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Tod am Gefängnisgalgen

Japan: Über 107 Menschen droht die Hinrichtung. Proteste in Tokio

Von Josef Oberländer *

Rund 1800 Menschen haben am Wochenende in Tokio für die Abschaffung der Todesstrafe demonstriert – für japanische Verhältnisse eine Massendemonstration. Glaubt man dagegen von der Regierung veranlaßten Meinungsumfragen, dann wächst die Zustimmung für das finale Strafmaß. Abschreckung und Vergeltung werden als »Argumente« hierfür angeführt. Knapp 86 Prozent der Befragten, so die Staatskanzlei, sind dafür – vier Prozentpunkte mehr als vor gut einem Jahr. Zum Vergleich: In den USA sprechen sich etwa zwei Drittel für die Todesstrafe aus.

In den Todeszellen des ostasiatischen Inselreichs warten derzeit 107 Gefangene auf ihre Hinrichtung. Zwei wurden dieses Jahr bereits exekutiert: Kazuo Shinozawa und Hidenori Igata. Daß mit der demokratischen Justizministerin Keiko Chiba ausgerechnet ein ehemaliges Mitglied der »Parlamentarierliga gegen die Todesstrafe« deren Vollstreckung absegnete, spricht für sich. Shinozawa hat sich für den Tod von sechs Mitarbeiterinnen eines Juweliers in Utsunomiya zu verantworten. Er soll bei einem Überfall auf das Geschäft Feuer gelegt haben. Igata wurde ein Doppelmord zur Last gelegt. Er soll zudem versucht haben, zwei weitere Menschen zu töten. Ein Gnadengesuch hätte im erzkonservativen Nippon keine Chance, weil es Wählerstimmen kosten würde.

In Japan wird die Todesstrafe durch Hängen vollstreckt. Diesbezüglich kann Chiba zugutegehalten werden, daß sie in gewisser Weise dafür sorgte, daß diese Form des »legalen Lynchens« öffentlich gemacht wurde: Erstmalig erhielten Journalisten im Sommer Zugang zur Hinrichtungsstätte im Tokioter Gefängnis. Auch in den Haftanstalten Fukuoka, Hiroshima, Nagoya, Osaka, Sapporo und Sendai werden Menschen gehenkt. Als besonders unmenschlich gilt, daß zum Tode verurteilte Gefangene über ihr weiteres Schicksal nicht informiert werden. Sie sitzen in Einzelhaft und erfahren erst am Tag der Exekution von der bevorstehenden Hinrichtung. Die Familien werden lediglich über den Tod ihres Angehörigen unterrichtet.

Zu den Rednern auf der Demonstration im Tokioter Stadtteil Hibiya gehörte Toshikazu Sugaya, der nach 17 Jahren Haft freigelassen wurde. Der Kindesmord in Ashikaga, für den er verurteilt worden war, konnte ihm bei der Neuauflage des Verfahrens nicht nachgewiesen werden. »Es muß mehr Leute geben, die genau wie ich fälschlicherweise beschuldigt worden sind«, so Sugaya. »Wenn ich an sie denke, kann ich nur sagen: Die Todesstrafe muß abgeschafft werden.«

Zu den Protesten aufgerufen hatte die vor 20 Jahren gegründete Menschenrechtsorganisation »Forum 90«. Hauptredner war Yo Hemmi, einst Reporter der Nachrichtenagentur Kyodo. »Können wir es zulassen, daß jemandem ein Strick um den Hals gelegt wird, um ihn aufzuhängen?« fragte er. »Wollen wir so eine Szene unseren Kindern zumuten?«

* Aus: junge Welt, 21. Dezember 2010


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