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Keine Entschädigung

Historikerkommission legt Bericht zur deutsch-italienischen Kriegsvergangenheit vor: Gefordert werden Forschungen und Gedenkstätten

Von Frank Brendle *

Nach über drei Jahren Arbeit hat die deutsch-italienische Historikerkommission kurz vor Weihnachten im italienischen Außenministerium in Rom ihren Abschlußbericht vorgestellt. Die Historiker kritisieren, daß in beiden Ländern verzerrte Erinnerungen an das deutsch-italienische Verhältnis im Zweiten Weltkrieg vorherrschen.

Bei der Präsentation des Berichtes betonten die Außenminister Italiens und Deutschlands das Ziel einer »gemeinsamen Erinnerungskultur«. Nicht erinnert wurde allerdings daran, daß beide Länder die Kommission in Reaktion auf Urteile der italienischen Justiz eingerichtet hatten. Diese hatte die BRD zu Entschädigungen in Millionenhöhe an NS-Opfer verurteilt, was die Bundesregierung aber nicht anerkennen wollte. Sie ging – erfolgreich – vor dem Internationalen Gerichtshof gegen Italien vor und betonte, sie sei allenfalls zu »Gesten« bereit. Dazu gehörte die Kommission, die unter Vorsitz renommierter Historiker – Wolfgang Schieder und Mariano Gabriele – ein Budget von 355 000 Euro erhielt und ohne Vorgaben arbeiten konnte. Dennoch enthält ihr Abschlußbericht zwar Vorschläge für weitere Forschungsarbeiten, setzt sich aber mit ihrer politischen Funktion nicht auseinander und erwähnt die Entschädigungsforderungen mit keiner Silbe.

»Kein Aufrechnen«

Die Kommission legt dar, daß in beiden Ländern die Erinnerung an das gegenseitige Verhältnis im Zweiten Weltkrieg von Vorurteilen und Stereotypen durchzogen sei. In Deutschland würden die Kriegsverbrechen der deutschen Truppen und das Leid der Italiener zumeist ignoriert. In Italien hingegen erinnere man sich lieber an den Kampf der Partisanen als daran, daß man bis 1943 in Waffenbruderschaft mit dem Nazireich stand und im Norden des Landes auch danach noch kollaboriert wurde.

»Zugespitzt gesagt müßten die Deutschen in ihrer historischen Erinnerungskultur anerkennen, daß die Italiener nicht nur Mittäter waren, sondern auch Opfer. Die Italiener ihrerseits müßten akzeptieren, daß sie nicht nur Opfer waren, sondern in gewissem Umfang auch Helfershelfer und Mittäter«, heißt es im Bericht, der betont, daß damit kein »Aufrechnen« erfolgen dürfe.

Die Historiker machten in einer Reihe von Archiven und Bibliotheken, aber auch privaten Beständen, bislang unausgewertetes Material ausfindig, das die individuellen Erfahrungen von Deutschen und Italienern zwischen 1943 und 1945 festhält. Erste »wissenschaftliche Probebohrungen« dieser Tagebücher, Briefe und Fotografien zeigten, daß die bis heute gepflegten Erinnerungen in vielen Fällen stark von den tatsächlich gemachten und damals festgehaltenen Erfahrungen abweichen. So sei das Verhältnis zwischen deutschen und italienischen Soldaten bis 1943 weit weniger belastet gewesen, als hinterher erinnert. Der Frontwechsel Italiens, das sich im September 1943 nach dem Sturz Mussolinis den Alliierten anschloß, sei als »Verrat« wahrgenommen worden. Befördert von der NS-Propaganda seien »Haß und bittere Wut« häufig »die letzten Assoziationen deutscher Soldaten mit Blick auf Italien« gewesen.

Auf italienischer Seite sei hingegen der Kampf der Resistenza keineswegs nur auf Zustimmung gestoßen. Aus Angst vor deutschen Racheakten habe es auch Ablehnung und sogar offene Kampfansagen gegen die Partisanen gegeben.

Die deutschen Truppen hätten vor allem im Sommer und Herbst 1944 einen regelrechten »Krieg gegen die Zivilbevölkerung« geführt, mit vereinzelter Beteiligung von Mussolini-treuen Einheiten. In einer von der Kommission erstellten Datenbank sind bislang 3888 Gewaltakte mit 7322 ermordeten Zivilisten erfaßt. Insgesamt müsse man aber von 10000–15000 Toten ausgehen, so die Historiker.

Schicksal der Internierten

Am intensivsten widmet sich der Bericht dem Schicksal der 600000 italienischen Soldaten, die im September 1943 in deutsche Gefangenschaft kamen. Im Reich standen sie »am Ende der politisch-rassistischen Hierarchie«. Der Status als Kriegsgefangene wurde ihnen verweigert, so daß sie nicht einmal Pakete des Roten Kreuzes erhielten. Eine Entschädigung hierfür verweigert Deutschland bis heute. Mindestens 25000 Gefangene starben. In Italien hätten die Militärinternierten (IMI) lange im Schatten der Resistenza gestanden. Es sei »überfällig, ihrem Schicksal in der politischen Erinnerungskultur Deutschlands und Italiens einen besonderen Platz einzuräumen«, fordern die Historiker. Zu diesem Zweck solle unter Einbeziehung der IMI-Traditionsverbände eine Gedenkstätte geschaffen werden. Als Standort wird das ehemalige Zwangsarbeiterlager in Berlin-Niederschöneweide vorgeschlagen. Die Bundesregierung hat bereits ihre Bereitschaft zu einem finanziellen Engagement erklärt.

Die Historiker schlagen darüber hinaus die Gründung einer Zeitgeschichtsstiftung und andere Maßnahmen vor, um die »Erfahrungsgeschichte« von Deutschen und Italienern weiter zu erforschen.

Kritik an der Kommission kommt vom »Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte« in Köln: Genauso wichtig wie die Erinnerung an die Opfer des Naziterrors sei es, »den Überlebenden Respekt und Anerkennung entgegenzubringen und zumindest ansatzweise Gerechtigkeit zu schaffen«. Es sei traurig, »daß die Historikerkommission sich noch nicht einmal zu einem Appell an die deutsche Regierung durchringen konnte, den überlebenden IMI die Entschädigung zukommen zu lassen, um die sie bisher betrogen worden sind«. Lars Reissmann vom AK Distomo, der sich ebenfalls für NS-Opfer einsetzt, warf der Kommission »politische Trostlosigkeit« vor, weil sie zwar ein Denkmal als lohnend vorrechne, aber die Entschädigungsfrage ausspare. Damit habe sie »ganz im Sinne der Bundesregierung gearbeitet«.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 02. Januar 2013


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