Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Nippon rückt nach rechts

Ehemaliger Regierungschef vor neuem Wahlsieg: Verhältnis zu China droht sich weiter zu verschlechtern

Von Sebastian Maslow *

Mehr als 39 Prozent der japanischen Wähler wollen Shinzo Abe als Premierminister. Das geht aus einer Kyodo-Umfrage vom Dienstag hervor. Damit hat sich der Abstand zum derzeitigen Regierungschef Yoshihiko Noda auf fast 10 Prozentpunkte vergrößert. Abe wäre der siebte japanische Premierminister in nur sechs Jahren.

Dabei waren die Hoffnungen auf einen politischen Wandel groß, als die Liberaldemokratische Partei (LDP), die mehr als ein halbes Jahrhundert fast ununterbrochen regiert hatte, im Jahre 2009 abgewählt wurde. Die Demokratische Partei (DPJ) stand für einen Neuanfang. Sie versprach Kindergeld, kostenlose Schulen, die Energiewende und eine Politik der Transparenz. Doch kaum ein Ziel wurde erreicht. Gerade einmal 70 Mandate werden der DPJ noch in Aussicht gestellt. Vor drei Jahren hatte sie 309 der insgesamt 480 Sitze im japanischen Unterhaus erobert.

Jetzt ist es LDP-Chef Shinzo Abe, der sich für ein »neues Japan« einzusetzen verspricht. Regierungserfahrungen hat der 58-jährige Rechtskonservative bereits. Schon einmal - 2006 - führte er die Geschäfte, damals als Nachfolger des erfolgreichen Junichiro Koizumi. Abe galt als Garant für die Fortsetzung des Koizumi-Kurses - und scheiterte. Korruptionsskandale, der Selbstmord eines Kabinettsmitglieds und Schlampereien bei der Digitalisierung der japanischen Rentendokumente zwangen Abe nach nur einem Jahr zum Rücktritt. Freilich führte der gescheiterte Premier gesundheitliche Gründe für seinen Rückzug an.

Abe gilt als Verfechter nationalistischer Reformen. Prominent war er geworden, als Nordkorea 2002 zugab, in den 70er und 80er Jahren japanische Staatsbürger entführt zu haben. Auf der Welle des Protestes in seiner Heimat schwimmend, setzte sich Abe seinerzeit für harte Sanktionen gegen Pjöngjang ein - und empfahl sich damit als Premierminister. In seiner ersten Amtszeit verordnete er denn auch mehr Nationalismus im Schulunterricht. Unter seiner Regierung erhielt Japan 2007 erstmals ein Verteidigungsministerium. Als seine Lebensaufgabe bezeichnet er die Reform der japanischen Friedensverfassung. Darin hatte das Land auf die Aufstellung einer Armee und das Recht auf Kriegsführung verzichtet. Abe fordert, die Nachkriegsverfassung den Realitäten anzupassen, die hochmodernen »Selbstverteidigungsstreitkräfte« als Armee zu legitimieren und Auslandseinsätze zu vereinfachen.

Der lahmenden Wirtschaft will der voraussichtliche Wahlsieger unter anderem mit einem Konjunkturpaket in Höhe von umgerechnet 1,89 Billionen Euro auf die Sprünge helfen. Außerdem kündigte er an, auf eine Erhöhung der Umsatzsteuer zu verzichten, die das Parlament erst im August auf Drängen des amtierenden Premiers Yoshihiko Noda (DPJ) beschlossen hatte: Von derzeit 5 Prozent sollte die Steuer bis 2015 auf 10 Prozent angehoben werden, Befürworter sehen darin ein wichtiges Mittel zur Finanzierung der Sozialsysteme. Denn bis 2050 wird Japans Bevölkerung ein Durchschnittsalter von 52 Jahren erreichen, Nippon wird damit die älteste Industrienation der Welt sein.

Mit Sorge erfüllt Beobachter aber vor allem Abes künftiger Einfluss auf das Verhältnis zu China. Seit Monaten belastet der Streit um die Senkaku- oder Diaoyutai-Inseln die Beziehungen zwischen beiden Staaten. Nodas DPJ war auf Schadensbegrenzung bedacht, unter Abe und der LDP könnte der Konflikt eskalieren. Die Folgen wären für Japan fatal, denn China ist wichtigster Exportmarkt der japanischen Wirtschaft. Allein im September hat der Inselstreit den zweiseitigen Handel um 10,3 Prozent einbrechen lassen, ein Minus von 7 Milliarden US-Dollar. Außerdem kündigte Abe an, dass er auch als Premier den Yasukuni-Schrein besuchen werde. Der Schrein gilt in Asien als Symbol des japanischen Militarismus, denn dort wird nicht nur aller Kriegsopfer gedacht, sondern auch hochrangiger Kriegsverbrecher.

Vieles in Japans künftiger Regierungspolitik wird auch vom Koalitionspartner abhängen, denn die LDP braucht eine Zweidrittelmehrheit im Unterhaus, um das Oberhaus zu überstimmen, wo die Demokraten zumindest bis Juli 2013 noch die Mehrheit haben. Mehr als zehn Parteien stellen sich am Wochenende der Wahl. Stärkste Kraft nach LDP und DPJ könnte die Restaurationspartei (JRP) werden, die vom ehemaligen Tokioter Gouverneur Shintaro Ishihara geführt wird. Der Rechtspopulist Ishihara hatte den Inselstreit mit China vor Monaten angefacht. Er steht für einen klaren nationalistischen Kurs, der selbst innerhalb seiner Partei umstritten ist. Klare Koalitionsbekenntnisse gibt es jedoch bisher nicht.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 15. Dezember 2012


Zurück zur Japan-Seite

Zurück zur Homepage