Abes Abschied vom Pazifismus
Japans Premier strebt grundlegende Verfassungsänderung an *
Wenige Wochen
nach seinem Amtsantritt hat der
japanische Ministerpräsident
Shinzo Abe am Donnerstag vor den
Abgeordneten des Oberhauses in
Tokio Pläne für eine grundlegende Änderung der Verfassung angekündigt.
Abe machte bereits vor
der Parlamentswahl Mitte Dezember
deutlich, dass er einen
Bruch mit der Verfassung anstrebt.
Sie legt Japan auf eine pazifistische
Rolle in der Weltpolitik
fest. In der Verfassung, die 1947
in Kraft trat, heißt es, dass die japanische
Bevölkerung »für immer
dem Krieg entsagt«. Daher soll das
Land keine Land-, Luft- und Seestreitkräfte
unterhalten.
[Siehe unten im Kasten]
Der politische Hardliner Abe,
der bereits 2006 Regierungschef
war, wurde Ende 2012 erneut zum
Ministerpräsidenten gewählt. Die
von ihm geplanten Verfassungsänderungen
bedürfen nach ihrer
Bestätigung durch beide Parlamentskammern
bei einer Volksabstimmung
der Mehrheit der abgegebenen
Stimmen. Japan ist bei
den Nachbarn, insbesondere in
China und den koreanischen Staaten,
wegen seiner extrem aggressiven
und expansionistischen
Tendenzen in den vergangenen
Jahrhunderten gefürchtet.
* Aus: neues deutschland, Freitag, 01. Februar 2013
Kein Pazifist
Von Olaf Standke **
Die Verfassung seines Landes war Shinzo Abe schon immer ein Dorn im Auge. Allem voran Artikel 9, der Japan nach Jahrhunderten aggressiver, expansionistischer Politik in der Region und den Schrecken des Zweiten Weltkriegs 1946 auf eine pazifistische Rolle festlegte, weshalb das Land auch keine Land-, See- und Luftstreitkräfte unterhalten solle. Das will der Ministerpräsident nun endlich kassieren. Abe, Chef der Liberaldemokratischen Partei und ein Hardliner mit Hang zu markigen Sprüchen, hat dafür in Tokio einen konkreten Fahrplan präsentiert. Weil seine konservative LDP mit der verbündeten Komeito-Partei nur im Unterhaus über die erforderlichen Stimmen verfügt, soll als erstes die für Verfassungsänderungen festgeschriebene Mehrheit von zwei Dritteln in beiden Parlamentskammern gekippt werden.
Zugleich geht die neue Regierung daran, die »Selbstverteidigungskräfte« Nippons in eine »bewaffnete Streitmacht« zu verwandeln. Mit umgerechnet 38,7 Milliarden Euro wurde in dieser Woche der Wehretat für das Haushaltsjahr 2013/14 zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt deutlich aufgestockt - und das, obwohl Japan nach Jahren der Wachstumsschwäche und Deflation mit einem Schuldenstand von 240 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu kämpfen hat. Da passt es ins Bild, wenn Abe gegenüber Peking massiv Anspruch auf eine umstrittene Inselgruppe im Ostchinesischen Meer erhebt und sehenden Auges eine mögliche Eskalation der diplomatischen Krise in Kauf nimmt.
** Aus: neues deutschland, Freitag, 01. Februar 2013 (Kommentar)
Die japanische Verfassung von 1947:
Artikel 9
(1) In aufrichtigem Streben nach einem auf Gerechtigkeit und Ordnung gegründeten internationalen Frieden verzichtet das japanische Volk für alle Zeiten auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation und die Androhung oder Ausübung von militärischer Gewalt als ein Mittel zur Regelung internationaler Streitigkeiten.
(2) Zur Erreichung des Zwecks des Absatz 1 werden Land-, See- und Luftstreitkräfte sowie andere Kriegsmittel nicht unterhalten.
(3) Ein Kriegführungsrecht des Staates wird nicht anerkannt.
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