesem Land geboren,« sagt der 75-jährige: »Es war mir ein Herzenswunsch, dorthin zu fahren und den Menschen zu zeigen, wie ich dazu stehe.«

Gleichzeitig tritt er dafür ein, dass die jüdische Bevölkerung in Israel anerkennt, dass es zwei verschiedene Sichtweisen der israelischen Staatsgründung gibt: »Wir können den Arabern nicht vorschreiben, das Entstehen Israels als etwas Positives zu sehen, wenn solche Dinge geschehen, und wir nicht alles unternehmen, um diese Menschen in das Gemeinwesen einzubinden.«

Palästinas Präsident Mahmud Abbas bezeichnet Rivlin als einen Partner: »Ich glaube nicht, dass seine Ein-Staaten-Lösung umsetzbar ist; für die Palästinenser müssen alle Siedlungen geräumt werden. Würden Israelis einen arabischen Premierminister akzeptieren? Wahrscheinlich nicht. Aber ich glaube auch, dass wir auf der Grundlage von Toleranz einen echten Frieden erreichen können.«

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 5. November 2014


Kurz vor Explosion

Erneut Tote in Ostjerusalem. Israels Regierung kündigt Ausbau von Siedlungen an und lässt palästinensische Häuser zerstören

Von Karin Leukefeld **


In Jerusalem ist am Mittwoch vormittag ein Mann mit seinem Fahrzeug absichtlich in eine Menge von Personen gefahren. Krankenhausberichten zufolge wurde dabei ein Mensch getötet, mindestens 13 Personen wurden verletzt. Der Fahrer soll nach Augenzeugenberichten ausgestiegen sein und Passanten mit einer Metallstange angegriffen haben. Kurz darauf wurde er von der israelischen Grenzpolizei erschossen. Der Vorfall ereignete sich laut Polizeiangaben an einer Straßenbahnhaltestelle an der »Grünen Linie«, wie die Grenze zwischen West- und dem von Israel besetzten Ostjerusalem genannt wird.

Ein ähnlicher Vorfall hatte sich bereits vor knapp zwei Wochen ereignet. Damals hatte ein Palästinenser sein Fahrzeug in eine Gruppe von Passanten gefahren, die auf eine Straßenbahn gewartet hatten. Dabei waren ein Kleinkind und eine Frau getötet worden, der Fahrer wurde erschossen. Die Eltern des jungen Mannes berichteten später, er sei in ärztlicher Behandlung wegen traumatischer Erfahrungen in israelischen Gefängnissen gewesen. Als Strafmaßnahme war das Haus der Familie von der israelischen Armee zerstört worden.

Die palästinensische Nachrichtenagentur Maan berichtete, soll es sich bei dem Fahrer am Mittwoch um den 48jährigen Ibrahim Muhammad Daoud Al-Akkari aus dem Flüchtlingslager Schuafat gehandelt haben. Ein Bruder des Mannes sei demnach bei dem Gefangenenaustausch für den israelischen Soldaten Gilad Shalit 2011 freigekommen und in die Türkei abgeschoben worden.

Kurz vor dem Vorfall war bekanntgeworden, dass es am Mittwoch morgen erneut zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um die Al-Aksa-Moschee gekommen war. Israelische Einsatzkräfte trieben palästinensische Demonstranten mit Blendgranaten auseinander. Diese sollen laut Polizeiangaben mit Steinen auf die Beamten geworfen haben. Dabei soll die Polizei kurzzeitig auch die Moschee betreten haben, was ihr untersagt ist. Unbestätigten Angaben zufolge sollen bei den Auseinandersetzungen 20 Personen verletzt worden sein.

Der Sprecher der Hamas, Sami Abu Zuhri, brachte den Angriff Al-Akkaris in Zusammenhang mit den Ereignissen um die Al-Aksa-Moschee in Ostjerusalem. Es sei eine »natürliche Antwort« auf die Verbrechen Israels in Jerusalem, sagte Zuhri. Die Stadt sei kurz davor zu explodieren.

Seit Wochen gibt es Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und zionistisch-nationalistischen Siedlern, die sich unter dem Schutz der israelischen Armee auch gewaltsam Zugang zum Tempelberg verschaffen wollen. Der dortige Felsendom steht unter dem Schutz des jordanischen Königs, was im Friedensvertrag zwischen Jordanien und Israel aus dem Jahre 1994 festgelegt ist. Für Muslime heißt das Gelände, auf dem sich auch die Al-Aksa-Moschee befindet, Al-Haram Al-Scharif und gehört zu ihren wichtigsten religiösen Stätten.

Vor einer Woche war der bekannte rechtsextreme Rabbi, Yehuda Glick, von einem Palästinenser niedergeschossen worden. Der Schütze wurde unmittelbar darauf von der israelischen Armee getötet. Glick mobilisierte dafür, dass Juden auf dem Berg einen Tempel bauen können.

Die angespannte Situation in Ostjerusalem wird durch fast tägliche Bekanntgaben angeheizt, dass neue Wohnungen für Siedler in Ostjerusalem gebaut werden sollen. Zuletzt hatte das israelische Innenministerium am Montag angekündigt, weitere 500 Wohnungen für Siedler in Ramat Shlomo bauen zu wollen. Der Ort, der früher zum palästinensischen Schuafat gehörte, war 1967 von Israel besetzt und später annektiert worden.

In dem Ostjerusalemer Stadtteil Silwan hatte die israelische Armee am Dienstag erneut zwei Häuser von Palästinensern zerstört. Die Familien waren zuvor nicht informiert worden und wurden daran gehindert, persönliche Gegenstände mitzunehmen. Die israelischen Behörden gaben an, die Häuser seien ohne offizielle Genehmigung gebaut worden. Anwälte berichteten, dass die Bewohner diese wiederholt bei den entsprechenden Stellen beantragt, aber nie eine Antwort erhalten hätten.

Jeff Halper, Vorsitzender des Israelischen Komitees gegen Hauszerstörungen, wirft der israelischen Regierung »zynische Rechtsbeugung für politische Zwecke« vor. Die »routinemäßig« erteilten Befehle, Häuser zu zerstören, verletzten die vierte Genfer Konvention. Seit Beginn der Besatzung 1967 habe Israel rund 48.000 Häuser zerstört, so Halper. »Palästinenser können dagegen zwar Berufung vor einem israelischen Gericht einlegen, aber ihnen gelingt es nie, damit Erfolg zu haben.«

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 5. November 2014


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