Jemen: Sieben Jahre nach dem Bürgerkrieg - Der Süden bleibt weitgehend sich selbst überlassen
Ein Bericht aus Aden
Nachfolgenden Bericht über die Situation in der südjemenitischen Hafenstadt Aden haben wir der Neuen Zürcher Zeitung entnommen. Wir dokumentieren daraus einige Abschnitte.
Aden - die südjemenitische Hafenstadt im Hintertreffen
Zögerlich wachsende Freizone als Magnet für
nationale und internationale Unternehmen
Von Victor Kocher
...
... Mein Freund ist ein echter, umgänglicher Adeni, der Sohn
einer Familie von Händlern und politischen
Aktivisten. «So wird das nicht endlos weitergehen»,
wettert er eben, die Zunge durch den Spaziergang
in der kühlenden Meerbrise und das erfolgreiche
Feilschen beim Fischhändler gelöst. «Was nützt uns
die Erhaltung der jemenitischen Einheit im Krieg von
1994, wenn die sogenannte Dimugratia
(Demokratie) von Präsident Saleh uns keine
Möglichkeit bietet, die Interessen des Südens in
Sanaa zu verteidigen?» Die Anklage erfolgt leichten
Herzens, und wie die erwünschte Änderung
kommen soll, bleibt offen: eine echte demokratische
Öffnung oder ein gewaltsamer Umsturz - oder eben
gar nicht. Immerhin verhehlt der junge Mann nicht,
dass er im Bürgerkrieg unter der Führung von Ali
Salem al-Beidh gegen die Nordisten gekämpft - und
verloren hat. Doch die tiefere Wahrheit ist, dass er
sich auch heute noch als Mitglied der jemenitischen
Sicherheitskräfte ausweisen kann, allerdings in
einer völlig marginalisierten Einheit. Und weil die
Dinge in Jemen immer vielschichtiger sind, als sie
erscheinen, könnten die Missstände von Aden noch
geraume Zeit weiter in sich ruhen.
... Die Briten hatten Crater seit 1839 in den 120 Jahren
ihrer Besetzung als schmuckes Geschäftszentrum
der Kronkolonie aufgebaut. Aden diente ihnen als
Bunkerstation auf halbem Weg ihrer
Schifffahrtsrouten nach Ostafrika und Indien. In
zweiter Linie förderten sie den Handelshafen für
den lokalen und regionalen Austausch. Zum Schutz
und Betrieb dieser Niederlassung importierten die
Briten Garnisonen aus Indien. Und zur Verhinderung
einer jemenitischen Bevölkerungsmehrheit, welche
eine politische Vereinigung der Hafenkolonie mit
dem Rest Jemens befördert hätte, betrieben sie die
Ansiedlung von Kadern und Geschäftsleuten aus
Indien, Afrika und anderen Erdteilen. So waren
1881 unter den 34.000 Einwohnern Adens lediglich
13.000 Araber, dafür 9.100 Somalier, 7.200 Inder
sowie je 2.000 Juden und Europäer. Das grösste
Unternehmen war seit der Einführung von
Schiffsmotoren mit flüssigem Brennstoff die
Raffinerie von Little Aden, vis-ŕ- vis der Halbinsel
Crater. Hier bildeten sich nach dem Zweiten
Weltkrieg auch jene Gewerkschaften, die den
Grundstock der politischen Militanz für den
Befreiungskrieg stellten.
An der gediegensten Strassenecke sind heute die
Geschäftssitze der Chartered Bank und von Lloyd's
Versicherungen noch gut zu erkennen, doch ihren
Platz haben jemenitische Folgeunternehmen mit
deutlich geringeren Umsätzen eingenommen. Big
Business macht man im wiedervereinigten Jemen in
der Hauptstadt Sanaa und in Taiz. Wer den Zerfall
nicht aus Schutt und Schmutz lesen will, kann ihn
sogar riechen. Die seit Jahrzehnten fällige
Generalüberholung der Abwasserversorgung ist
nun mit deutscher Hilfe im Gang, wovon offene
Gruben und Leitungen mitten im Zentrum künden.
... Vor dem Abzug der Briten im Jahr 1967
zog mit den anderen Auswanderern auch die
Judengemeinde aus, ein Teil davon nach Israel.
So litt das südjemenitische Nachfolgeregime nach
dem Erlangen der Unabhängigkeit nicht nur an
seinen ideologischen Monopolneigungen; es fehlte
ihm auch eine ganze Schicht von Kadern, welche die
Kolonialverwaltung betrieben hatten. Dazu kam im
gleichen Jahr die Schliessung des Suezkanals,
womit die Anzahl der Aden anlaufenden Schiffe -
jährlich 7.000 in den besten Zeiten - auf einen
Bruchteil schrumpfte. Die Wirtschaft musste
grundlegend neu ausgerichtet werden, das
Hauptgewicht verlegte sich von einer
Dienstleistungsgesellschaft auf landwirtschaftliche
Produktion und verarbeitende Industrie. Darauf
folgte ein Vierteljahrhundert revolutionärer oder
sozialistischer Experimente, der Nationalisierung
von Handel und Produktion und der
Arbeitsbeschaffung in nur teilweise sinnvollen
Industrieprojekten und Kollektivfarmen.
... Nordöstlich von Crater, jenseits des Flughafens von
Khormaksar, liegt ... modernes weisses Palais... Es ist der ehemalige Hauptsitz der Sozialistischen Partei Jemens, der Staatspartei
des Südens: ein Geschenk von fünf
osteuropäischen Bruderparteien aus der Mitte der
achtziger Jahre. Die Umnutzung durch die
Universität Aden erlaubt uns einen Rundgang im
Allerheiligsten des real existierenden Sozialismus
am Golf von Aden. Der Park ist ein Paradies von
Palmen, Oleandersträuchern und Bougainvilleen.
Treppen, Böden und die Wände der
Repräsentationsräume sind in elegantem
hellgrauem Marmor gehalten, die Funktionärsbüros
in lichtbraunem Holztäfer. ... Im Obergeschoss
findet sich ein Sitzungssaal für das Zentralkomitee,
der mit seinen roten Plüschsitzen, Lüstern und
Glasmalereien in den Fenstern an das
Staatsratsgebäude in Ostberlin gemahnt. Hier
setzte Präsident Ali Nasser Mohammed die
Rehabilitierung der Privatwirtschaft und die
Eröffnung des Tourismus durch, bevor er 1986 in
seinem eigenen Präventivputsch blutig gestürzt
wurde. Die Ansiedlung der Internet- und
Computerabteilung der Universität im früheren Büro
des Generalsekretärs ist zweifellos eine
Absichtserklärung.
Der Küstenstreifen vor dem Parteigebäude wird
jetzt Schritt für Schritt durch Neubauten besetzt:
Luxuswohnungen, Aparthotels und Villen für
Vermögende. Mein Freund aus Aden besteht darauf,
dass nur Leute mit engen Beziehungen zum Regime
in Sanaa Land und Bewilligungen für solche
Unternehmungen der neuen Privatwirtschaft
erhalten. Auch in Crater stechen einige renovierte
Geschäftshäuser aus den abblätternden Reihen
heraus. Mitten unter ihnen steht das Hotel
Rambow; es erinnert in zeitgenössischer
Verballhornung an das kurze Zwischenspiel des
Dichters Rimbaud, der 1880 in der kosmopolitischen
Kolonie bei einem Handelshaus für Kaffee und Felle
angelernt wurde, bevor er für einige Jahre in
Abessinien verschwand. ...
Das Verwaltungszentrum des sozialistischen Staats
und die Konzentration der Staatsbetriebe hatten
grosse Bevölkerungsteile angezogen und Heere
von Angestellten geschaffen. Diese gingen zwar
nach der Vereinigung mit dem Norden von 1990 in
die fusionierte Verwaltung über, doch verlor Aden
immer mehr an Bedeutung. Während der Präsident
anfangs noch zwei Monate in der zur
«Winterhauptstadt» beförderten Hafenkapitale
verbrachte, wurden es nach dem Sündenfall des
Bürgerkriegs von 1994 nur noch wenige Wochen.
Trotzdem zählte 1995 die Bevölkerung Adens
wieder 560.000 Personen, konzentriert vor allem im
Expansionsviertel von Scheich Uthman, nördlich von
Khormaksar. Der Sonderstatus von Aden liegt nach
bösen Zungen heute nur noch darin, dass die
Hotels hier Alkohol ausschenken und dass die
Prostituierten des ganzen Landes sich zur Arbeit
einfinden.
... «Aden ist auf dem besten Weg, wieder unter die
grössten Welthäfen wie Rotterdam, New York und
Singapur aufzurücken», prophezeit ganz im
Gegenteil der Leiter des lokalen Freizone-Projekts,
Derham Noman. Das Ziel dieses
Regierungsunternehmens ist der Aufbau eines
modernen Container-Umschlaghafens, flankiert
durch eine grosszügige Industriezone entlang der
Adener Küste, wo sich dank Sondergesetzen für
Kapitalsicherheit und leichtere Besteuerung
nationale und internationale Unternehmen
ansiedeln sollen. Noman räumt ein, dass die Not der
Schaffung von Arbeitsplätzen dem Projekt mit Pate
gestanden hat; er sieht allein im Bereich des
ausgebauten Hafens, der Lagerhäuser und des
sogenannten Cargo Village viele Tausende von
Arbeitsstellen. Dazu kämen die Fabriken, ein massiv
vergrössertes Geschäftsvolumen, Reiseverkehr,
Tourismus und der ganze Schneeballeffekt der
damit verbundenen Dienstleistungen. Präsident
Saleh hat schon 1993 die entsprechenden Gesetze
erlassen, die Regierung hat das Gelände
zugeeignet, und bis Mitte 2001 soll die Infrastruktur
eines ersten Industriegeländes von 70 Hektaren
fertiggestellt sein. Noman macht per Ende 2000
insgesamt 410 Millionen Dollar an zugesicherten
Fremdinvestitionen in der Freizone geltend, was zur
Einrichtung von rund 12.000 neuen Arbeitsplätzen
führte.
Der Grundgedanke ist bestechend: Aden liegt nach
wie vor nur 20 Kilometer abseits der strategischen
Schifffahrtsroute durch den Suezkanal. Die
Super-Containerschiffe machen zwecks
Zeitersparnis in jedem Kontinent nur noch einmal
Halt, und wenn man ihnen ein leistungsfähiges und
preisgünstiges Verteilzentrum so direkt am Weg
anbietet, so müssen sie Aden vor allen anderen
Konkurrenzanlagen den Vorzug geben. Damit
könnte Aden den etablierten Grosshäfen wie Jebel
Ali in Dubai, Djibouti oder Mombasa den Rang
ablaufen und überdies als Knotenpunkt der
regionalen Zulieferschiffe dienen. Das setzt
allerdings einen guten Ruf in Schifffahrtskreisen
voraus, was für ein notorisch instabiles Land wie
Jemen nicht selbstverständlich ist.
... Die Anlage, die zwei grosse
oder vier mittlere Containerschiffe zugleich
bedienen kann, wurde von einer Privatfirma
aufgebaut und wird von ihr betrieben. Sechzig
Prozent des Aktienkapitals, und mithin die
Verfügungsgewalt, liegt in Händen der
Hafengesellschaft von Singapur. Entsprechend
betritt man hier eine völlig andere Welt von
peinlicher Sauberkeit, Pünktlichkeit und Effizienz, in
der das zersetzende jemenitische Chaos keinen
Raum hat. Sogar ein Abgesandter des Vorsitzenden
der Freizone muss sich hier kujonieren lassen, weil
er die Zutrittsformalitäten nicht respektiert hat. Im
März 1999 begann der Betrieb, und im letzten Jahr
wurden hier 250.000 Container umgeladen; für
2001 rechnet Noman mit 500.000. Drei Viertel
davon sind nur im Transit. Neun internationale
Schifffahrtslinien legen hier wöchentlich an, das
bedeutet jeden Tag ein bis zwei Schiffe. Rotterdam
oder Hongkong bedienen vergleichsweise sechs bis
acht Grossfrachter täglich. Eine Verdoppelung der
Anlegestellen und Ladekapazitäten ist in Aden
geplant.
...
Aus: Neue Zürcher Zeitung, 14. Mai 2001
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