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Israel bleibt stur

Gegen palästinensische Regierung der nationalen Einheit: Regierung kündigt weiteren Siedlungsbau im Westjordanland an. Knesset wählt neuen Präsidenten

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Nach langwierigen Verhandlungen haben die palästinensischen Organisationen Fatah und Hamas eine Regierung der nationalen Einheit gebildet, die Anfang Juni vereidigt wurde. Die beiden Organisationen waren seit 2007 tief verfeindet, nachdem im Gazastreifen eine Geheimdienstoperation der Fatah durch Hamas vereitelt worden war. Hamas hatte daraufhin im gesamten Gazastreifen die Kontrolle übernommen. Israel hatte als Reaktion dessen Belagerung verschärft, die bis heute andauert. Sowohl Fatah als auch Hamas haben in den vergangenen Monaten schwere finanzielle Probleme gehabt, da ihre jeweiligen Geldgeber die Zahlungen verringert oder eingestellt hatten. Israel hielt Steuergelder, die es für die palästinensische Autonomiebehörde als Besatzungsmacht einsammeln muß, zurück. Infolge dieser israelischen Politik liegt die palästinensische Ökonomie am Boden.

Im neuen palästinensischen Kabinett sind vor allem »Technokraten« vertreten, etliche hatten bereits der vorherigen Regierung angehört. Dadurch konnten ideologische Differenzen außen vor gelassen und die Fortzahlung westlicher Gelder sichergestellt werden. Der neuen Regierung gehören keine Politiker der Hamas an. Drei Posten gingen an Frauen. Sowohl die USA als auch die EU erklärten, mit der neuen palästinensischen Regierung zusammenarbeiten zu wollen.

Die israelische Führung reagierte scharf und warf den westlichen Staaten vor, eine »Terroristenregierung« unterstützen zu wollen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu genehmigte persönlich die Freigabe von Bauplänen für weitere 1800 Häuser und 1500 Wohnungen für Siedler in den besetzten palästinensischen Gebieten. Das sei eine direkte Reaktion auf die neue palästinensische Regierung, hieß es in einer Erklärung. Die Baupläne sehen vor, daß zehn neue Siedlungen in der von Israel besetzten palästinensischen Westbank entstehen sollen. 400 der neuen Wohnungen sollen in Ostjerusalem gebaut werden. Auf dem Gebiet also, das nach dem Willen der Palästinenser Hauptstadt eines zukünftigen palästinensischen Staates sein soll. Aus Kreisen der israelischen Regierung hieß es, die Neubauten würden in Gebieten entstehen, die man auch im Falle eines Friedensabkommens für sich behalten, d.h. annektieren wolle.

Der israelische Finanzminister Yair Lapid kritisierte die Entscheidung Netanjahus und drohte damit, die Regierung zu verlassen, sollten die Siedlungspläne umgesetzt werden. »Rechtsextreme Gruppen drängen uns dahin, Gebiete und Siedlungen zu annektieren«, wird Lapid in der israelischen Tageszeitung Haaretz zitiert. Er drängte den Regierungschef, eine Karte mit Grenzen Israels zu einem zukünftigen palästinensischen Staat vorzulegen. Er selbst stellte einen neuen Friedensplan vor, wonach die »isolierten« Siedlungen in der Westbank als »Zeichen des guten Willens« geräumt werden sollten. Lapid forderte Netanjahu auch auf, die neue palästinensische Regierung anzuerkennen, um Israel nicht noch weiter international zu isolieren. Nie habe sich Israel in einer solchen Krise mit den USA befunden.

Neben den USA hatte sich sogar die Bundesregierung »äußerst besorgt« zu den neuen Siedlungsplänen Israels geäußert. Die Pläne könnten »die Bemühungen um eine Fortsetzung der Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern« erschweren, teilte das Auswärtige Amt mit.

Auch die Knesset positionierte sich: Das israelische Parlament wählte am Dienstag derweil einen Nachfolger für den bisherigen Staatspräsidenten Schimon Peres. In einer Stichwahl setzte sich Reuven Rivlin von der in Israel regierenden rechten Likud-Partei durch. Der 74jährige ist explizit gegen einen palästinensischen Staat und gilt als großer Unterstützer der Siedlungspolitik.

Regierungschef Netanjahu gratulierte Rivlin laut dpa »herzlich«. Seine wichtigsten Aufgaben seien nun, das Volk zu vereinen und Israel würdig im Ausland zu vertreten. Israel sei »auf der ganzen Welt das Land, das mit den meisten Herausforderungen zu kämpfen« habe. Auch Izchak Herzog von der sozialdemokratischen Arbeitspartei gratulierte Rivlin, der ein »hervorragender Präsident« sein werde. Die Abgeordnete Miri Regev (Likud) erklärte, Israel werde nun einen »rechten, nationalbewußten Präsidenten« bekommen. Wirtschaftsminister Naftali Bennett von der Siedlerpartei jubilierte: »Wir haben einen Präsidenten bekommen, der an das Recht des Volkes Israel auf sein Land glaubt und sich nicht schämt, dies offen zu sagen.«

Gregor Gysi, Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag, ist am Dienstag zu einer mehrtägigen Reise in den Nahen Osten aufgebrochen. Während seiner Besuche ist ein Auftritt bei der Israelischen Gesellschaft für Außenpolitik vorgesehen, außerdem sollen »hochrangige Gespräche mit israelischen und palästinensischen« Politikern geführt werden, hieß es in einer Erklärung der Linkspartei. Ob ein Besuch in dem von Israel abgeriegelten Gazastreifen genehmigt werde, sei unklar.

* Aus: junge Welt, Mittwoch 11. Juni 2014

PERSONALIE

Likud-Rebell

Von Oliver Eberhardt **

In einer Region, in der Meinung oft von Religion oder Ideologie und oft auch Beidem zusammen definiert wird, ist Reuven Rivlin schwer zu fassen: Auf der einen Seite gehört er zum alten Adel des rechtskonservativen Likud-Blocks, stellt er sich gegen die Rückgabe der 1967 von Israel besetzten Gebiete. Eine Ein-Staaten-Lösung sei leichter zu erreichen als ein tragfähiger Deal mit den Palästinensern oder gar Syrien, sagt er immer wieder. Doch auf der anderen Seite tritt er vehement für möglichst weit reichende bürgerliche Freiheiten und Pluralismus ein.

Dies sorgte am Dienstag bei der Wahl des zehnten Präsidenten des Staates Israel durch das Parlament für eine verkehrte Welt: Ein großer Teil der arabischen Parteien sowie der Parlamentarier von Arbeitspartei und Meretz stimmte nach eigenen Angaben für Rivlin, der damit Nachfolger von Schimon Peres wird, der nicht erneut antreten durfte. Die Likud- Fraktion hingegen votierte nur murrend für Rivlin.

Denn als Parlamentssprecher hatte er sich bis Anfang 2013 immer wieder gegen die Koalitionen des seit 2009 regierenden Regierungschefs Benjamin Netanjahu gestellt und sich damit den Respekt der Opposition erworben. So war er gegen die Bestrebungen, die arabische Abgeordnete Hanin Zoabi aus der Knesset auszuschließen, nachdem sie 2010 an der Gaza-Hilfsflotte teilgenommen hatte.

Vor allem sprach sich Rivlin gegen die Forderung aus, die Palästinenser müssten als Bedingung für einen Friedensschluss Israel als jüdischen Staat anerkennen: »Die Araber sind ein untrennbarer Teil dieses Landes. Sie sind eine Gruppe mit einer sehr definierten nationalen Identität. Wir können nicht von ihnen verlangen zu akzeptieren, dass die Nationalhymne ihres Landes die Worte ›So lange noch im Herzen eine jüdische Seele wohnt‹ enthält«, sagte er vor einigen Monaten. Das Verhältnis zwischen Arabern und Juden im Lande müsse sich fundamental ändern: »Wir brauchen Partnerschaft, ein Miteinander, die bilaterale Anerkenntnis, dass andere anders sind.«

** Aus: neues deutschland, Mittwoch 11. Juni 2014




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