Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kan in Bedrängnis

Japans Schattenherrscher Ozawa will den amtierenden Premier als Parteichef der Demokraten ablösen

Von Josef Oberländer *

Ichiro Ozawa (68) will ans Ruder. Jahrzehntelang hatte sich der unbeliebte Exliberaldemokrat aus dem Norden Japans damit begnügt, hinter den Kulissen zu wirken. Jetzt sieht der Herr der Schatten offenbar seine Chance, den erst seit drei Monaten amtierenden japanischen Ministerpräsidenten Naoto Kan (DPJ) zu stürzen. Wenn am 14. September der Parteichef der Demokraten neu gewählt wird, werden sie sich wohl als Rivalen gegenüberstehen. Setzt sich Ozawa durch, wären die Tage des fünften Regierungschefs in weniger als vier Jahren gezählt. Noch wird über eine Troika-Lösung spekuliert – eine gemeinsame Führung durch Ozawa, Kan und seinen glücklosen Vorgänger Yukio Hatoyama. Aber dadurch ließe sich Ozawa nicht lange von der Spitze fernhalten. Das Land steckt tief in der Krise. Während die Preise im Inland fallen, verteuert der steigende Yen japanische Exporte. Kan legte diese Woche ein weiteres milliardenschweres Konjunkturprogramm vor.

Ozawa steht weit rechts von Kan. Kein Mitglied der demokratischen Regierung besuchte am Jahrestag der Kapitulation Japans den umstrittenen Yasukuni-Schrein, in dem die Seelen zahlreicher Kriegsverbrecher angebetet werden. Ozawa gehört dagegen zu einer Gruppe von Parlamentariern, die es sich auf die Fahnen geschrieben haben, den Schrein zu ehren. Er ist nicht der einzige in seiner Partei. Rund 40 Mitglieder dieser überparteilichen Abgeordnetenvereinigung besuchten die Kultstätte am 15. August. Bereits in seinem Buch »Blaupause für ein neues Japan« (1993) hatte Ozawa mehr nationales Selbstbewußtsein gefordert. Japan müsse endlich ein »normales Land« werden – die damalige Diskussion war mit der deutschen Normalisierungsdebatte durchaus vergleichbar. Auslöser war der Streit um die Entsendung japanischer Truppen zur Unterstützung der USA im Krieg gegen Irak. Ozawa war dafür. Später kokettierte er mit einer atomaren Aufrüstung Japans.

Bis Mai vergangenen Jahres führte Ozawa die Demokratische Partei Kans, dann trat er wegen eines Parteispendenskandals zurück. Ozawas Wahlkreis­organisation Rikuzankai hatte jahrelang Spenden des Bauunternehmens Nishimatsu entgegengenommen– ganz in der Tradition des politischen Filzes, aus dem er stammt. 1969 hatte er den Sitz seines Vaters im Parlament übernommen – in Japan kein ungewöhnlicher Vorgang. Kans Amtsvorgänger Shinzo Abe, Yasuo Fukuda, Taro Aso und Hatoyama waren alle entweder Söhne oder Enkel früherer Premierminister. Kans Vater war nur ein einfacher Angestellter. Er selbst war Teil der Studentenbewegung und unterstützte in den 70er Jahren die Wahlkampagne der Frauenrechtlerin Fusae Ichikawa, die sich 1974 einen Sitz im Oberhaus erkämpfte. Ozawa machte dagegen als Ziehsohn des für seine Verbindungen zur organisierten Kriminalität bekannten Ministerpräsidenten Kakuei Tanaka Karriere. Er war unter anderem Innenminister und Generalsekretär der Liberaldemokratischen Partei (LDP). Vier seiner sechs engsten LDP-Bündnisgenossen sind inzwischen tot – Hashimoto Ryutaro, Kajiyama Seiroku, Obuchi Keizo und Okuda Keiwa. Zwei von ihnen, Hashimoto und Obuchi waren Ministerpräsidenten. Die beiden anderen noch lebenden, Watanabe Kozo und Hata Tsutomu – auch ein ehemaliger Ministerpräsident –, dürften ihm nicht mehr gefährlich werden. Ozawa, der die LDP 1993 mit 40 anderen Abgeordneten verließ, sieht nun seine Stunde gekommen. Dabei hatte Kan in den jüngsten Umfragen der großen Tageszeitungen viermal so viele Unterstützer als Ozawa.

* Aus: junge Welt, 1. September 2010


Zurück zur Japan-Seite

Zurück zur Homepage