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Über Bande

US-Regierung zeigt sich verärgert über Netanjahus Absage an "Zweistaatenlösung" – und lässt ihn gewähren

Von Knut Mellenthin *

Israels alter und voraussichtlich auch neuer Regierungschef Benjamin Netanjahu hat am Montag der »Zweistaatenlösung« eine Absage erteilt. Jeder, der gegenwärtig einen Palästinenserstaat schaffen wolle, trete dem »radikalen Islam« Boden für Angriffe gegen Israel ab. Wer das ignoriere, stecke den Kopf in den Sand, sagte der Premier in einem Interview mit der Onlineausgabe der Tageszeitung Ma’ariv. Auf die Nachfrage, ob das heiße, dass es keinen palästinensischen Staat geben werde, falls er als Regierungschef bestätigt werden sollte, antwortete Netanjahu mit einem knappen »genau«.

Nach dieser öffentlichen Ohrfeige wartete US-Präsident Barack Obama die Wahl am Dienstag ab, bevor er am Mittwoch seinen Pressesprecher Josh Earnest erklären ließ: Netanjahu habe »eine Veränderung seiner Haltung angedeutet«. Als Reaktion würden die USA »unsere Herangehensweise an die Frage, wie man die Situation voranbringen kann, überprüfen«. Alle Nachfragen, was damit gemeint sei, blockte Earnest ebenso ab wie die Sprecherin des US-Außenministeriums, Jennifer Psaki, auf ihrer regulären Pressekonferenz. Beide betonten zugleich, dass die militärische und geheimdienstliche »Sicherheitskooperation« zwischen beiden Staaten enger und umfangreicher als je zuvor sei. Daran werde sich, unabhängig vom Verhalten israelischer Politiker, auch künftig garantiert nichts ändern.

Netanjahus Klarstellung vom Montag zielte darauf ab, sein Werben um die Anhänger anderer rechter Parteien – das am Wahltag mit einem Erfolg belohnt wurde – zu unterstützen. Der Premier stand unter Druck, nachdem die meistgelesene Tageszeitung des Landes, Jediot Acharonot, am Freitag zuvor ein Dokument aus den Verhandlungen mit der Palästinenserführung veröffentlicht hatte. Das Papier aus dem August 2013 zeigte angeblich, dass Netanjahu zu umfangreichen territorialen und politischen »Zugeständnissen«, einschließlich eines »begrenzten Rechts auf Rückkehr«, bereit gewesen sei.

Daraufhin hatten die mit Netanjahus Likud konkurrierenden Rechtsparteien Habajit Hajehudi und Jisrael Beitenu polemisiert, dass nur sie eine Garantie gegen die Preisgabe von »Judäa und Samaria«, das heißt des besetzten Westjordanlands, seien. Der Premier rechtfertigte sich mit der Erklärung, das Dokument sei lediglich ein Entwurf gewesen, der Israelis und Palästinensern zur Klärung ihrer Standpunkte dienen sollte.

Die von Netanjahu am Montag vorgebrachte Position ist in Wirklichkeit weder neu noch unbekannt. Schon seine Kampagne zur Wahl vom 10. Februar 2009, die ihm zum zweiten Mal das Amt des Premierministers brachte, hatte er vor allem mit dem Versprechen geführt, dass es mit ihm keinen Palästinenserstaat geben werde. Das Programm seiner eigenen Partei ist in diesem Punkt eindeutig: »Die Palästinenser können ihr Leben frei im Rahmen einer Selbstverwaltung gestalten, aber nicht als eigener Staat. Das Jordan-Tal und die Gebiete, die es dominieren, müssen unter israelischer Souveränität bleiben. Der Jordan wird dauerhafte Ostgrenze des Staats Israel.«

Trotzdem entzog sich Netanjahu nicht dem Wunsch der USA, die Scheinverhandlungen mit den Palästinensern, die unter seinem Vorgänger Ehud Olmert mit wenig Substanz geführt worden waren, fortzusetzen. Am 14. Juni 2009 zeigte der Likud-Chef in einer Rede an der Tel Aviver Bar-Ilan-Universität erstmals Bereitschaft, über einen palästinensischen Staat zu sprechen. Er knüpfte das jedoch an eine in der internationalen Diplomatie einzigartige Vorbedingung: Die Palästinenser müssten Israel »als jüdischen Staat« anerkennen. Außerdem sollten sie dem dauerhaften Verbleib großer Teil des Westjordanlands unter israelischer Kontrolle zustimmen, das »ungeteilte Jerusalem als israelische Hauptstadt« akzeptieren und förmlich auf das »Rückkehrrecht« der Flüchtlinge verzichten.

Damit habe Netanjahu die Tür zu Verhandlungen zugeschlagen, kritisierte der palästinensische Chefdiplomat Saeb Erekat. Aber Obama war begeistert und zwang den palästinensischen Präsident Mahmud Abbas zur »Rückkehr an den Verhandlungstisch«. Das »Friedensprozess«-Theater konnte weitergehen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 20. März 2015


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