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Japan zieht die nationale Karte

Streit zwischen Moskau und Tokio um die südlichen Kurilen gewinnt an Schärfe

Von Josef Oberländer *

Japans Ministerpräsident Naoto Kan hat sich auf Rußland eingeschossen. Der Besuch des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew auf den südlichen Kurilen sei ein »unverzeihlicher Frevel« gewesen, sagte Kan am Montag (7. Feb.) auf der alljährlichen Kundgebung zum »Tag der Nördlichen Territorien« in Tokio. Erst im September war der Grenzstreit mit China um Fischgründe und Gasfelder im Südwesten des Inselreichs eskaliert, nachdem die japanische Küstenwache ein chinesisches Fischerboot aufgebracht und die Besatzung festgesetzt hatte. Nun macht der angeschlagene Chef der japanischen Demokraten eine neue Front im Norden auf. Ein Parteispendenskandal um Ichiro Ozawa, die graue Eminenz der Partei, droht auch Kan mit in die Tiefe zu reißen. In allergrößter Not zückt er nun die nationale Karte.

Der 7. Februar ist der Jahrestag der Unterzeichnung des Vertrags von Shimoda, mit dem 1855 erstmals die Beziehungen zwischen Rußland und Japan offiziell geregelt wurden und der Tokio die heute umstrittenen Inseln Kunashiri, Shikotan, Etorofu und Habomai zuspricht. Auch im Norden gibt es reiche Fischgründe – nicht zuletzt für die in Japan so beliebten Krebse. Bei den Bemühungen um die verlorenen Gebiete geht es Konservativen und Rechten allerdings in erster Linie darum, die Bevölkerung für Fragen der territorialen Souveränität zu sensibilisieren und ein völkisch-nationales Bewußtsein zu entwickeln. Eingeführt hatte den Gedenktag 1981 der konservative Premierminister Zenko Suzuki. Bei der Gelegenheit ging er als erster Staatschef von der Nordküste Hokkaidos aus auf »Inspektionsreise«. Inzwischen halten sämtliche Regierungsbezirke des Landes Veranstaltungen zum »Tag der Nördlichen Territorien« ab.

Die Inseln waren am Ende des Zweiten Weltkrieges von der Sowjetunion besetzt worden. Die Rückgabe der »Nördlichen Territorien« wurde von Japan während des Kalten Krieges mit zunehmender Schärfe zur Vorbedingung für normale bilaterale Beziehungen mit der UdSSR gemacht. Selbst die Kommunistische Partei Japans (KPJ) forderte sie. Bis heute konnte deshalb kein förmlicher Friedensvertrag geschlossen werden, die bilaterale Wirtschaftszusammenarbeit blieb auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion minimal. Offenbar versuchte Tokio mehrfach, Moskau die Inseln abzukaufen – ohne Erfolg. Japans extreme Rechte fordert gleich die gesamte Inselkette und Südsachalin von Rußland. An der Regierungskundgebung in Tokio nahmen rund 1500 Menschen teil. Die Kundgebung der Rechtsextremen auf der nördlichen Hauptinsel Hokkaido fiel kleiner aus.

Medwedew hatte im November als erster russischer Präsident die Inseln besucht. Kan hatte dagegen bereits bei einer Begegnung am Rande des APEC-Gipfels in Yokohama scharf protestiert. Am Freitag inspizierte der russische Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow militärische Anlagen auf Etorofu und Kunashiri. Offenbar soll die Bewaffnung der Truppen dort auf den neuesten Stand gebracht werden. Tokio wertet solche Besuche als Ausdruck der harten Haltung Moskaus in der Inselfrage. Außenminister Seiji Maehara, der am Donnerstag nach Rußland reist, hat seine politische Karriere an eine baldige Rückgabe der Inseln geknüpft. Schnelle Ergebnisse erwartet allerdings niemand. Maeharas Amtskollege Sergej Lawrow nannte Kans Euroußerungen in einer ersten Reaktion »undiplomatisch«. Den Rest wird er Maehara unter vier Augen sagen.

* Aus: junge Welt, 8. Februar 2011


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