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Japans LDP-Kaste vor Machtverlust

"Erbpolitiker" glänzten mit Inkompetenz

Von Susanne Steffen, Tokio *

Den japanischen Liberalen, die ihr Land seit Jahrzehnten wie einen Erbhof regieren, droht am Sonntag (30. August) der Machtverlust. Die leeren Kassen des Staates erlauben keine teuren Wahlgeschenke mehr. Das System der Erbpolitiker versagt.

Manchmal könnte Shinjiro Koizumi einen Bodyguard gut gebrauchen. Wenn der 28-jährige Jungpolitiker Wahlkampfreden an überfüllten Pendlerbahnhöfen und vor Kaufhauseingängen hält, werden erboste Wähler schon mal rabiat. Während der smarte Politiknovize seine Vision einer ökologischen Gesellschaft anpreist, stellt sich plötzlich ein Mann neben ihn und rezitiert lautstark buddhistische Sutren. Ein Passant tritt ihm absichtlich auf die Füße. An besseren Tagen wird er einfach nur ausgebuht. »Es vergeht kein Tag ohne böse Worte«, klagt Koizumi.

Dabei hatte der Sohn von Junichiro Koizumi, des wohl beliebtesten japanischen Premiers aller Zeiten, eigentlich mit einem sicheren Sieg bei den Unterhauswahlen am 30. August gerechnet. Immerhin hat er den Wahlkreis seines Vaters geerbt, des Mannes, dem zeitweise mehr als 90 Prozent der Japaner zugetraut haben, Japan zu einem besseren, lebenswerteren Land zu machen. Statistiken zufolge haben Japans Erbpolitiker eine 80prozentige Chance auf einen Wahlsieg. Gut 20 Prozent aller Unterhaussitze sind heute fest in der Hand von Wahlkreiserben – mehr als in jedem anderen Industrieland. Abgeordnete vererben auch ihren persönlichen »Unterstützerverein«, eine über die Jahre hinweg ständig wachsende Gruppe aktiver Stimmensammler, ohne die in Japan kein Politiker auskommt. Außerdem hinterlassen Politiker ihren Erben auch ihre Spendenorganisationen mitsamt den übriggebliebenen Geldern.

Doch die fetten Zeiten für Erbpolitiker sind vorbei, glaubt Naoko Taniguchi, Politikprofessorin an der Tokioter Toyo Universität. »In der Wirtschaftskrise, wenn Leiharbeiter massenweise entlassen werden, kann sich kaum noch ein Wähler mit einem Politiker identifizieren, dem der lukrative Abgeordnetensitz quasi in die Wiege gelegt wurde«, meint Taniguchi. Außerdem hätten die prominentesten Vertreter in jüngster Zeit zu viel politische Inkompetenz und persönliche Schwächen gezeigt. Zwei der letzten drei Premiers waren Erbpolitiker, beide warfen ohne ersichtliche Gründe nach nur einem Jahr im Amt das Handtuch.

Das politische System der Nachkriegszeit hat die Erbpolitiker und mit ihnen die seit 1955 fast ununterbrochen regierende liberaldemokratische Partei (LDP) stark gemacht, meint Taniguchi. Die anfangs großen Wahlkreise, in denen mehrere Kandidaten der gleichen Partei gegeneinander antraten, führten dazu, dass die Politiker nicht auf die Hilfe ihrer Partei setzten, sondern ihre eigenen Unterstützervereine gründeten und mit viel Geld und Energie zu effizienten Wahlkampfmaschinen ausbauten, die sie wie ein Vermögensobjekt vererben.

Vor allem in ländlichen Gebieten erwarten die Mitglieder, dass ihr Politiker lukrative Staatsaufträge in ihre Region bringt. Die dicksten Aufträge bringen Politiker der Regierungspartei, die schon lange im Tokioter Machtzentrum walten. »Darum lohnt es sich für die Wähler, einen Erbpolitiker der LDP zu unterstützen«, sagt Taniguchi – egal welche politischen Ansichten er vertritt. Die LDP hat diesen Mechanismus im Laufe ihrer langjährigen Regierungszeit zur Perfektion getrieben, indem sie Posten nach der Zahl der Wahlsiege verteilt. Im Kabinett von Premier Taro Aso sind zwei Drittel der Mitglieder Erbpolitiker.

Nachdem Jahrzehnte lang Milliarden Steuergelder in Shinkansen-Schnellzugbahnhöfen für Mini-Dörfer verschleudert wurden, die Staatsverschuldung gigantische Ausmaße erreicht hat und Japans Wirtschaft wieder einmal in der Krise steckt, ist Sand ins Getriebe der LDP-Machtmaschine geraten. Der Staat muss sparen, und LDP-Politiker können ihre Wähler nicht mehr mit öffentlichen Investitionen am Heimatort zur Urne locken. »Jetzt haben die Wähler nichts mehr zu verlieren, wenn sie der Opposition ihre Stimme geben«, so Taniguchi. Umfragen zufolge liegt die Demokratische Partei Japans (DPJ) bei dieser Wahl denn auch zum ersten Mal so weit vor der LDP, das ein Machtwechsel wahrscheinlich ist.

Jungpolitiker Koizumi ist im DPJ-Wahlkampf zum Symbol für die Vetternwirtschaft der LDP avanciert. DPJ-Wahlkampfstratege Ichiro Ozawa verglich den Kampf des DPJ-Kandidaten im »Koizumi-Königreich« gar mit der Berliner Mauer, die eingerissen werden müsse. Trotz Hilfe durch die DPJ-Führung klingt der ansonsten hartgesottene Anwalt Katsuhito Yokokume aber nicht sehr siegessicher. »Ich spüre deutlich, wie stark der Markenname Koizumi in diesem Wahlkreis ist. Während Shinjiro auf gut organisierten Wahlparties auftritt, muss ich mit dem Fahrrad endlos umherfahren, um Hände zu schütteln«, sagt der 27-jährige Politikneuling. Vielleicht sind Yokokumes Zweifel berechtigt, und am Ende rettet eine Naturgewalt das Koizumi-Reich vor dem Untergang so wie einst ein göttlicher Wind (Kamikaze, sprich Taifun) Japan vor dem Überfall durch die Mongolen gerettet hat.

* Aus: Neues Deutschland, 29. August 2009


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