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Erbe der Resistenza

Italien beging 70. Jahrestag der Befreiung des Landes. Würdigung des Widerstands. Bezug auf "soziales Modell"

Von Gerhard Feldbauer *

Mit den führenden Repräsentanten des Staates, des Parlaments und der Regierung von der sozialdemokratischen Demokratischen Partei (PD) an der Spitze feierte das antifaschistische und demokratische Italien am vergangenen Sonnabend den Jahrestag der Befreiung vom Faschismus. Am 25. April vor 70 Jahren hatte das Komittee der nationalen Befreiung im Radio den Sieg der Partisanenbewegung erklärt – und der Anführer der italienischen Faschisten, Benito Mussolini, war aus seinem Versteck in Salò geflohen. Staatspräsident Sergio Mattarella schritt in Rom eine Ehrenformation der Streitkräfte ab und legte am »Altar des Vaterlandes« gegenüber dem Forum Romanum einen Kranz nieder. Anwesend waren u. a. Senatspräsident Pietro Grasso und Verteidigungsministerin Roberta Pinotti.

Mattarella begab sich anschließend nach Mailand, wo er ebenfalls einen Kranz niederlegte und im Piccolo Teatro auf einer Festveranstaltung sprach. In Mailand hatte am 25. April 1945, noch während der schweren Kämpfe, das Nationale Befreiungskomitee für Oberitalien (CLNAI) die Macht übernommen. Mattarella würdigte den historischen Beitrag, den die italienische Resistenza mit dem Befreiungskrieg zum Sieg der Antihitlerkoalition über den Nazifaschismus leistete. Die nach dem Sturz der Monarchie und der Proklamation der Italienischen Republik angenommene Verfassung mit ihren antifaschistischen Grundsätzen bezeichnete er als »das grundlegende Ergebnis des 25. April«, als den »Eckpfeiler der Zivilisation«, ein »soziales Modell« und »Fundament der Ethik«.

In der Verfassung ist noch heute »das Recht auf Arbeit« verankert. Und so war es bedeutungsvoll, dass der Staatschef den Kampf um dieses Recht wie auch gegen die Korruption und die Mafia die »Priorität der Prioritäten« nannte. Ministerpräsident Matteo Renzi nahm in Florenz, wo er früher Bürgermeister war, an den Veranstaltungen der Stadt teil. Sie war am 11. August 1944 vier Wochen vor dem Eintreffen der alliierten Truppen von Partisanen befreit worden.

An unzähligen Plätzen wurde des bewaffneten Widerstandes gedacht. So auch in der Via Tasso, wo am 23. März 1944 Männer und Frauen der städtischen Partisanen einen Anschlag auf eine SS-Einheit verübt und 32 Soldaten getötet. 335 an dem Überfall nicht beteiligte Männer, Frauen und selbst Kinder waren daraufhin von den deutschen Besatzern in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom ermordet worden. Die dort errichtete Gedenkstätte wurde von vielen Italienern besucht und in ein Meer von Blumen verwandelt.

In Genua, der mit der Goldmedaille des Widerstandes ausgezeichneten Hafenstadt, feierten Tausende und begaben sich in die Villa Migone, wo der Wehrmachtskommandant, Generalmajor Günther Meinhold, am 25. April 1945 vor dem Arbeiter und Mitglied des CLNAI, Remo Scappini, die Kapitulationsurkunde unterzeichnet hatte und mit 9.000 Soldaten in Gefangenschaft gegangen war.

Parlamentspräsidentin Laura Boldrini besuchte das Haus der Familie Cervi in Reggio nell’Emilia, das heute ein Museum ist. Dieses ist den sieben Brüdern Cervi gewidmet, die als Partisanen in die Hand der Mussolini-Faschisten geraten waren und im Gefängnis von Parma alle umgebracht worden waren. Gast der italienischen Politikerin war der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz, der an der Begegnung teilnahm. Boldrini appellierte an die zahlreichen anwesenden Jugendlichen, das Erbe der Resistenza wachzuhalten und in seinem Geist zu wirken. Sie sang mit den Besuchern das legendäre Partisanenlied »Bella Ciao«, das auf vielen Veranstaltungen dieses Tages erklang.

Die Feiern zum Beginn des bewaffneten Aufstandes am 25. April 1945, der in der Verfassung als »Tag der Befreiung vom Faschismus« festgeschrieben wurde, waren eine demonstrative Abfuhr an die in den vergangenen Jahren von den extrem rechten Kräften um den faschistoiden dreimaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi unternommenen Versuche, die antifaschistischen Grundsätze aus der Verfassung und das Erbe der Resistenza auszulöschen. Das machte nicht nur Präsident Mattarella deutlich, der sagte: »Der Antifaschismus ist ein grundlegendes Element der Demokratie«.

* Aus: junge Welt, Montag, 27. April 2015


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