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Drei Ohrfeigen für Berlusconi

Keine Atomkraftwerke in Italien, keine Wasserprivatisierung, keine Extrawurst bei Prozessen

Von Anna Maldini, Rom *

Die Italiener haben entschieden: Sie wollen keine Kernkraft, sie wollen, dass Wasser ein öffentliches Gut bleibt, und sie wollen, dass der Ministerpräsident sich keine Extrawurst bei seinen Prozessen braten darf. Das Referendum vom vergangenen Wochenende hat gezeigt, dass die Wähler nicht weiter dem Flötenspiel des Rattenfängers Silvio Berlusconi erliegen.

Alle politischen Beobachter sind der Meinung, dass am vergangenen Wochenende eigentlich noch ein weiteres Referendum stattgefunden hat: für oder wider die Regierung, für oder gegen Berlusconi. Und auch diese Volksbefragung hat – wie erst jüngst die Kommunalwahlen – eindeutig gezeigt: Silvio Berlusconi hat sein Charisma verloren, er ist nicht mehr der strahlende Held, der von Sieg zu Sieg eilt und nur mit dem Finger zu schnippen braucht, damit ihm die Mehrheit der Italiener unkritisch folgt. Er hatte die Abstimmung zunächst zu verhindern versucht, was ihm die Obersten Richter verboten. Anschließend bezeichnete er die Referenden als »irrelevant« und forderte die Italiener auf, gar nicht erst zu den Wahlurnen zu gehen. Denn hätten sich nicht 50 Prozent der Wähler beteiligt, wäre das Ergebnis bedeutungslos geblieben – wie stets bei Volksabstimmungen in den vergangenen 16 Jahren.

Tatsächlich aber sind über 57 Prozent (rechnet man die Auslandsitaliener hinzu, waren es immer noch fast 55 Prozent) der Wahlberechtigten dem Aufruf der Oppositionsparteien gefolgt. Und von denen haben weit über 90 Prozent die Gesetze der Regierung rundweg abgelehnt. 94,7 Prozent der Abstimmenden waren gegen den Bau von Atomkraftwerken, 95,1 Prozent setzten das Gesetz außer Kraft, das es Berlusconi erlaubte, im Falle »dringender Dienstgeschäfte« seinen vier laufenden Gerichtsverfahren fernzubleiben. Gegen die Privatisierung der Wasserwerke stimmten sogar 95,8 Prozent. Eine klarere Niederlage wäre kaum möglich.

Die Opposition, Umweltschützer und Atomgegner feierten ihren großen Sieg bis in die Nacht auf der Straße. Sie forderten erneut den Rücktritt Berlusconis, einige auch sofortige Neuwahlen.

Tatsächlich ist Italien jetzt in einer besonders kritischen Situation. Einerseits hat das Land eine Regierung, die offensichtlich nicht mehr auf die Mehrheit in der Bevölkerung, wohl aber auf eine komfortable Mehrheit im Parlament zählen kann. Sie kann also auch weiterhin – die Legislaturperiode endet erst im Jahre 2013 – Gesetze verabschieden, die die Regierten nicht wollen. Schon jetzt haben Regierungsvertreter zum Beispiel erklärt, dass sie demnächst ein neues Gesetz verabschieden wollen, das Berlusconi vor Strafverfolgung schützt. Und auch in Bezug auf die Wasserversorgung, die nach Meinung der Italiener in öffentlichen Händen verbleiben soll, denkt man an neue Maßnahmen, mit denen man die Privaten vielleicht doch wieder ins Boot holen kann.

Auf der anderen Seite steht eine extrem breit gefächerte Opposition – von Kommunisten bis zu einigen ultrakonservativen Kräften –, die schon rein formal keine Möglichkeit hat, die Regierung zum Rücktritt zu zwingen. Und auch der Staatspräsident hat keine verfassungskonformen Mittel in der Hand, um das Land aus einer Pattsituation zu befreien, die immer näher an den wirtschaftlichen und sozialen Abgrund führt.

Um so gespannter blickt man jetzt darauf, was in den nächsten Wochen innerhalb der rechtspopulistischen Lega Nord geschieht, die bisher immer stramm hinter Berlusconi und seiner Regierung stand. Die jüngsten Kommunalwahlen haben aber gezeigt, dass die Popularitätskurve dieser Partei abwärts zeigt, und jeden Tag werden mehr Stimmen aus ihrer Anhängerschaft laut, die verlangen, dass man sich endlich von Berlusconi trennt. Im Augenblick wäre dies wohl die einzige Möglichkeit, um diese Regierung zum Rücktritt zu bewegen und ein neues Kapitel aufzuschlagen.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Juni 2011


Wette verloren

Von Kurt Stenger **

Mitte vergangenen Jahres schien die Welt der Atomlobbyisten noch in Ordnung zu sein: Rund um den Globus wurden neue AKW-Programme angekündigt, Deutschland wurde mit seinem Atomausstieg als Aussätziger unter den Industriestaaten hingestellt. Der Chef des Deutschen Atomforums, Ralf Güldner, war sich seiner Behauptung, dass eine AKW-Renaissance unmittelbar bevorstehe, so sicher, dass er mit der Grünen-Politikerin Bärbel Höhn wettete, in Italien werde bis 2020 mindestens ein neues Atomkraftwerk die Stromproduktion aufnehmen. Ansonsten werde er Sekt auf einem Grünen-Parteitag ausschenken.

Mit dem Referendum von Pfingsten ist die Wette nun verlorengegangen. Italien bleibt auf Dauer atomkraftfrei, so will es die Mehrheit der Bürger – und ist sich da mit vielen anderen Europäern einig, die von ihren Regierungen aber lieber nicht befragt werden. Damit hat die vermeintliche Renaissance der Atomenergie einen weiteren Sargnagel bekommen. Deutschland und die Schweiz steigen aus, andere Länder haben Neubaupläne zumindest auf Eis gelegt. Inzwischen fühlt sich eher der französische Staatschef Sarkozy mit seiner starrköpfigen Pro-Atom-Position international isoliert.

Fukushima hat die Sicherheitsrisiken der Atomtechnologie neuerlich sichtbar gemacht. Auch aus finanziellen Gründen wird noch so mancher Staat seine AKW-Pläne beerdigen. Der Atomforumschef kann den Sekt schon mal kaltstellen – aber nicht für seinesgleichen.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Juni 2011 (Kommentar)


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