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Strebt die japanische Rechte Nuklearwaffen an?

Von Conn Hallinan *

Hinter der gegenwärtigen Sackgasse, in der sich China, Japan und Taiwan wegen fünf winziger Landflecken im Ostchinesischen Meer befinden, steht eine einflussreiche rechte Bewegung in Japan, die die Krise überhaupt erst ausgelöst hat. Sie benutzt diese Krise, um Japans auf Frieden verpflichtete Nachkriegsverfassung zu unterminieren und möglicherweise das ein halbes Jahrhundert währende Tabu der Produktion von Atomwaffen zu brechen.

Der Streit über die Inseln, die China die Diaojus, Taiwan die Diaojutais und Japan die Senkakus nennt, währt schon seit längerem, aber er kochte über, als der rechte Gouverneur von Tokio, Schintaro Ischihara, eine Konfrontation mit China provozierte, indem er versuchte die unbewohnten Inseln ihren Besitzern abzukaufen. Als die japanische Regierung drei dieser Inseln kaufte, vorgeblich um sie nicht in die Hände von Ischihara gelangen zu lassen, beschuldigte China Japan, den umstrittenen Archipel zu „stehlen“.

Ischihara, der schon lange auf den Bau Atomwaffen gedrängt hat, wird im Allgemeinen als ein etwas unberechenbarer Faktor porträtiert – der Economist nennt ihn den „alten Spitzbuben der japanischen Rechten“ – aber er stellt alles andere als eine Ausnahme dar. Toru Haschimoto, Führer der rechtsgerichteten National Japan Restoration Association und gerade neu gewählter Bürgermeister von Osaka, ist einer vom gleichen Schlag.

Haschimoto und Ischihara bestreiten beide die Belege für japanische Grausamkeiten während des 2. Weltkriegs, insbesondere das entsetzliche Massaker von Nanking in China und die sexuelle Versklavung von koreanischen Frauen – alles Empfindungen, die ihren Widerhall finden bei einigen führenden japanischen Politikern, von denen viele den Erwerb von Atomwaffen durch Japan befürworten.

Die kürzlich erfolgte Wahl vom früheren Premierminister Schinso Abe zum Führer der Liberalen Demokratischen Partei (LDP) ist dafür ein Beleg. Für die bevorstehenden Wahlen gilt die LDP als Favorit, und Abe, der Premierminister werden würde – fordert ein Annullierung der 1993 erfolgten Entschuldigung für den Einsatz von sexueller Sklaverei durch die kaiserliche japanische Armee. Er strebt ebenfalls danach, den Artikel 9 der japanischen Verfassung zu streichen, der Japan das Führen von Kriegen verbietet.

Seit kurzem äußert sich Abe zwar nur vage über Atomwaffen, aber bevor er 2006 Premierminister wurde, argumentierte er, dass die japanische Verfassung es dem Land erlaube Atomwaffen herzustellen, so lange diese nur defensiven Charakter hätten. Hierin pflichten ihm zahlreiche führende Persönlichkeiten seiner Partei öffentlich bei.

Die ehemaligen Minister Taro Aso und Schoitchi Nakagawa brachten die Angelegenheit der Atomwaffen 2006 erneut aufs Tapet, als Aso Mitglied in Abes Regierung war und Nakagawa den Vorsitz im Policy Research Council der LDP innehatte. Abe weigerte sich Asos und Nakagawas Äußerungen über Nuklearwaffen zurückzuweisen.

Aber die LDP ist nicht der einzige Sektor innerhalb der herrschenden japanischen Elite, der erwägt das Land von seiner sogenannten „nuklearen Allergie“ zu befreien.

Itschiro Osawa – einstmals Führer der jetzt dahingeschiedenen Liberalen Partei und derzeitiger Führer der People’s Life First Party, der drittgrößten Partei im Parlament – sagt, dass Japan den Bau von Atomwaffen in Erwägung ziehen sollte, um sich der „exzessiven Expansion“ Chinas entgegenzustellen.

Laut dem in Tokio arbeitenden Journalisten Hiusane Masaki „ …wird jetzt offen diskutiert, und zwar nicht nur von der Rechten sondern sogar vom Mainstream, was lange als Tabu-Sachverhalt nach dem 2. Weltkrieg angesehen worden war“.

1970 unterzeichnete Japan den Atomwaffensperrvertrag (NPT-Non Proliferation Treaty) und im darauf folgenden Jahr übernahm das Parlament drei „nicht-nukleare Prinzipien“: keine Nuklearwaffen zu bauen, zu besitzen oder stationieren zu lassen. Japan verfügt zurzeit über ausreichend Plutonium zum Bau von ungefähr 700 nuklearen Sprengköpfen und darüber hinaus über die ballistischen Trägersysteme für deren Einsatz. Die meisten Experten schätzen, dass der Bau einer Bombe ungefähr ein Jahr benötigen würde.

Die japanische Rechte führt im Moment auch einen Krieg gegen das, was sie „landesverräterische Geschichtsschreibung“ nennt. Ihr gegenwärtiges Zielobjekt ist der ungemein populäre Antikriegs-Comic-Roman „Barefoot Gen“ (dt.: Barfuß durch Hiroshima), ein „Manga“ des Hiroshima-Überlebenden Nakasawa Keiji. Von dem Werk wurden Millionen Exemplare verkauft, es wurde verfilmt und es wird zu Unterrichtszwecken in japanischen Schulen eingesetzt. Barefoot Gen zeichnet ein sehr kritisches Bild des japanischen Militärs und der Eliten, die seinen Aufstieg zur Macht betrieben.

Matthew Penny, Geschichtsprofessor an der Concordia University in Montreal und Experte in Sachen japanischer Nationalismus schrieb in Japan Focus, „ die an einer Salami-Taktik bei der Reduzierung der japanischen Anti-Kriegs-Normen Interessierten… drängen jetzt darauf, das Buch aus den Klassenzimmern zu entfernen.“

Die Rechte hat, so Penny, eine Organisation geschaffen, die sich „Vereinigung von Atombombenopfern für Frieden und Sicherheit“ ( Association of Atomic Bomb Victims for Peace and Security ) nennt, die aber offenbar keine tatsächlichen Opfer unter ihren Mitgliedern zählt. Ihre Sprecher sind zwei Rechtsaußen, Tamogami Toschiro und Kusaka Kimindo, die beide das Massaker von Nanking leugnen und „eine nukleare Bewaffnung Japans zusammen mit einer Ausweitung seiner konventionellen militärischen Kapazitäten fordern“.

Dieses ganze nukleare Gerede kommt zu einer Zeit hoch, in der Japan im Streit liegt mit China über die Senkaku/Diaojus, mit Süd-Korea über die Dokdo/Takeschimas und mit Russland über die südlichen Kurilen, auch wenn die Situation bei jeder Inselkette unterschiedlich gelagert ist. Gegenwärtig kontrolliert Japan die Senkaku/Diaojus, während Süd-Korea und Russland die anderen umstrittenen Inselgruppen besetzt halten.

Japans Anspruch auf die Senkakus/Diaojus ist ausgesprochen fragwürdig und geht zurück auf den chinesisch-japanischen Krieg von 1895. Die Inseln wurden zum ersten Mal beansprucht von der Ming-Dynastie im Jahr 1368, und die Qing-Dynastie (1644-1912) betrachtete die Inselkette als Teil ihrer westlichen Seegrenze. Laut dem japanischen Forscher Unryu Suganuma „gibt es keinerlei Mehrdeutigkeiten bezüglich der Diaoju-Inseln“ als Teil Chinas, „ da diese Inseln zu der Periode des Mittleren Königreichs gehörten.“ Suganuma sagt, dass die USA die Inselkette 1971 während des Kalten Krieges an Japan übertrugen „ weil sie nicht wollten, dass diese in kommunistische Hände fielen.“

Teile der Rhetorik der Rechten zielt darauf ab, die regierende Demokratische Partei vor den anstehenden Wahlen in Japan in Verlegenheit zu bringen, aber einiges geht doch über Wahlkampfgetöse hinaus und spiegelt seit langen bestehende Illusionen auf Seiten der Rechten hinsichtlich der Fähigkeiten des japanischen Militärs wider.

Kunihiko Mijake, Forschungsdirektor am Canon Global Institute, berichtete der Financial Times, dass er glaube, es würde bei der Krise nicht zum Äußersten kommen und zwar wegen der Stärke von Japans Selbstverteidigungs-Seestreitkräften und seiner US-Verbündeten. „China wird keine Gewalt anwenden, weil es verlieren würde“, sagte er.

Auch wenn es zutrifft, dass Washington geäußert hat, es werde zu Artikel 5 des US - Japanischen Sicherheitsabkommens stehen und Japan zu Hilfe kommen im Fall der Senkaku/Diaoju Inseln, so sind die USA doch neutral hinsichtlich des Besitzers der Inseln und würden sicherlich zögern, sich von Japan in eine militärische Konfrontation hineinziehen zu lassen.

Was allerdings Japan möglicherweise nicht daran hindern würde, genau dies zu versuchen.

Wenn die USA nicht mitmachen, ist Japan kein ebenbürtiger Gegner für China. Zwar verfügt Japan über mehr Kriegsschiffe ( 78 zu 48 ) aber viel weniger U-Boote ( 18 zu 71 ) und seine Luftwaffe macht nur ungefähr ein Viertel der chinesischen aus.

Die japanische Rechte beruft sich gern auf die Anfänge des Zweiten Weltkriegs, als Japan die britischen, niederländischen und amerikanischen Landstreitkräfte zerschlug und einen beträchtlichen Teil der US-Pazifikflotte in Pearl Harbor zerstörte. Aber viele dieser Siege waren eher das Resultat von geradezu unglaublicher Inkompetenz auf Seiten der Alliierten als der Überlegenheit der japanischen Samurai-Tradition.

Als Japan 1939 einen Krieg mit der UdSSR bei Khalin Gol an der Grenze zwischen der Mandschurei und der Mongolei provozierte, bezogen sie kräftige Prügel.

Auch in China selbst, wo Tokio über eine enorme Überlegenheit bei Waffen und Ausrüstung verfügte, gelang es Japan nie, die Chinesen vollständig zu besiegen, auch wenn sie Abermillionen von Soldaten und Zivilisten töteten. Am Ende, natürlich, war Japan völlig zerstört durch den Zweiten Weltkrieg, seine Wirtschaft zersstört, seine Städte durch den massiven Einsatz von Brandbomben sowie zwei Atombomben dem Erdboden gleichgemacht.

Die Rechte ist darauf erpicht, diese Erinnerungen auszulöschen und die imperiale japanischen Geschichte schönzufärben durch entsprechende Tilgungen aus seinen Geschichtsbüchern. Barefoot Gen ist nun ihr neuestes Zielobjekt.

Es sieht nicht so aus, als ob der Streit über die Inseln verschwinden wird, zum Teil deshalb, weil Japan weiterhin keine eindeutigen Signale aussendet. Sein Wirtschaftsminister sagte kürzlich, dass Tokio „ keinen Kompromiss eingehen kann“, aber laut japanischen Zeitungsberichten bereitet sichdas Land darauf vor, Chinas und Taiwans Ansprüche zur Kenntnis zu nehmen, was in der Vergangenheit stets abgelehnt worden war.

Ein sich länger hinziehender Streit könnte beide Volkswirtschaften schwer beschädigen, und dann besteht immer noch die Gefahr, in eine militärische Konfrontation zu stolpern. Der neueste Schwenk der USA in Richtung Asien – womit ein verstärkter Militärausbau einhergeht – verschärft die regionalen Spannungen, insbesondere da hier die Möglichkeit eines Zusammenstoßes von zwei atomar bewaffneten Mächten gegeben ist.

Japans größte Tragödie in der Moderne war der Triumph seines Militarismus. Aber mit dem Verblassen der Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg tauchen diejenigen Akteure wieder auf, die das Land am liebsten dazu bringen möchten, eben diesen Weg erneut einzuschlagen. Das Hinzufügen von noch mehr Atomwaffen zu einer bereits gefährlichen Situation könnte katastrophal enden. Es würde den Atomwaffensperrvertrag in Asien beenden, - Süd-Korea und Taiwan würden sich mit Gewissheit anschließen – es würde einen bereits gefährlichen Rüstungswettlauf eskalieren lassen und könnte letztlich Japan zurückwerfen auf den Moment am Morgen des 6. August, als, in den Worten von Jahn Hersey „der Atomblitz über Hiroschima aufleuchtete.“

[Übersetzung aus dem Englischen: Eckart Fooken]

* Der Journalist Conn M. Hallinan, PhD, promovierte im Fach Anthropologie an der Universität Berkeley und leitete viele Jahre die Journalistenausbildung an der University of California in Santa Cruz; heute ist er regelmäßiger Kolumnist der Zeitschrift "Foreign Policy In Focus" und Mitherausgeber der Internetzeitung "Dispatches From The Edge".

Originalartikel: Japan's Right: Going Nuke?
Quelle: Newsletter von "Portside", 16. Oktober 2012



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