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Kein Frieden in Nordostjemen

Armee-Feldzug gegen Stamm der Houthi

Von Karin Leukefeld *

UNICEF hat die Kriegsparteien in der nordjemenitischen Provinz Saada aufgefordert, Helfern endlich Zugang zu den durch die Kämpfe vertriebenen Zivilisten zu gewähren. Die Auseinandersetzungen dauern bereits vier Wochen an.

Ein Waffenstillstand zwischen der jemenitischen Armee und Kämpfern des Houthi-Stammes in der nordwestlichen Provinz Saada am Wochenende hielt nur vier Stunden. Man habe nicht alle Kämpfer rechtzeitig von dem Waffenstillstand informieren können, erklärte ein Houthi-Sprecher. Als eine Gruppe die jemenitischen Streitkräfte angriff, sahen diese die Waffenruhe für beendet an und nahmen auch den Artilleriebeschuss von Wohnvierteln in der Altstadt der Provinzhauptstadt Saada wieder auf. Die Regierung sei nicht zu einer Verhandlungslösung bereit, kritisierte daraufhin der Houthi-Sprecher gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Die Armee wirft den Houthi das gleiche vor und beschuldigte sie, Zivilisten als Schutzschilde zu benutzen.

Fast vier Wochen nach Beginn der Militäroffensive mit dem bezeichnenden Namen »Verbrannte Erde« fordern Hilfsorganisationen in Jemen dringend mehr Schutz für die Zivilbevölkerung, die bei heftigen Bodenkämpfen und Luftangriffen zwischen die Fronten geraten ist. Das UN-Hilfswerk für Flüchtlinge (UNHCR) meldet eine stetig wachsende Zahl von Binnenflüchtlingen in der Region, deren Versorgung wegen der Kämpfe erschwert sei.

Eine große Zahl von Flüchtlingen befindet sich in Saada selbst, wo schon vor Beginn der Offensive Tausende in Lagern lebten. Jetzt ist die Stadt weitgehend abgeriegelt und wird vom Boden und aus der Luft angegriffen. Andere Flüchtlinge sind inzwischen in der Hauptstadt Sanaa, 300 Kilometer südlich der umkämpften Provinz, berichtet Daniel Gagnon vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, das sich zusammen mit dem Roten Halbmond um die Lager kümmert.

Das größte Problem sei die Versorgung mit sauberem Wasser, das in Jemen auch ohne Krieg schon rar ist. Rund 75 000 Kinder seien direkt von den Kämpfen betroffen, erklärt das UN-Kinderhilfswerk (UNICEF). Sie seien traumatisiert und benötigten psycho-soziale Hilfe, sagte UNICEF-Mitarbeiter Nasim Ar-Rehman im Gespräch mit dem UN-Informationsnetzwerk IRIN. »Sie werden Teil der Überlebensstrategie von Familien und übernehmen Arbeiten, die nicht von Kindern gemacht werden sollten.« Etwa 55 000 Kinder im schulpflichtigen Alter seien unter den Binnenflüchtlingen. UNICEF plant, provisorische Schulen in den Lagern zu errichten.

Mehr als die Hälfte der Kinder leidet unter Atemwegs- und Hauterkrankungen. Allein in der Provinz Saada gelten 60 Prozent der Kinder als unterernährt. Eine Studie der jemenitischen Kinderschutzorganisation Seyaj (SOCP) hat ergeben, dass von 1100 untersuchten Kindern 54,3 Prozent unter Albträumen litten, nachdem sie Zeugen bewaffneter Auseinandersetzungen geworden waren. 35,3 Prozent dieser Kinder verhielten sich äußerst aggressiv gegenüber ihren Angehörigen, 22 Prozent wollten wegen Armut und schlechter Lebensverhältnisse nicht mehr zur Schule gehen und 21,6 Prozent seien Bettnässer. Diese Kriegskinder müssten dringend betreut werden, mahnt SOCP, in einer sicheren Umgebung, in der es ihnen möglich ist zu lernen.

USA-Präsident Barack Obama sicherte derweil dem jemenitischen Staatschef Ali Abdullah Saleh volle Unterstützung zu. »Die Sicherheit Jemens ist lebensnotwendig für die Sicherheit der Vereinigten Staaten«, hieß es in einem Brief, den John Brennan, Sekretär für Heimatschutz und Terrorismusbekämpfung, in Sanaa überbrachte. Deutschland hat für die Wasserversorgung der Binnenflüchtlinge 500 000 Euro zur Verfügung gestellt.

* Aus: Neues Deutschland, 9. September 2009


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