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Gladio gegen Mitte-links

Im Juni 1964 wollte die geheime Truppe die Regierung Aldo Moro liquidieren

Von Gerhard Feldbauer *

Angeblich war die geheime ­NATO-Armee Gladio aufgestellt worden, um im Falle einer sowjetischen Invasion im besetzten Gebiet stay behind, also hinter den Linien, Widerstandsaktionen durchzuführen. Als Gladio am 23. Oktober 1990 in Italien aufgedeckt wurde, kam, wie die Geheimdienstexperten Giovanni Bellu und Giuseppe D’Avanzo in ihrem aufsehenerregenden Buch »I Giorni di Gladio« (Die Tage von Gladio, 1991) schrieben, ans Licht, daß die Truppe bereits seit ihrer Gründung Anfang der 1960er Jahre vielmehr »gegen poten­tielle Komplizen« eingesetzt wurde.

Führende Militärs packten aus. General Edgardo Sogno, langjähriges Mitglied des Gladio-Stabs, wurde im Fernsehsender RAI2 gefragt: »Was hätten Sie getan, wenn die Kommunistische Partei (IKP) mit legalen Mitteln an die Macht gekommen wäre?« »Dann hätten wir den Bürgerkrieg entfesselt«, lautete seine Antwort. General Gerardo Serravalle, von 1971 bis 1974 Gladio-Kommandeur, erklärte, daß in der Truppe die Meinung vorherrschte: »Wenn die Russen kommen, erhalten die bestimmt Hilfe von unseren Kommunisten. Warum sollen wir warten, bis die Invasion da ist. Bringen wir die Sache doch gleich hier in Ordnung.« Der General weiter: Bei einem Gladio-Manöver wollten die Teilnehmer allen Ernstes übungshalber »gleich mal alle auffindbaren Kommunisten umbringen«. Vor der Gladio-Kommission des Parlaments sagten Offiziere aus, daß Gladio »zu verdeckten Operationen« eingesetzt wurde, »die das Ziel hatten, die italienischen Kommunisten um jeden Preis von der Regierung fernzuhalten«.

Als der Führer der Democrazia Cristiana (DC), Aldo Moro, ein Regierungsabkommen mit IKP-Generalsekretär Enrico Berlinguer schloß, wurde er am 9. Mai 1978 in einem von der CIA inszenierten Mordkomplott, in das die von Agenten manipulierten »Roten Brigaden« einbezogen wurden, liquidiert. Bei der Aufdeckung der Gladio-Verbrechen wurde auch enthüllt, daß der DC-Führer zumindest zeitweise in einem Gladio-Stützpunkt bei Rom gefangengehalten worden war (siehe jW-Geschichte vom 4.5.2013).

Gegen Linksöffnung

Moro war, seit er 1949 gegen den ­NATO-Beitritt Italiens auftrat, ein entschiedener Gegner einer Einmischung durch die USA und wurde ab 1963 zur Zielperson der ersten großen Gladio-Operation. Im Ergebnis des nach dem Beitritt zur NATO 1949 eingeschlagenen proatlantischen Kurses erlitt die DC schwere Wahlverluste. Von 48,5 Prozent bei den Parlamentswahlen 1948 sank ihr Stimmanteil bis zum April 1963 auf 38,3 Prozent und sie war auf Koalitionen angewiesen. Der erstmals mit der Regierungsbildung beauftragte Moro brach mit dem Rechtskurs und begann seine »Apertura a Sinistra« (Öffnung nach links). Die 1947 auf Geheiß der USA wie die Kommunisten aus dem Kabinett verjagten Sozialisten wurden wieder in die Regierung aufgenommen. Auf die Einbeziehung der Kommunisten verzichtete Moro zunächst, nachdem sein Freund, der Präsident des staatlichen Energiekonzerns ENI, Enrico Mattei, der die IKP in »kraftvolle soziale und ökonomische Reformen« einbeziehen wollte, deswegen im Oktober 1962 einem Anschlag auf sein Privatflugzeug zum Opfer gefallen war. Ein Offizier der CIA-Truppe hatte vor dem Start an der Maschine manipuliert.

Als Moro am 5. Dezember 1963 seine erste, »Centro Sinistra« (Linkes Zentrum) getaufte Regierung mit den Sozialisten bildete, wollten Pentagon und CIA darauf mit einem faschistischen Staatsstreich antworten. Der US-Botschafter in Rom, Frederick Reinhardt, bildete einen Krisenstab, der »die Linie des Eingreifens« beriet. Die militärische Leitung vor Ort übernahm der Militärattaché Oberst Vernon Anthony Walter, der Italien bereits aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges kannte, als er Adjutant bei US-General Mark Clark war. Wie der Publizist Roberto Faenza 1976 schrieb, forderte Walters, daß »die Vereinigten Staaten ohne zu zögern das Land militärisch besetzen müßten«. Washington wollte jedoch das Problem zunächst mit einem Colpo di Stato, mit einem Staatsstreich, aus der Welt schaffen. Mit der Vorbereitung der Operation beauftragte die CIA den vorherigen Chef des militärischen Geheimdienstes SIFAR, General Giovanni de Lorenzo, einen Monarchisten und faschistisch orientierten Militär, der später auch offiziell der Mussolini-Nachfolgepartei Movimento Sociale Italiano beitrat. Er war bereits während der Verhandlungen Moros mit den Sozialisten über ihre Aufnahme in die Regierung präventiv am 14. Oktober 1963 zum Chef des Carabinieri-Korps ernannt worden, mit dem er, zusammen mit Faschisten und Gladio-Einheiten, den Putsch durchführen sollte.

Shitstorm gegen IKP

Nach der Amtseinführung der Regierung Moro liefen die Putschvorbereitungen auf Hochtouren an. Im Auftrag De Lorenzos fabrizierte SIFAR-Oberst Renzo Rocca für führende Politiker, die gegenüber einer »harten Unterdrückungspolitik« gegen Linke Vorbehalte hegten, Berichte, die »ein so schweres Bild vor Augen führten, daß jede Gewaltaktion rechtfertigen konnte«. Er erfand Informationen über »gefährliche Aktivitäten« der IKP, darunter über eine »Sitzung der kommunistischen Führer«, auf welcher »der Krieg gegen die Regierung«, die Vorbereitung der »Revolution und die Machtübernahme in den Regionen und im ganzen Land« beraten worden sei. Details aus solchen »Berichten« wurden an verschiedene Zeitungen lanciert, in denen von der CIA bezahlte Redakteure saßen.

Nach Weisungen von Walters ließ de Lorenzo »schwarze Listen« von »verdächtigen« Funktionären der linken Parteien, Gewerkschaftsführern, Antifaschisten und Politikern bürgerlicher Parteien anlegen. Unter der unglaublichen Zahl von 157000 Personen befanden sich der Vorsitzende der Sozialdemokraten, Giuseppe Saragat, Minister und hohe Regierungsbeamte sowie als »unzuverlässig« eingestufte Offiziere. Die Personen sollten bei Auslösung des Staatsstreichs verhaftet und auf zwei Sardinien vorgelagerten Inseln in Konzentrationslager gesperrt werden. Wie die Geheimdienstexperten Antonio und Gianni Cipriano 1991 darlegten, sollten manche von ihnen nach dem in den Gladio-Einheiten herrschenden faschistischen Geist gleich umgebracht werden.

Der rechte Christdemokrat Antonio Segni, Staatspräsident von 1962 bis Ende 1964, stimmte zu, »eine Söldnertruppe für künftige Umsturzaktionen« bereitzustellen, bei der es sich um die bereits im Aufbau befindliche Gladio-Division handelte, deren Existenz geheimgehalten und erst 1990 aufgedeckt wurde. Den Aufbau übernahm Oberst Rocca, der dazu in Washington entsprechend eingewiesen wurde. Nach Rom zurückgekehrt, übergab ihm der Chef der CIA-Station, William Harvey, aus seinem Archiv eine Liste von 2000 Personen aus faschistischen paramilitärischen Formationen als Grundstock für die Aufstellung einer Gladio-Division. Die gesamte Finanzierung übernahm die CIA.

Moro verfügte über Kontakte zu Personen aus Militärkreisen, die mit dem verfassungswidrigen Aufbau der Gladio-Division nicht einverstanden waren. Darauf war es zurückzuführen, daß am 24. Juni 1964 erste Andeutungen in Zeitungen auftauchten, worauf die CIA die geplante Operation abblies. Wie Bellu und D’Avanzo berichteten, waren in die Vorbereitung des geplanten Gladio-Putsches zahlreiche hochrangige Militärs und Geheimdienstleute einbezogen. 1966 befaßte sich eine Parlamentskommission mit den Ereignissen. Während der Untersuchung fanden mehrere Mitwisser, von denen man befürchtete, sie könnten aussagen, den Tod, darunter Oberst Rocca, die Carabinieri-Generäle Giorgio Manes und Carlo Ciglieri. Die Machenschaften von Gladio kamen so nicht ans Licht.

Vernon Anthony Walters – der »einsame Wolf«

Von welchem Kaliber war der Mann, der eine Schüsselfigur beim Aufbau von Gladio war? Er wollte die Regierung des linken Christdemokraten Aldo Moro mit den Sozialisten mit einem faschistischen Militärputsch liquidieren, bei dem unliebsame Politiker in Konzentrationslager gesperrt und manche auch gleich umgebracht werden sollten. Vernon Anthony Walters ging nach seinem Einsatz in Rom zum NATO-Kommando in Paris, dann in den Stab von Präsident Truman.

Unter seiner Regie wurde der Centauro-Plan erarbeitet, nach dem auch der Sturz des sozialistischen Präsidenten Chiles, Salvador Allende, inszeniert wurde. Unter Präsident Richard Nixon avancierte er im Generalsrang zum stellvertretenden CIA-Direktor. Er war bei den Pariser Verhandlungen zur Beendigung des US-Krieges dabei, den er in seinen Memoiren einen »der nobelsten und selbstlosesten Kriege« nannte. »The lone Wolf« (Der einsame Wolf) genannte Chefagent beendete in den Jahren 1989 bis 1991 seine Geheimdienstkarriere im Diplomatenanzug in Bonn, wo er als Botschafter das Kommando übernahm, um, wie er es formulierte, »die letzte Ölung zu geben, bevor der Patient (die DDR) stirbt«, oder anders ausgedrückt, »dem sowjetischen Sicherheitssystem das Herz herauszureißen«.

* Aus: junge Welt, Samstag, 21. Juni 2014


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