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Staat, Gesellschaft, Kaiserhaus

Japans "Größere Ostasiatische Gemeinsame Wohlstandssphäre"

Von Rainer Werning *

Wie zahlreiche imperialistische Mächte des Westens sah auch Japan Kolonialbesitz als eine Vorbedingung dafür an, international Ansehen zu erlangen und in die Phalanx der »erstklassigen Länder« (ittô koku) vorzustoßen. Zu diesem Zweck verkündete die Regierung in Tokio offiziell am 1. August 1940 ihr Konzept der »Greater East Asian Co-Prosperity Sphere«, der »Größeren Ostasiatischen Gemeinsamen Wohlstandssphäre«. Im September 1940 unterzeichnete Außenminister Matsuoka Yosuke schließlich den Dreier- oder Antikominternpakt mit Nazideutschland und Mussolinis Italien, gefolgt von dem Russisch-Japanischen Neutralitätspakt ein Jahr später. Japans Außenpolitik, so Matsuoka, ließe sich fortan von dem Gedanken leiten, »die Größere Ostasiatische Gemeinsame Wohlstandssphäre mit Japan, der Mandschurei und China als ihrem Kern zu errichten«.

Als vorrangiges Ziel formulierte die Erklärung vom 1. August die Schaffung des Weltfriedens im Gründergeiste Japans. Als erster Schritt in diese Richtung »dient der Aufbau einer neuen Ordnung im Größeren Ostasien, dessen Fundament die Solidarität von Japan, Mandschukuo und China ist«. Die nationale Verteidigung und Außenpolitik Japans müßten so gestaltet werden, daß das Land den neuen nationalen und internationalen Herausforderungen gemäß seiner Stärke vollauf gewachsen sei. Sämtliche internen Strukturen sollten so weit verändert und erneuert werden, daß sie sich »in Harmonie mit den fundamentalen Prinzipien der nationalen Politik befinden«. Landesweit galt es, solche ethischen Grundsätze zu verankern, »die den Dienst für den Staat über alles stellen und selbstsüchtige und materialistische Gedanken ausmerzen«. Staat, Gesellschaft und das Kaiserhaus sollten im nationalen Interesse künftig aufs engste zusammenarbeiten.

Das Konzept der »Wohlstandssphäre« zielte mithin im Inneren auf die Umgestaltung von Staat, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, um für die bevorstehenden Kriegshandlungen in der Region gewappnet zu sein. Gleichzeitig berücksichtigte es den antiimperialistischen Geist, der zahlreiche Länder Ost- und Südostasiens erfaßt und zum Widerstand gegen die westlichen Kolonialmächte getrieben hatte. Diese Bestrebungen wurden in der zentralen, vom Ideal eines panasiatischen Wohlstands geleiteten Losung »Asien den Asiaten« zum Ausdruck gebracht. Schließlich war das Konzept auch Teil der Strategie Tokios, im Westen die Allianz mit den faschistischen Regimes in Deutschland und Italien zu festigen, um: (a) in China den Rücken frei zu bekommen, wo sich Japans »Feldzug« auf Grund der Zusammenarbeit zwischen Nationalisten und Kommunisten schwieriger und zäher als ursprünglich angenommen erwies; (b) die Invasion des insularen und kontinentalen Südostasiens vorzubereiten, um sich deren Bodenschätze anzueignen (beispielsweise Öl aus Niederländisch-Ostindien und Kautschuk aus Indochina) und die eigene Kriegsindustrie auszuweiten sowie (c) dort jene europäischen Kolonialmächte (England, Frankreich und die Niederlande) zu schwächen, die mittlerweile in Europa in den Krieg hineingezogen worden waren.

Kernidee der »Größeren Ostasiatischen Gemeinsamen Wohlstandssphäre« war demnach die ökonomische und politische Zurichtung der ost- und südostasiatischen sowie pazifischen Peripherien auf das japanische Zentrum hin. In dessen Sicht wähnte man sich als Mittelpunkt, sozusagen als Krone der Schöpfung von des Kaisers Gnaden und natürlicher »Führer der asiatischen Rassen«. Um dieses Zentrum herum sollten sich – vorstellbar in konzentrischen Kreisen – unterschiedliche Länder gruppieren, aus denen Tokio die für den Unterhalt seiner Kriegsmaschinerie benötigten Ressourcen bezog – von Bodenschätzen bis hin zu »Menschenmaterial«. Zum engsten Kreis zählten das östliche China, Korea und die Insel Formosa (Taiwan), die als Reiskammern Japans dienen sollten. Aus Korea wurden Arbeiter zwangsrekrutiert, die in japanischen Bergwerken, in der Schwer- und Rüstungsindustrie sowie beim (Aus-)Bau von Straßen und Häfen eingesetzt wurden. Ein größerer Kreis umfaßte neben dem Kernland Chinas Kontinentalsüdostasien (im Westen bis einschließlich Thailand) und mit den Philippinen einen Teil des insularen Südostasien. Schließlich zählten zur Peripherie die pazifische Inselwelt (einschließlich Indonesiens und Papua-Neuguineas) und der indische Subkontinent mit Birma als Scharnier zwischen Südost- und Südasien. Aus diesen Regionen sollten jeweils strategisch wichtige Rohstoffe wie Erdöl, Kupfer, Bauxit, Kautschuk und Baumwolle bezogen werden, die sowohl zivilen wie militärischen Zwecken dienen und Japan befähigen sollten, sich gänzlich unabhängig vom Handel mit anderen Ländern zu machen und auch Embargomaßnahmen seitens des Westens zu unterlaufen. Gleichzeitig wollte sich Japan in diesen Regionen Absatzmärkte für seine Produkte und Land für Siedlungsprogramme sichern.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 15. August 2013


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