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Treuer Handlanger des Imperiums

Als Alliierter der USA soll Japan in Asien eine Rolle wie Großbritannien in Europa spielen

Von Eiichi Kido*

Die drei japanischen Zivilisten, die am 8. April 2004 von Aufständischen im Irak als Geiseln genommen wurden, mussten nach ihrer Freilassung gegen ihren Willen handeln. Statt als NGO-Aktivist oder Journalist in Bagdad bleiben zu können, wie es ihr Wunsch war, wurden sie nach Japan zurück beordert. Als sie dort am 18. April ankamen, waren sie einer schon während ihrer Gefangenschaft begonnenen Verleumdungskampagne ausgesetzt. Etliche Politiker, dazu regierungskonforme Kolumnisten und Fernsehkommentatoren denunzierten die Geiseln samt ihren Familien als "Landesverräter" und "Nestbeschmutzer".

Bekanntlich hatten die Kidnapper damit gedroht, die Japaner umzubringen, sollte Premier Junichiro Koizumi seinen Truppen im Irak nicht innerhalb von drei Tagen den Rückzugsbefehl erteilen. Die Regierung weigerte sich kategorisch, darauf einzugehen, zugleich warf sie den Geiseln Mangel an "Eigenverantwortung" vor. Deren Angehörige hätten durch die Kritik an der offiziellen Irak-Politik Japans "eine Überheblichkeit erkennen lassen", die man nur verurteilen könne. Einige Zeitungen unterstellten gar, das Drama sei von den Entführten möglicherweise selbst inszeniert worden. Die Eltern der Geiseln sahen sich mit Anrufen und Faxen terrorisiert: "Es soll sterben, wer obrigkeitsfeindlich ist".

Ein symptomatischer Vorgang? Nach dem Fall von Bagdad am 9. April 2003 hatte das japanische Oberhaus zunächst ein Sondergesetz zur "Unterstützung des Wiederaufbaus im Irak" verabschiedet. Auf der Madrider Geberkonferenz erklärte die Regierung Koizumi am 23. Oktober 2003 ihre Bereitschaft, fünf Milliarden Dollar an Hilfsgeldern fließen zu lassen. Am 26. Januar 2004 fiel in Tokio die Entscheidung über die Entsendung eines eigenen Truppenkontingents. Es diene den nationalen Interessen Japans, auch militärisch die Ressourcen des Mittleren Ostens fest in der Hand zu halten, wurde das Engagement begründet. Das entsprach dem Wunsch der Regierung Bush, die Japan wiederholt einen eigenen Beitrag "bei der Sicherung einer globalen Marktwirtschaft" nahegelegt hatte. Japanische Unternehmen sekundierten, indem sie "eine japanische Militärmacht" forderten, die in der Lage sein müsse, den privilegierten Status des Landes in einer globalen Ökonomie zu behaupten.

Seit dem Amtsantritt im April 2001 folgt Premierminister Koizumi einem solchen Ansinnen mit Ausdauer und Durchsetzungsvermögen. Um "Strukturreformen" abzufedern, die mit Sozialabbau und Massenentlassungen verbunden sind, wird zudem eine stabile Gesellschaft propagiert, die im Wunsch nach dem "starken Staat" und einer Wiederbelebung der Tradition zu einem nationalistischen Konsens findet. Koizumis Axiom "Si vis pacem, para bellum" (Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor) hat Anhänger in allen Schichten.

Im Mai 2003 bewilligte das Oberhaus ein neues "Medienregulierungsgesetz", einen Monat später segnete die Kammer Gesetze für einen nationalen Notstand ab. Schließlich besuchte der Premierminister mit dem Yasukuni-Schrein wiederholt den Wallfahrtsort des japanischen Militarismus. Nicht nur ein Indiz für den derzeit gepflegten Geschichtsrevisionismus, auch eine Ehrerbietung für alle Soldaten, die ihr Leben "für das Vaterland gaben" - und möglicherweise noch geben werden. Die Regierung bereitet gerade ein neues Schulgesetz vor, das der patriotischen Erziehung absolute Priorität einräumt.

Laut Jahrbuch der Friedensforscher des Stockholmer SIPRI-Instituts liegt Japan inzwischen mit seinen Rüstungskosten auf Rang zwei in der Welt - und das trotz einer Verfassung, mit der nach dem Zusammenbruch von 1945 ein Neuanfang als Friedensstaat beschworen wurde. Gegen den Verfassungsartikel IX, den der Haager Friedenskongress im Mai 1999 wegen der strikten Ablehnung jeder Form militärischer Gewalt als Grundprinzip für eine gerechte Weltordnung voller Anerkennung zitiert hatte, wird inzwischen von der eigenen Regierung vehement verstoßen.

Es war und ist nicht zuletzt der extreme Konsumismus der japanischen Bevölkerung, der es der Regierung ermöglichte, ihren Kurs verfolgen zu können. Schon in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre war oft vom japanischen Verbraucher-Konservatismus die Rede, der sich auch von der Wirtschaftsflaute in der Neunzigern nicht beirren ließ. So kann es kaum überraschen, wenn angesichts der sozialdarwinistischen Stimmung einer weitgehend nur noch sich selbst reflektierenden Gesellschaft die heutige Lage im Irak auf Unverständnis und Desinteresse stößt. Bei der Parlamentswahl vom November 2003 blieb das Thema vollends ausgeblendet, obwohl sich eine Mehrheit der Japaner ursprünglich gegen den Irak-Krieg und eine Präsenz japanische Soldaten ausgesprochen hatte. Vor vollendete Tatsachen gestellt, will man nun aber "realpolitisch" denken, wozu die Medien ihren Beitrag nicht schuldig bleiben. Es gibt eine Vereinbarung mit der Regierung, über das eigene Militär im Irak nur harmlose Meldungen zu verbreiten.

Eindeutiger lässt sich kaum an der Seite der Vereinigten Staaten Position beziehen, die Tokio zwischenzeitlich zu verstehen geben, in Asien und im pazifischen Raum eine Rolle zu spielen, die der Großbritanniens in Europa vergleichbar ist.

* Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Staatlichen Universität von Osaka.

Aus: Freitag, 20, 7. Mai 2004



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