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Japan verteidigt sich jetzt "aktiv"

China kritisiert Tokios neue Strategie

Mon Sebastian Maslow, Tokio *

Japans Regierung verabschiedete Ende vergangener Woche neue Verteidigungsrichtlinien, die eine strategische Neuausrichtung seiner Streitkräfte vorsehen. Mit erhöhter Flexibilität und Mobilität will Tokio einer veränderten Sicherheitslage nach dem Ende des Kalten Krieges Rechnung tragen.

Mit dem Konzept einer »dynamischen Verteidigung« glaubt Japan, auf den zunehmenden militärischen Einfluss Chinas in der Region und auf vermeintlich von Nordkorea ausgehende Bedrohungen reagieren zu müssen. Vorgesehen ist eine Verstärkung der japanischen militärischen Präsenz im Ostchinesischen Meer.

Nachdem die Demokratische Partei Japans im August 2009 in die Regierungsverantwortung gewählt worden war, sollte eine neue Verteidigungsstrategie ursprünglich bereits im Dezember 2009 vom damaligen Premier Yukio Hatoyama vorgelegt werden. Während Hatoyama bemüht war, Japan stärker in eine ostasiatische Gemeinschaft einzubinden, findet sein Nachfolger Naoto Kan nun ungewöhnlich scharfe Worte gegenüber China. In den neuen Richtlinien wird auf Chinas steigende Rüstungsausgaben, militärische Modernisierung und zunehmende Aktivitäten zur See verwiesen, die bei fehlender Transparenz in Peking »Anlass zur Sorge für die regionale und die internationale Gemeinschaft« darstellten. Einen »akuten, schwerwiegenden Faktor für Instabilität« stelle überdies die Koreanische DVR mit ihrem Atom- und Raketenprogramm dar.

Japans Beziehungen zu China gelten derzeit als kühl. Auslöser für Unstimmigkeiten war der Zusammenstoß eines chinesischen Fischerboots mit zwei Schiffen der japanischen Küstenwache vor den japanisch kontrollierten Senkaku- (Diaoyu)-Inseln, der zur Festnahme des chinesischen Kapitäns führte. Peking reagierte darauf mit diplomatischem und wirtschaftlichem Druck und beschränkte die Ausfuhr wichtiger Rohstoffe nach Japan. Bereits im April hatte Peking Proteste in Japan ausgelöst, als zehn Schiffe seiner Flotte japanisches Gewässer im Ostchinesischen Meer für ein Manöver im Pazifik kreuzten.

Angesichts dieses »komplexen Sicherheitsumfelds« sei die neue Strategie seiner Regierung »innovativ«, erklärte Verteidigungsminister Toshio Kitazawa am Freitag auf einer Pressekonferenz.

In China stieß Japans neue Strategie auf deutliche Kritik. Außenministeriumssprecherin Jiang Yu erklärte, Tokio missverstehe die chinesischen Absichten. Chinas Entwicklung habe enorme Möglichkeiten für weltweiten Wohlstand geschaffen. »Gewisse Länder« hätten kein Recht, sich zu Sprechern der internationalen Gemeinschaft zu erklären und China auf »unverantwortliche Art« zu kritisieren.

Konkret enthalten die japanischen Pläne eine Reduzierung der bisher vorwiegend im nördlichen Hokkaido – nahe Russland – stationierten Landstreitkräfte. Die Zahl der Panzer und der Artilleriegeschütze wird um ein Drittel verringert. Dafür soll die Zahl der U-Boote in den kommenden zehn Jahren von 16 auf 22 wachsen. Auch das Raketenabwehrsystem wird ausgebaut. Die neuen Kapazitäten sollen unter anderem in der südlichen Inselprovinz Okinawa errichtet werden, wo auch ein Großteil der mehr als 35 000 in Japan stationierten US-Soldaten operiert. Dazu sehen die Richtlinien eine intensivere Militärzusammenarbeit mit den USA und eine Verstärkung der Kooperation mit Staaten wie Südkorea, Australien, und Indien vor.

Damit folgt Tokio in weiten Teilen den Forderungen Washingtons nach mehr »militärischem Profil«. Obwohl Japan in seiner Nachkriegsverfassung auf Streitkräfte und das Recht auf Kriegsführung verzichtet hatte, gehört sein 1954 gegründetes Militär mit rund 240 000 Soldaten heute zu den modernsten Armeen der Welt. Sie beteiligte sich nicht nur an UN-Einsätzen, sondern auch an der USA-Invasion in Irak.

Mit seiner Forderung nach einer Lockerung des Verbots von Waffenexporten konnte sich Kan allerdings nicht durchsetzen. Aus Rücksicht auf die Sozialdemokratische Partei, deren Stimmen Kans Regierung im Parlament benötigt, wurde eine Entscheidung darüber aufgeschoben. Allerdings heißt es in den neuen Richtlinien, dass Japan die Möglichkeit zur Teilnahme an internationalen Rüstungsprojekten untersuchen werde.

* Aus: Neues Deutschland, 20. Dezember 2010


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