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Fracht aus Jemen nach Bombenfunden auf Eis

Bundesverkehrsminister lässt Beförderung von Gütern stoppen / Sprengsätze sollten in USA gehen

Der Fund von zwei Paketbomben aus Jemen mit Zielort USA hat die Sicherheitsbehörden weltweit in Alarmbereitschaft versetzt. Nach Großbritannien und Frankreich stoppte auch die Bundesregierung alle Frachtflüge aus Jemen. Die USA erklärten am Sonntag (31. Okt.), dass die Paketbomben im Zusammenhang mit dem vereitelten Bombenanschlag auf ein US-Flugzeug zu Weihnachten 2009 stünden.

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer sagte am Wochenende in Berlin, das Luftfahrtbundesamt werde alle Luftfahrtunternehmen, Expressdienstleister und andere Transportunternehmen anweisen, keine Fracht aus Jemen mehr zu befördern. Die Unternehmen seien verpflichtet, alle Fracht aus dem Land umfassend zu kontrollieren. Wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière im MDR einräumte, seien Frachtflüge bislang vergleichsweise wenig kontrolliert worden. Schwachstellen würden jetzt analysiert und beseitigt. Zuvor hatte de Maizière seine für Sonntag geplante Nahost-Reise wegen der Ereignisse abgesagt.

In der Nacht zum Freitag (29.Okt.) waren in Frachtmaschinen auf dem mittelenglischen Flughafen East Midlands und in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) aus Jemen abgeschickte Pakete mit funktionsfähigen Sprengsätzen entdeckt worden. Eines der an jüdische Einrichtungen im Raum Chicago adressierten Pakete war nach offiziellen Angaben auf dem Kölner Flughafen umgeladen worden. De Maizière sagte, das Bundeskriminalamt habe Hinweise, die es von einem »befreundeten« Geheimdienst erhalten habe, an die britischen Behörden weitergegeben.

Unterdessen erhärtete sich der Verdacht, dass die Paketbomben im Zusammenhang mit dem vereitelten Anschlag auf eine US-Passagiermaschine in Detroit stehen. Die Sprengsätze seien vom selben Bombenbauer zusammengesetzt worden, der auch die Bombe gebaut habe, die der Nigerianer Umar Farouk Abdulmutallab zu Weihnachten vergangenen Jahres habe zünden wollen, sagte der Anti-Terror-Berater von US-Präsident Barack Obama, John Brennan, am Sonntag dem US-amerikanischen Fernsehsender ABC. Brennan wollte den möglichen Bombenbauer nicht namentlich nennen. Der »Washington Post« sowie dem britischen »Sunday Telegraph« zufolge ist jedoch der in Jemen lebende Saudi-Araber Ibrahim Hassan el Asiri erneut ins Visier geraten. Der 28-Jährige soll den Sprengsatz für den gescheiterten Weihnachts-Anschlag hergestellt haben.

Bei dem Paket in Dubai bestand der Sprengsatz nach Angaben der Behörden aus hochexplosivem PETN und war in der Tintenkartusche eines Druckers versteckt. Laut »New York Times« war dies auch bei dem in Großbritannien entdeckten Sprengsatz der Fall.

Aus Kreisen der katarischen Fluggesellschaft Qatar Airways verlautete, dass eines der aus Jemen versandten Sprengstoffpakete zwischenzeitlich an Bord einer Passagiermaschine unterwegs gewesen sei. Das Unternehmen hatte zuvor offiziell bestätigt, dass eines ihrer Flugzeuge das Päckchen von der jemenitischen Hauptstadt Sanaa über Doha nach Dubai gebracht habe.

Nach dem Fund der Paketbomben verschärften die jemenitischen Behörden ihre Kontrollen und nahmen nach eigenen Angaben eine Verdächtige sowie deren Mutter fest. Auf einem Paketschein sei die Handynummer der jungen Frau entdeckt worden, erklärte das Verteidigungsministerium in Sanaa. Zuvor hatten die Behörden bereits Mitarbeiter von Luftfrachtgesellschaften und der Frachtabteilung des internationalen Flughafens Sanaa festgenommen. 26 verdächtige Pakete wurden untersucht. In Sanaa demonstrierten am Sonntag etwa 500 Studenten für die Freilassung der festgenommenen jungen Frau, da diese unschuldig sei. Auch die jemenitische Menschenrechtsgruppe Hood äußerte Zweifel an ihrer Schuld.

* Aus: Neues Deutschland, 1. November 2010


Der "Freundeskreis" setzt auf das Militär

Jemen gilt als Hort der arabischen Al Qaida / Westen unterstützt "Anti-Terror-Kampf" statt Bevölkerung

Von Karin Leukefeld, Damaskus **


Der Fund von zwei Sprengstoffpaketen auf den Flughäfen in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) und Nottingham (Großbritannien) am Freitag (29. Okt.) hat einen weltweiten Sicherheitsalarm ausgelöst.

Die beiden Pakete sollen an jüdische Gemeinden in Chicago (USA) adressiert gewesen sein und wurden laut Sicherheitskreisen in Büros der Frachtfirmen UPS und Fed-Ex in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa abgeschickt. Die beiden Büros wurden umgehend nach dem Fund von der jemenitischen Polizei geschlossen und »wimmelten« von Mitarbeitern verschiedener jemenitischer und anderer Sicherheitsdienste, wie der »Yemen Observer« schrieb. Jemenitische Behörden beschlagnahmten weitere 26 Pakete in den Büros der Transportfirmen und luden die Mitarbeiter zur Befragung vor.

US-Präsident Barack Obama ging ebenso wie die britische Innenministerin Theresa May davon aus, dass die Sprengstoffpakete das Werk der Al Qaida auf der arabischen Halbinsel seien. Er bedankte sich beim saudischen Geheimdienst, der die USA vor »mindestens 15 Sprengstoffpaketen« gewarnt hatte.

In Sanaa wurden noch am Samstagabend (30.Okt.) eine Medizinstudentin und ihre Mutter von Sondereinheiten verhaftet. Die Studentin soll beide Pakete aufgegeben und bei den Firmen ihre Telefonnummer hinterlassen haben. Der Anwalt der jungen Frau bezeichnete sie als »ruhige Studentin«, die keinen Kontakt zu religiösen oder extremistischen Gruppen habe. Der Sprengstoff war in Druckerkartuschen versteckt, die mit den Paketen verschickt worden waren. Der jemenitische Präsident Ali Abdullah Saleh bestätigte die Festnahme der beiden Frauen und teilte mit, er habe mit dem britischen Premierminister David Cameron telefonisch die Bildung einer jemenitisch-britischen Kommission vereinbart, die die Herkunft der Sprengstoffpakete untersuchen solle. Jemen werde Al Qaida »jagen«, so Saleh. Da man das selber könne, verbitte man sich ausländische Einmischung.

Die »Al Qaida auf der arabischen Halbinsel« gilt seit Anfang des Jahres als die gefährlichste der vielen Ableger des Terrornetzes, die westliche Geheimdienste ausgemacht haben wollen. Ihre Basis soll in Jemen sein. Um Jemen im Kampf gegen Al Qaida zu unterstützen, wurde Anfang des Jahres in London ein »Freundeskreis Jemen« ins Leben gerufen, der auch arabische Staaten des Golf-Kooperationsrates angehören. Die als korrupt geltende Regierung von Präsident Saleh erhält umfangreiche finanzielle und militärische Unterstützung vor allem aus den USA. Die Bundesregierung, die eine prominente und koordinierende Funktion in dem Freundeskreis einnimmt, stellt das Ringen um »gute Regierungsführung« in den Vordergrund der Unterstützung.

Beim »Anti-Terror-Kampf« in Jemen geraten auch Journalisten und Oppositionelle ins Visier der Regierung, die in einem Bericht von Amnesty International (August 2010) scharf dafür kritisiert wurde. Zwischen die Fronten gerät auch die ländliche Zivilbevölkerung, mehr als 200 000 Inlandsvertriebene werden von UN-Hilfsorganisationen versorgt. Die rapide wachsende Bevölkerung ist völlig verarmt. Die Wasserressourcen verringern sich dramatisch, die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist völlig unzureichend, nur etwa drei Prozent des Bodens können bewirtschaftet werden.

Während die westliche Welt die Regierung Jemens mit Milliarden US-Dollar schweren Militärhilfen im »Kampf gegen den Terror« unterstützt, wird kaum etwas getan, um grundlegende Bedürfnisse der Bevölkerung sicherzustellen, kritisieren Hilfsorganisationen. Einer neuen Studie zufolge, die von der Schweizer Organisation zur Überwachung von Kleinwaffen erstellt wurde, sterben allein 4000 Menschen in Jemen jedes Jahr bei bewaffnetem Streit um Boden und Wasser.

** Aus: Neues Deutschland, 1. November 2010


Negativbeispiel Jemen

Von Martin Ling ***

An mangelnder »Prävention« kann es kaum gelegen haben. Seit rund zwei Jahren haben die USA in Jemen eine neue Front im Kampf gegen den internationalen Terrorismus aufgebaut und Agenten in das Land geschickt. 80 Milliarden US-Dollar hat Washington im vergangenen Haushaltsjahr für die Geheimdienste bereitgestellt. Das entspricht dem offiziellen Verteidigungshaushalt Chinas. Und dennoch war es mutmaßlich lediglich der Wink eines saudi-arabischen Geheimdienstlers, der den Anschlagsversuch auf zwei Frachtflugzeuge, die gen Chicago unterwegs waren, vereitelte. Die USA-Dienste waren bereits übertölpelt.

Jemen zeigt wie auch der »Krieg gegen den Terror« in Afghanistan, dass ein Konzept, das Repression zum Kerninhalt und Entwicklung bestenfalls als Staffage führt, zum Scheitern verurteilt ist. In Jemen laufen die USA ein besonders hohes Risiko: Der Staat ist ohnehin schon auf dem Wege der Auflösung. Der Norden wird trotz Waffenstillstandsabkommen immer wieder von bewaffneten Auseinandersetzungen destabilisiert und im Süden erstarken die sezessionistischen Tendenzen wieder. Jede Menge politischer Raum, in dem sich Terroristen entfalten können. Und topografisch bietet Jemen jede Menge schwer einseh- und einnehmbarer natürlicher Rückzugsorte.

Wer in Jemen Terror bekämpfen will, kommt um den Aufbau langfristigen Stabilität nicht herum. Das ist alles andere als einfach. Doch ohne die Grundvoraussetzung ist es unmöglich: Eine mit der Bevölkerung rückgekoppelte und dort verankerte Entwicklungsstrategie. Die fehlt, ob in Jemen, Afghanistan oder Irak. So ist das Scheitern programmiert.

*** Aus: Neues Deutschland, 1. November 2010 (Kommentar)


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