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Applaus von Unternehmern

In Italien ist das neue Kabinett von Enrico Letta vereidigt worden

Von Gerhard Feldbauer *

Überraschend schnell ist es dem von Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano designierten Vizechef der Demokratischen Partei (PD), Enrico Letta, gelungen, ein Kabinett zu bilden. Am Sonntag wurde die aus der sozialdemokratischen PD und der Partei Volk der Freiheit (PdL) des 2011 gestürzten faschistoiden Premiers und Mediendiktators Silvio Berlusconi sowie der Bürgerliste von Übergangspremier Mario Monti gebildete Koalition vom Staatschef vereidigt.

Mit dem 46jährigen Enrico Letta kommt ein verhältnismäßig junger Politiker an die Spitze des Palazzo. Er betrieb 2007 aus der Führung der katholischen Zentrumspartei Margerita den Zusammenschluß mit den Linksdemokraten zur heutigen PD. 2006 bis 2008 gehörte er der Mitte-Links-Regierung unter Romano Prodi an. Sein Onkel ist Gianni Letta, die rechte Hand Berlusconis in der PdL, was hinter den Kulissen zum Zustandekommen der jetzigen Koalition beigetragen haben dürfte. Letta kündigte an, sich den ernsten Fragen der Wirtschaft, darunter der Arbeit und den sozialen Bereichen, zuwenden zu wollen. PD-Vorsitzender Luigi Bersani, der zuvor eine Regierungsbildung versucht hatte, war am Widerstand Berlusconis gescheitert.

Am heutigen Montag will sich Letta der Vertrauensabstimmung im Parlament und Senat stellen. Es gilt als sicher, daß er die erforderliche Mehrheit erhält. Der Staatschef, der maßgeblich und nach Ansicht der Opposition über seine Kompetenzen hinaus auf die Regierungsbildung Einfluß genommen hatte, nannte die neue Exekutive die »einzig mögliche Lösung«, mit der ein Zeichen »der Einheit« gesetzt worden sei. Auch der Industriellenverband Coinfindustria applaudierte Letta und nannte das Kabinett eine »Regierung der Qualität«.

Nicht nur die Gewerkschaften fragen hingegen, wie der neue Premier seine angekündigten Maßnahmen gegen die Erwerbslosigkeit mit den Forderungen aus Brüssel nach Senkung des Haushaltsdefizits unter einen Hut bringen will. Die Arbeitslosenquote in Italien beträgt mit über drei Millionen Betroffenen elf Prozent. Rechnet man die Menschen hinzu, die auf Gelegenheitsjobs angewiesen sind, sind es sogar fünf Millionen. 2012 machten täglich im Durchschnitt 1000 Betriebe bankrott, Tendenz steigend. Die rigide Kürzungspolitik Montis hat das Staatsdefizit nicht abgebaut, aber den Zinsendienst von jährlich 60 bis 80 Milliarden auf demnächst 2000 Milliarden Euro anwachsen lassen. So wird in Rom gespannt darauf gewartet, was der Premier am Montag, wenn er sich der Vertrauensabstimmung stellt, in seiner Regierungserklärung sagen wird.

Dem von der Tageszeitung La Repubblica »Regierung der Schadensbegrenzung« getauften Kabinett gehören neun Minister der PD, fünf der PdL und drei der Monti-Liste an. Vier sind parteiunabhängig, darunter der bisherige Direktor der Staatsbank Banca d’Italia, Fabrizio Saccomanni, der das Wirtschafts- und Finanzressort übernimmt, und die für Justiz zuständige Annamaria Cancellieri. Ein Drittel des 21 Mitglieder umfassenden Kabinetts sind Frauen, unter ihnen auch die von der PD benannte frühere EU-Kommissarin Emma Bonino, die das Außenministerium übernimmt. Sie war in der bis 2008 unter Romano Prodi mit den Kommunisten gebildeten Regierung Handels- und EU-Ministerin. Das Europaressort übertrug Letta dem parteiunabhängigen Enzo Moavero von der Bürgerliste. Pdl-Chef Angelo Alfano wird Vizepremier und übernimmt gleichzeitig das Innenministerium. Von ihm wird erwartet, für eine Einstellung der gegen Berlusconi laufenden Strafprozesse zu sorgen. Die PdL besetzt ferner mit Senator Mario Mauro das Verteidigungsressort.

Die Linkspartei Umwelt und Freiheit (SEL) Nichi Vendolas kündigte entschiedene Opposition gegen die mit der extremen Rechten gebildete Koalition an. Der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), Beppe Grillo, nannte Lettas Kabinett »eine Regierung der Gauner und Strolche«.

* Aus: junge Welt, Montag, 29. April 2013


Probleme vertuscht

Neue Regierung in Italien

Von Gerhard Feldbauer **


Es scheint eitel Freude vorzuherrschen. Der Staatschef nennt die »Große Koalition« der Demokratischen Partei (PD) mit Berlusconis Volk der Freiheit (PdL) den einzig möglichen Ausweg und lobt sie als einen Beitrag »zur Einheit«. Für den Industriellenverband Confindustria ist es »eine Regierung der Qualität«. Der 2011 gestürzte Expremier Berlusconi zeigt sich als Strahlemann wie seit langem nicht mehr. Das vertuscht die Probleme, die alten wie die neuen.

Sicher wäre es zu begrüßen, daß es jüngere und neue Gesichter gibt und daß ad hoc ein Drittel Frauen ins Kabinett einziehen. Aber stehen sie tatsächliche für positive Veränderungen? Wohl kaum, denn sie alle haben auf die eine oder andere Weise dazu beigetragen, Italien in die gegenwärtige tiefe Krise hineinschlittern zu lassen.

Wenn sich der neue Premier Hoffnungen macht, mit EU-erfahrenen Ministern, mit denen er die für die Außenpolitik und Brüssel zuständigen Ressorts besetzt, für ­Italien bessere Bedingungen aushandeln zu können, dürfte er sich einer besonders hoffnungslosen Illusion hingeben. Am Sitz der EU wie in Berlin ist kein Nachgeben zu erwarten. Die Daumenschrauben werden eher noch fester angezogen.

Italiens neue sozialdemokratische Führerschicht, die einst aus der italienischen KP in die Linkspartei wechselte und sich dann mit dem katholischen Zentrum zusammentat, hat schon seit langem mit den offenen und verkappten Faschisten vom Schlage eines Berlusconi kollaboriert. Davon konnte ein Luigi Bersani ausgenommen werden, und deshalb wurde er bei seinem Versuch, sich bei der Regierungsbildung dem Druck Berlusconis zu widersetzen, ausgebootet – und zwar von Leuten in der eigenen Partei.

Neu an dieser Kollaboration mit offenen und verdeckten Faschisten ist, daß sie nun erstmals in einer gemeinsamen Regierung erfolgt. Das wird schwerwiegende, noch gar nicht abzusehende Konsequenzen für die weitere Entwicklung haben.

Bisher wurde der von der Putschloge P2 erstmals 1994 an die Regierung gehievte Berlusconi, der zu ihrem Dreierdirektorium gehörte, von führenden Kapitalkreisen befördert, die auf seinen hemmungslosen Antikommunismus setzten. Jetzt tun sich mit diesem hochgradig Kriminellen Politiker zusammen, die sich ein sozialdemokratisches Mäntelchen umhängen.

Es ist in Rom ein offenes Geheimnis, daß der in mehreren Strafverfahren u.a. wegen Bestechungsaffären in Millionenhöhe, wegen Sex mit einer Minderjährigen und Amtsmißbrauch angeklagte Berlusconi die Niederschlagung seiner Prozesse zur Bedingung einer Regierungszusammenarbeit gemacht hat. Das soll im Rahmen einer Justizreform erfolgen, in der die Ermittlungsbehörden dem Innenminister unterstellt werden, der dann die Einstellung der Verfahren anordnen kann. Das zuständige Ressort hat der Chef von Berlusconis PdL, Angelo Alfano, übernommen, der obendrein Vizepremier geworden ist. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Justiz dem unterordnen wird und damit eine der drei Säulen der Gewaltenteilung in der bürgerlichen Gesellschaft zu Fall bringen läßt.

** Aus: junge Welt, Montag, 29. April 2013 (Kommentar)


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