Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Rassistische Hetze

Italiens Rechte greift Ministerin Cécile Kyenge an. Premier Letta hält trotz Mordaufrufen an Koalition mit Berlusconi fest

Von Gerhard Feldbauer *

In Italien ist die 1964 in der Demokratischen Republik Kongo geborene Ministerin Cécile Kyenge von der Demokratischen Partei (PD) am Wochenende von Mitgliedern der faschistischen Forza Nuova mit Bananen beworfen worden, als sie in Cervia, Provinz Ravenna, auf einem Fest ihrer Partei sprach. Es war ein weiterer Höhepunkt der seit Wochen anhaltenden rassistischen Hetzkampagne gegen die Politikerin, die bereits in Aufrufen gipfelte, sie zu töten oder zu vergewaltigen. Mitte Juli verglich der führende Lega-Nord-Politiker und Senatsvizepräsident Roberto Calderoni die Ministerin vor 1500 Teilnehmern einer Veranstaltung unter frenetischem Beifall seiner Gefolgschaft mit einem Orang Utan. Der Politiker ist als notorischer Fremdenhasser bekannt. Als Minister in der faschistoiden Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi forderte er, Flüchtlingsboote zu beschießen und legte Einwanderern und Homosexuellen nahe, sich »zu den Kamelen in der Wüste« zu scheren und »mit den Affen zu tanzen«. Als Italien 2006 das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft gewonnen hatte, hetzte Calderoni, die Franzosen seien unterlegen, weil sie »mit Niggern, Moslems und Kommunisten« angetreten seien.

Calderoni war auch der Autor eines unter Berlusconi eingebrachten und verabschiedeten »Sicherheitspakts«, durch den Migranten bis heute Aufenthaltsgenehmigungen nur noch gebunden an einen Arbeitsplatz und nur noch für ein Jahr erhalten. Wer die Arbeit verliert, ganz gleich aus welchen Gründen, gilt als »illegal eingereist«, was mit einer Geldstrafe von bis zu 10000 Euro bestraft werden kann. Wer »illegal eingewanderten Personen« Unterkunft gewährt oder eine Wohnung vermietet, muß mit bis zu drei Jahren Haft rechnen. Ärzte sind verpflichtet, Patienten ohne Papiere bei den Behörden zu denunzieren. Zur schärferen Überwachung von Einwanderern haben die Lega und faschistische Organisationen wie die Forza Nuova vielerorts Bürgerwehren organisiert, die Migranten terrorisieren.

Cécile Kyenge hatte vor 30 Jahren das damals von Mobuto Sese Seko beherrschte Zaire verlassen, das heute wieder Demokratische Republik Kongo heißt, und kam nach Italien, wo sie Medizin studierte. Seitdem lebt die Augenärztin in dem Mittelmeerland. Seit Ende Februar sitzt sie für ihre Partei in der italienischen Abgeordnetenkammer, am 28. April wurde sie als Migrationsministerin vereidigt. In dieser Funktion setzt sich die Sozialdemokratin für eine Verbesserung der Integration der zu 7,5 Prozent aus Ausländern bestehenden Bevölkerung Italiens ein und fordert dazu eine Reform des Gesetzes über die Staatsbürgerschaft. So sollen in Italien geborene Kinder automatisch die italienische Staatsbürgerschaft erhalten.

Die in der Folge gegen sie entfesselte Hetzkampagne steht vor dem Hintergrund der in Italien schwelenden Regierungskrise. Täglich wird mit einem Auseinanderbrechen der von Staatspräsident Giorgio Napolitano aus Berlusconis faschistoider Partei Volk der Freiheit (PdL), PD-Politikern und der Bürgerliste des früheren Premiers Mario Monti zusammengezimmerten Regierungskoalition gerechnet. Deshalb beschränkte sich Ministerpräsident Enrico Letta, der wie Kyenge der PD angehört, bislang darauf, Calderonis Ausfälle als »unentschuldbar« zu verurteilen, bekundete gleichzeitig jedoch, die Koalition mit der PdL fortsetzen zu wollen. Forderungen der Basis seiner Partei, der Hetzer müsse von seinem Amt zurücktreten und zur Verantwortung gezogen werden, hat er sich nicht angeschlossen. Präsident Napolitano spricht ebenfalls von einem »barbarischen Verhalten« des Lega-Politikers. Gleichzeitig mischt er sich in die italienische Justiz ein und mahnte die Richter vor dem für den heutigen Dienstag erwarteten letztinstanzlichen Urteil gegen Berlusconi wegen Steuerbetrugs in Millionenhöhe, »die Stabilität des Landes nicht zu gefährden«. Das ist nichts anderes als die Forderung nach einem Freispruch für den Mediendiktator.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 30. Juli 2013


Zurück zur Italien-Seite

Zurück zur Homepage