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Berlusconi ante portas

Parlamentswahlen in Italien: Multimilliardär und früherer Ministerpräsident holt laut Umfragen auf. Mitte-Links-Allianz büßt dank Skandalbank Monte dei Paschi an Popularität ein

Von Rainer Rupp *

Silvio Berlusconi hat sich wieder zurück auf die politische Bühne Italiens gemeldet. Und er prescht voran. Bei den Parlamentswahlen am 24. und 25. Februar hat der 76jährige Multimilliardär und Medienmogul gute Chancen, mit seinem Mitte-Rechts-Bündnis aus »Popolo del Libertà« (Volk der Freiheit – PDL) und Lega Nord die Mehrheit im Senat zu erringen. Pier Luigi Bersanis Demokratische Partei (PD) und Nichi Vendolas SEL (Sinistra, Ecologia, Libertà – Linke, Ökologie, Freiheit), die noch vor wenigen Wochen als absolute Favoriten galten, müssen laut jüngsten Umfragen mit starken Einbußen rechnen. Mit 32 bis 37 Prozent der Stimmen scheint der Mitte-Links-Allianz nur die Mehrheit in der Abgeordnetenkammer sicher. Das Berlusconi-Lager kann derzeit 28 bis 30 Prozent erwarten.

Laut einer Besonderheit im italienischen Wahlgesetz bekommt die Partei mit den landesweit meisten Stimmen einen großzügigen Bonus von zusätzlichen Sitzen in der »Camera« (Abgeordnetenhaus). Für die Verteilung der Sitze im Senat gilt das gleiche Prinzip, allerdings auf Basis der regionalen Wahlergebnisse. Beobachter gehen davon aus, daß das Berlusconi-Bündnis 158 Sitze sicher hat und nur noch zwei weitere für den Sieg im Senat braucht, was angesichts etlicher heiß umkämpfter Wahlkreise in Sizilien und der Lombardei durchaus möglich ist.

Neue Ängste

Da beide Häuser des Parlaments, Abgeordnetenkammer und Senat, gleichberechtigt sind, würde ein Erfolg des Berlusconi-Bündnisses im Senat die Legislative arbeitsunfähig machen, Neuwahlen müßten ausgeschrieben werden. Die »Unregierbarkeit« Italiens dürfte neue Ängste um die Stabilität der Euro-Zone wecken. Und je mehr Zeit vergeht, umso größer sind die Chancen für ein neues kraftvolles Comeback des bereits politisch tot geglaubten Berlusconi. Der punktet inzwischen mit markigen Sprüchen, die über seine TV- und Radiosender landesweit verbreitet werden: »Deutschland hat die Austerität über Europa verhängt, die dazu geführt hat, daß 50 Millionen arbeitslos oder unterbeschäftigt sind. Wir müssen diesen Showdown mit Deutschland durchstehen. Ansonsten wird die Realität ein Land nach dem anderen zwingen, die Euro-Zone zu verlassen.« Mit solchen Aussagen macht Berlusconi auch gegen den ehemaligen Kommunisten Bersani Stimmung, der sich inzwischen mit dem früheren Goldman-Sachs-Berater Mario Monti auf einen gemeinsamen Kurs zur Stabilisierung des Euro und zur Rettung des italienischen Bankensystems zu verständigen versucht. Der im Dezember zurückgetretene Premierminister Monti hat Bersani bereits die Vorbedingung gestellt, er müsse sich von der links-ökologischen SEL in seinem Bündnis trennen, andernfalls würde er internationale Investoren verschrecken.

Derweil verspricht Berlusconi frech, viele der von Monti erlassenen Sparmaßnahmen wieder rückgängig zu machen. Zugleich nutzt er genüßlich die Tatsache aus, daß der »linke« Bersani tief in den milliardenschweren Bilanzbetrug der Banca Monte dei Paschi di Siena verstrikt ist (siehe unten).

Auch deshalb spielt die Zeit für den »­Cavaliere«. Denn je mehr Details über die Rolle Bersanis und der im toskanischen Siena dominierenden PD in dem Finanzskandal der ältesten Privatbank herauskommen, desto größer Berlusconis Chancen bei der nächsten Wahl. Dank der Skandalbank haben Bersanis Zusammenschluß aus PD und SEL sowie Montis Parteigruppe in der letzten Januarwoche viel an Popularität eingebüßt, während Berlusconis Bündnis sowie die Protestpartei des Komikers Beppe Grillo kräftig zugelegt haben.

Kalter Staatsstreich

Nachdem sich der eigensinnige Multimilliardär Berlusconi geweigert hatte, Italien dem von Berlin oktroyierten Spardiktat zugunsten der Banken zu unterwerfen, war er 2011 in einem kalten Staatsstreich entmachtet und durch den »Technokraten« Mario Monti ersetzt worden. Dieser war bis zu seiner Ernennung Vorsitzender der Trilateralen Kommission und auch im Vorstand der Bilderberg-Konferenz. Den Putsch hat Berlusconi nicht vergessen, weshalb er auch dem Vorhaben seines stärksten Verbündeten Roberto Maroni, Chef der Lega Nord, positiv gegenübersteht. Der hatte vergangenes Wochenende erklärt, seine Partei lasse im industriellen Norden Italiens mit der Hauptstadt Mailand ernsthaft die Einführung einer lokalen Währung parallel zum Euro prüfen. Damit könnte eine neue, regionale Zentralbank die Wirtschaft des Nordens mit Krediten in ihrer eigenen Währung versorgen, unabhängig vom EZB-kontrollierten Euro. Mit diesem weiteren Zahlungsmittel sollten in der Region vor allem Kredite an die von den großen Banken vernachlässigte klein- und mittelständische Industrie vergeben und die alarmierend hohe Arbeitslosigkeit gesenkt werden. Tatsächlich könnte sich Norditalien so aus dem Berliner Zwangskorsett befreien. Das könnte schnell europaweit Schule machen, zum Schrecken der Verteidiger der Euro-Zone.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 14. Februar 2013


»Toxische Derivate im Keller«

Immer neue staatliche Milliardenhilfen für die Banca Monte dei Paschi

Von Rainer Rupp **


In der unendlichen Geschichte der Rettungen italienischer Privatbanken auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung gibt es ein neues Kapitel, das sowohl den im Dezember zurückgetretenen Ministerpräsidenten Mario Monti, als auch den aussichtsreichsten Kandidaten für den Posten des Regierungschefs nach den nächsten Parlamentswahlen am 24. und 25. Februar, den Anführer des italienischen Linksbündnisses Pier Luigi Bersani und mit ihm seine ganze Demokratische Partei (PD) schwer belastet. Zugleich wird auch der Ruf des Chefs der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, in Frage gestellt (siehe Spalte). Es geht wieder einmal um die Rettung der ältesten Bank der Welt, der Banca Monte dei Paschi, die im toskanischen Siena 1472 gegründet wurde, zu einer Zeit, in der Leonardo da Vinci seine künstlerischen Fähigkeiten perfektionierte.

Durch Aufkäufe von konkurrierenden Geldhäusern hatte sich die Banca Monte dei Paschi (MDP) zu Beginn der Finanzkrise 2007 zur drittgrößten Bank Italiens hochgearbeitet. Im Zeitalter der deregulierten, neoliberalen Finanzwirtschaft war das nur möglich, indem die Bank ihre altehrwürdigen Praktiken über Bord warf, ihre Bilanzsumme auf ein Zigfaches ihres Eigenkapitals hebelte, bei hochgefährlichen Derivatengeschäften im globalen Kasino mitmischte und sich auf risikoreiche Kreditvergaben in osteuropäischen Ländern einließ, die heute noch schlechter dastehen als Italien. Die Banker in Siena hatten sich verzockt, 2011 stand der MDP das Wasser bis zum Hals. Die italienische Notenbank hatte ihr in einer ungewöhnlichen Geheimaktion mit zwei Milliarden Euro Steuergeld unter die Arme gegriffen, wie jetzt bekannt wurde.

Am 23. Januar wurde bekannt, daß »im Keller« des Geldhauses erneut toxische Derivate »gefunden« worden waren, die außerhalb der Bilanz versteckt waren. Die neuen Verluste wurden auf etwa eine Milliarde Euro veranschlagt. In den folgenden Tagen stürzte der Aktienkurs ab. Aus Furcht vor einem Sturm auf die Bank genehmigte die italienische Zentralbank am 26. Januar im Eilverfahren eine neue Geldspritze in Höhe von 3,9 Milliarden Euro, fast doppelt soviel wie der Marktwert der Banca Monte dei Paschi. Die Enthüllung erschütterte weltweit erneut das Vertrauen in den europäischen, insbesondere aber den italienischen Finanzsektor. Laut Professor Marco Airaudo, Spezialist für italienische Wirtschaft an der Drexel University in Philadelphia, beweist die jüngste Entwicklung, »daß sich da noch viel mehr hinter den Kulissen verbirgt«. Die neuen Unsicherheiten trieben prompt die Zinsen italienischer Schatzbriefe wieder in die Höhe.

Inzwischen hat die italienische Staatsanwaltschaft gegen führende Mitarbeiter der Bank Ermittlungen aufgenommen. Auch der zurückgetretene Ministerpräsident und Finanzexperte Mario Monti wurde – mitten im Wahlkampf – von dem Skandal erfaßt. Ihm wird vorgeworfen, seine Aufsichtspflicht verletzt zu haben. Die Kontrolle der italienischen Geldhäuser liegt bei sogenannten Bankstiftungen, die in den meisten Fällen unter dem Einfluß von politischen Parteien, Regionalregierungen und religiösen Einrichtungen stehen. Im Fall Monte die Paschi waren der Chef des Linksbündnisses, der frühere Kommunist Bersani und seine Demokratische Partei bis in dei Führungsetagen besonders eng mit der Pleitebank verfilzt. Das dürfte erklären, weshalb die PD den EU-Maßnahmen aufgeschlossen gegenübersteht – im Unterschied zum Mitte-Rechts-Bündnis von Berlusconi und Lega Nord.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 14. Februar 2013


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