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Berlusconi wählt Sozialdienst

Italien: Expremier will Hausarrest vermeiden. Politkarriere zu Ende

Von Gerhard Feldbauer *

Nach dem Scheitern seines Versuchs, die Regierung des italienischen Ministerpräsidenten Enrico Letta zu stürzen (jW berichtete), hat sich Expremier Silvio Berlusconi offenbar mit seiner rechtskräftigen Verurteilung wegen Steuerbetrugs und Richterbestechung abgefunden. Denn in dieser Woche will er beim zuständigen Gericht in Mailand beantragen, die verhängte Strafe in Form von Sozialstunden ableisten zu dürfen. Das teilte sein Rechtsanwalt Franco Coppi am Sonntag in Rom mit. Zugleich beharrt Berlusconi darauf, unschuldig bestraft worden zu sein. Von der Strafe von vier Jahren sind ihm bereits drei erlassen worden, und ins Gefängnis muß der 77jährige ohnehin nicht. Wenn er keine Sozialarbeit leistet, müßte er ein Jahr im Hausarrest absitzen. In Rom wird angenommen, daß Berlusconi darauf spekuliert, Staatspräsident Giorgio Napolitano werde ihm die Sozialstunden erlassen. Dazu müßte er jedoch ein Gnadengesuch einreichen, was der Steuerbetrüger bisher ablehnt.

Berlusconis Putschversuch gegen die Regierung scheiterte am Widerstand in seiner eigenen Partei Volk der Freiheit (PdL). Eine von Vizepremier und PdL-Chef Angelino Alfano geführte Dissidentengruppe erschütterte seine bisherige Machtposition als Parteigründer und Strippenzieher und stürzte die PdL in eine schwere Krise. Für die bürgerliche Presse der Anlaß, das Ende des Herrschers einzuläuten. Der Mailänder Corriere della Sera schrieb, mit dessen »politischen und persönlichen Niederlage« gehe die Ära Berlusconi »zu Ende«. Ähnlich die Turiner Stampa, die »den Zusammenbruch des Imperiums Berlusconis« vermerkte. Es sei »vorbei mit dem großen Chef«, schrieb die Zeitung, die als Sprachrohr der in Opposition zu dem Medienmonopolisten stehenden Kapitalkreise gilt.

Berlusconi versucht zu retten, was noch zu retten ist und »die Spaltung aufzuhalten«. Wie La Repubblica berichtete, sagte er eine in Rom geplante Protestkundgebung seiner Anhänger gegen die »Verräter« ab. Zudem rief er nach einem Treffen mit Alfano zur »Einheit der Partei« auf und versprach, deren Führung Alfano zu überlassen. Dieser verfolgt weiter reichende Ziele. Der aus Sizilien stammende 43jährige Jurist kommt aus der alten Democrazia Cristiana (DC), die 1992 im Korruptionssumpf unterging. Seit Berlusconi 1994 seine Partei Forza Italia, die heutige PdL, bildete, hatte er an dessen Seite gestanden und zuletzt als Justizminister von 2008 bis 2011 die Gesetze ausgearbeitet, durch die sich der damalige Regierungschef Dutzenden Strafverfahren entziehen konnte. Zum Kronprinzen und engsten Vertrauten aufgestiegen, setzte ihn Berlusconi 2011 als PdL-Vorsitzenden ein. Unter den Spitzenleuten der Partei wuchs jedoch nach der rechtskräftigen Verurteilung des Medientycoons die Befürchtung, dieser werde bei seinem unaufhaltsamen Sturz die Partei mit in den Abgrund reißen. Deshalb lehnten sie eine von Berlusconi verfolgte Neukonstituierung der PdL unter ihrem Gründernamen Forza Italia als »extremistisch« ab. Statt dessen wollen sie die PdL nach dem Modell der westeuropäischen Christdemokraten in Anlehnung an die frühere DC und unter Einschluß von deren Nachfolgepartei UDC zu einer neuen Mitte-rechts-Partei umwandeln. Auf die Einheitsappelle Berlusconis entgegnete Alfano, entweder nehme dieser daran teil, »oder wir gehen den Weg allein«.

* Aus: junge Welt, Montag, 7. Oktober 2013


»Wir erleben Berlusconis Untergang«

Die Ende des Unternehmers und Politikers ist auch das Ergebnis eines Streits innerhalb der Bourgeoisie. Ein Gespräch mit Sergio Cararo **

Sergio Cararo ist führendes Mitglied des Rete dei Comunisti (Netzwerk der Kommunisten), das in der außerparlamentarischen Linken Italiens eine bedeutende Rolle spielt, und Direktor ihrer Zeitung Contropiano.

Italienische Regierungen genießen üblicherweise keine lange Lebensdauer. Wieviel Zukunft hat Enrico Lettas Kabinett nach der gewonnenen Vertrauensabstimmung Ende September?

Die Regierung Letta wird alles andere als eine kurzlebige Angelegenheit. Mittleres Ziel ist es, in jedem Fall den Juni 2014 zu erreichen, wenn Italien für ein halbes Jahr die EU-Präsidentschaft übernimmt. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß diese Koalition nach Berlusconis Kapitulation bis zum Ende der Legislaturperiode hält.

Ist dies das definitive Ende des »Cavaliere« oder gibt es für ihn noch eine Perspektive?

Mit Berlusconis Niederlage beim Votum über die Regierung Letta ist sein politisches Ende besiegelt. Ihn erwarten darüber hinaus noch weitere Justizverfahren, die auch Gefängnisstrafen vorsehen. Berlusconi hat Alles oder Nichts gespielt, wie ein Glücksspieler. Man kann also durchaus sagen, daß wir Berlusconis Untergang erleben.

Nach zwanzig Jahren Kampf gegen den Medienzaren und dreimaligen Ministerpräsidenten könnte man jetzt jubeln. Sie sprechen jedoch von der »Falle des Anti-Berlusconismus«. Warum?

Berlusconi war ein klassisches Beispiel für die italienische Anomalie: ein Kapitalist, der in die Politik ging, um die eigenen Privatinteressen zu verteidigen etwa gegen den konkurrierenden Finanz- und Verlagskonzern von Carlo De Benedetti, dem die große Tageszeitung La Repubblica mehrheitlich gehört. Fast zwei Jahrzehnte lang bestimmte der Kampf zwischen diesen beiden das politische Leben und die politische Auseinandersetzung. Währenddessen fand in der italienischen Gesellschaft eine tiefgreifende neoliberale Umgestaltung und eine Unterwerfung unter die Diktate der EU-Verträge statt: Privatisierungen, Kürzung von Löhnen und sozialen Diensten, Abbau gewerkschaftlicher und sozialer Rechte sowie institutionelle Gegenreformen und Verfassungsänderungen.

Diese Vorgaben der EU haben einen Teil des mittleren und Kleinbürgertums Italiens, das von den alten Systemen abhängig war, in eine ernsthafte Krise gestürzt. Deshalb ließen sie sich von Berlusconi vertreten. Es gab also einen Machtkampf zwischen zwei Sektoren der italienischen Bourgeoisie, einem rückständigeren und einem globaler agierenden.

In den kommenden Wochen finden große Mobilisierungen gegen die Kürzungspolitik der Regierung und gegen die Verletzung der Verfassung statt. Was ist geplant, und wie beurteilen Sie diese Demonstrationen?

Die Entscheidung für die Demonstrationen am 18. und 19.Oktober entstand aus den sozialen Bewegungen, die mit Hausbesetzungen und Blockaden von Zwangsräumungen für das Recht auf Wohnen kämpfen, weil das Wohnproblem zu einem gravierenden sozialen Notstand geworden ist. Die Bewegungen trafen dabei auf die Basisgewerkschaften USB, CUB und Cobas, die über einen Generalstreik diskutierten, und so wurde beschlossen, eine gemeinsame Mobilisierung auf die Beine zu stellen. Am Freitag, den 18., den Generalstreik und am 19. die Demo für das Recht auf Wohnen.

Für den 12. Oktober hingegen wurde eine Manifestation zur Verteidigung der Verfassung angesetzt, mit dem Aufruf eines demokratischen Juristen wie Stefano Rodotà und des Generalsekretärs der Metallergewerkschaft FIOM-CGIL, Maurizio Landini. Die Inhalte kann man bis zu einem gewissen Punkt teilen, auch wenn darin jedwede Kritik an den EU-Verträgen und am Vorgehen des Präsidenten Napolitano fehlt. Diese Kundgebung hätten sie auch einen Monat später machen können. Doch es wurde beschlossen, sie kurz vor den anderen abzuhalten, um zu verdeutlichen, daß es eine demokratische und eine extremistische Linke gibt.

Rete dei Comunisti engagiert sich für den Aufbau von Ross@. Inwiefern unterscheidet sich dieses Projekt von anderen Versuchen, die italienische Linke zu einen?

Ross@ tritt öffentlich für einen Bruch mit der Europäischen Union ein und strebt eine antikapitalistische Bewegung an, die keine Bündnisse und keine Unterordnung unter die Demokratische Partei (PD) will. Die anderen Optionen, die es innerhalb der Linken gibt, schließen all dies aus.

Interview: Raoul Rigault

** Aus: junge Welt, Montag, 7. Oktober 2013


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