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Japanische Märchen

Tokios Regierungspolitiker fabulieren von Konjunkturerholung. Gezielte Geldentwertung beflügelt scheinbar die Exportwirtschaft. Da hilft nur nachrechnen

Von Rainer Rupp *

Bei den Wahlen zum Oberhaus des japanischen Parlaments letztes Wochenende konnte sich die regierende LDP mit Hilfe des kleinen Koalitionspartners Komeito die absolute Mehrheit sichern. Damit sieht sich der erzkonservative Ministerpräsident Shinzo Abe in der Lage, seine als »Abenomics« bekannte, abenteuerliche Geldpolitik ungehindert weiterzubetreiben. Mit seiner Anfang 2013 begonnenen Überschwemmung der Märkte mit frisch erzeugtem Geld hatte Abe vor, die Wirtschaft zu stimulieren und über eine Lohn-Preis-Spirale eine Inflationsrate von durchschnittlich zwei Prozent zu induzieren. Sind Produktion und Konsum erst einmal angekurbelt – so der Plan – sollte in zwei Schritten bis 2015 die Mehrwertsteuer von fünf auf zehn Prozent verdoppelt werden. Damit wollte Abe das Wachstum der bereits auf über 225 Prozent der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt; BIP) angestiegenen Staatsschulden verlangsamen. Zugleich würde eine Inflationsrate von jährlich zwei Prozent in 32 Jahren den realen Wert der derzeitigen Verbindlichkeiten halbieren.

Exporte verbilligt

Der Geld-Tsunami hatte zugleich den Höhenflug des Yen gestoppt, wodurch die die Exportindustrie stimuliert wurde. Dies hat jedoch Japan nicht nur bei seinen asiatischen Konkurrenten wie Südkorea den Vorwurf der Währungsmanipulation eingebracht. Auch westliche Industrieländer wie Deutschland, deren Wachstumsmodell ebenfalls auf Exportsteigerungen beruht, beäugen die sinkenden Yen-Kurse mit Mißtrauen. Dennoch überwiegt derzeit mehrheitlich die Hoffnung, daß das Land zur neuen Lokomotive für die kränkelnde Weltwirtschaft werden könnte. Beim Treffen der G-20-Finanzminister in Rußland vergangenes Wochenende wurde Abes Geldpolitik begrüßt. Vorerst.

Enthusiastisch feiert die internationale Wirtschaftspresse dieser Tage den vermeintlichen Aufschwung. Die »international umstrittene, extrem lockere Fiskal- und Geldpolitik« Tokios trage inzwischen ganz »offenbar Früchte«, heißt es unisono. Unterschwellig wird das Beispiel sogar den zwangssparenden Europäern zur Nachahmung empfohlen, denn laut jüngstem Bericht der japanischen Regierung gewinne die Konjunktur an Schwung, die Defla­tion, also der Trend sinkender Preise, lasse allmählich nach und die Exporte seien im Juni-Vergleich zum Vorjahr um eindrucksvolle 7,4 Prozent gestiegen, von 5,64 Billionen Yen 2012 auf 6,06 Billionen (50,4 Milliarden Euro) in diesem Jahr. Japans aggressive Geldpolitik zeige »Wirkung«, lobte z.B. die Nachrichtenagentur Reuters diese Woche, stellvertretend für den Rest der Wirtschaftspresse.

Von Juni 2012 bis Juni 2013 ist der Kurs des Yen von 78,5 auf derzeit 100 zu einem US-Dollar gefallen. Ausgedrückt in der US-Währung sind daher die japanischen Exporte von 71,8 Milliarden im Juni 2012 auf 60,6 Milliarden Dollar im Juni 2013 gefallen. Das bedeutet einen Rückgang von 15,6 Prozent der japanischen Deviseneinnahmen, und um die geht es beim Export ja hauptsächlich. Die Beschränkung der Berichterstattung auf die in Yen ausgedrückte Exportsteigerung verleitet zu falschen Schlüssen. Zugleich hat sich nach jahrzehntelangen hohen Exportüberschüssen Japans der jüngste Trend wachsender Defizite mit 1,8 Milliarden Dollar im Juni weiter verschlechtert.

Spekulanten erfreut

Die Verteuerung von bis zu 25 Prozent bei Importen erklärt dann auch, daß die Preise in Japan nicht mehr so stark sinken und teilweise, z.B. für Energie, kräftig ansteigen. Die von der Geldschwemme erhoffte Lohn-Preis-Spirale ist ausgeblieben. Statt dessen sind damit neue Spekulationsblasen bei Wertanlagen, speziell bei Aktien (aktuell über 50 Prozent Kursanstieg seit Beginn des Jahres) entstanden. Davon sind bisher nur die Reichen reicher geworden, wovon die starke Zunahme der Käufe von importierten Edelsportwagen (Porsche, Ferrari, etc.) zeugt. Die Löhne haben von Abenomics nicht profitiert, im Gegenteil. Im Juni stagnierten oder sanken sie in vielen Branchen.

Zugleich treibt die durch die Währungsmanipulation hervorgerufene Inflation große Bevölkerungsgruppen in die Armut. Besonders Rentner, die bereits 25 Prozent der Bevölkerung ausmachen, sind davon betroffen. Zeichen dafür ist die rasante Zunahme der Ladendiebstähle, wobei hauptsächlich Lebensmittel entwendet werden. Laut offiziellen Statistiken hat im ersten Halbjahr 2013 die Zahl der nach derartigen Delikten Festgenommenen, die älter als 65 Jahre sind, zum ersten Mal die der Teenager deutlich übertroffen. Den Abenomics zufolge sollen die Renten weiter gekürzt werden. Wahrscheinlich sind es diese Aspekte, welche den westlichen Konzernmedien die Übertragung von Abenomics auf Europa so attraktiv erscheinen lassen.

* Aus: junge Welt, Samstag, 27. Juli 2013


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