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Saleh soll zurücktreten

Proteste in Jemen und anderen arabischen Ländern reißen nicht ab *

Der Widerstand gegen Regierungen in der arabischen Welt hält an. Im Jemen rief die Opposition zu neuen Demonstrationen gegen Präsident Ali Abdallah Saleh auf, nachdem dieser einen von der Opposition vorgelegten Plan zur Lösung der Krise abgelehnt hatte. Die Demonstrationen und Sitzblockaden müßten in sämtlichen Regionen im Jemen intensiviert werden, damit Saleh nur noch der Rücktritt übrigbleibe, sagte ein Sprecher der Opposition der Nachrichtenagentur AFP. Der Präsident wies erneut die Forderung zurück, bis zum Jahresende zurückzutreten.

Im kleinen Golfstaat Bahrain fordern die Demonstranten seit drei Wochen das Ende der Herrscherdynastie von König Hamad bin Issa Al-Chalifa. Nachdem das Zentrum ihrer Proteste bisher auf dem Perlenplatz im Zentrum der Hauptstadt Manama war, zogen Tausende Demonstranten erstmals vor den Palast Al-Kudaibija, wo jeden Sonntag die Regierung zusammenkommt. Dort bezogen Sicherheitskräfte Stellung. »Das Volk fordert den Sturz des Regimes«, rief die Menge.

Auch in Algerien waren Demonstrationen geplant. In der Hauptstadt Algier verhinderten allerdings Anhänger von Präsident Bouteflika einen Protestmarsch. Rund fünfzig Regierungsanhänger besetzten am Samstag mit dem Ruf »Bouteflika ist nicht Mubarak« den zentralen Platz Al-Madania. In anderen Städten wurden die Proteste verboten.

Die Regierung Saudi-Arabiens untersagte jegliche Demonstrationen. Kundgebungen, Märsche und Sitzblockaden verstießen gegen das islamische Gesetz, die Scharia, sowie die Werte und Traditionen der saudiarabischen Gesellschaft, erklärte das Innenministerium. Die Polizei sei berechtigt, gegen »Gesetzesbrecher« vorzugehen. In den vergangenen Tagen hatte es in dem ultrakonservativen Königreich mancherorts kleinere Demonstrationen für Reformen gegeben.

In Ägypten, wo die Protestbewegung vor drei Wochen den Sturz von Präsident Hosni Mubarak erreicht hatte, stürmten Demonstranten am Freitag und am Samstag in mehreren Städten Gebäude der Staatssicherheit, der Menschenrechtsverletzungen unter Mubarak vorgeworfen werden. Die Menschen hätten Dokumente mitgenommen, bevor sie vernichtet würden, teilte ein Vertreter der Sicherheitskräfte im Kairoer Stadtteil Nasr City mit, wo rund 2500 Demonstranten ein Gebäude der Behörde stürmten. (AFP/jW)

* Aus: junge Welt, 7. März 2011


Sturm auf Staatssicherheit

Ägypter stellen Dokumente sicher / Prozess gegen Ex-Innenminister **

Erstmals seit dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak vor drei Wochen steht einer seiner früheren Minister vor Gericht. Derweil stürmen Demonstranten Gebäude der Staatssicherheit.

Unter starken Sicherheitsvorkehrungen begann am Sonnabend ein Prozess wegen des Verdachts auf Geldwäsche und Untreue gegen den ägyptischen Ex-Innenminister Habib al-Adli. Am Sonntag (6. März) übernahm General Mansur al-Issawi die Führung des Innenressorts und versprach, das Vertrauen in die Sicherheitskräfte wiederaufbauen zu wollen.

Der in eine weiße Gefängnisuniform gekleidete Adli wies die ihm zur Last gelegten Vorwürfe zu Prozessbeginn in Kairo zurück. Nach einem heftigen Wortgefecht zwischen seinen Verteidigern und den Anwälten zivilgesellschaftlicher Parteien verschob Richter El Mohammadi Kunsua den Prozess auf Anfang April. Die Anwälte des Ex-Ministers hatten zuvor mehr Zeit zur Durchsicht der Dokumente gefordert.

Vor dem von Sicherheitskräften und Panzern abgesicherten Gerichtsgebäude forderten Demonstranten die Todesstrafe für den weithin verhassten Adli, dem früher die berüchtigten Sicherheitskräfte und der Staatsapparat der inneren Sicherheit unterstanden. »Das Volk fordert die Hinrichtung des Mörders«, rief eine Gruppe aufgebrachter Demonstranten mit Blick auf das Vorgehen der Sicherheitskräfte bei den Protesten gegen Mubarak, bei denen mindestens 384 Menschen getötet wurden.

Gegen Adli wird auch wegen des Vorgehens der Sicherheitskräfte bei den Protesten ermittelt. Er wurde eine Woche nach dem Umsturz mit anderen Vertretern der Führungsriege im Zuge von Korruptionsermittlungen festgenommen. Mubarak hatte Adli noch kurz vor seinem Machtverzicht abgesetzt und durch Mahmud Wagdi ersetzt. Der seit Donnerstag amtierende neue Regierungschef Essam Scharaf ernannte nun General Issawi zum neuen Innenminister. Er kam damit einer Forderung der Demokratiebewegung nach, die eine Abkehr von Mubarak-Vertrauten fordert. Neuer Außenminister wurde Nabil al-Arabi.

Gegen das alte System gibt es weiter Widerstand in der Bevölkerung. Demonstranten stürmten am Freitag und am Sonnabend in mehreren Städten Gebäude der Staatssicherheit. Sie wollten die Vernichtung von Unterlagen der Sicherheitspolizei verhindern, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben soll.

Rund 2500 Demonstranten stürmten am Sonnabend (5. März) ein Staatssicherheitsgebäude im Kairoer Stadtteil Nasr City. Die Menschen hätten Dokumente mitgenommen, bevor sie verbrannt oder geschreddert würden, teilte ein Vertreter der Sicherheitskräfte mit. In einem Kairoer Vorort versuchten Demonstranten, ein weiteres Gebäude der Behörde für Staatssicherheit zu stürmen. Augenzeugen gaben an, sie hätten gesehen, wie Polizisten im Inneren des Hauses Dokumente verbrannten. Die Polizei habe aus dem Gebäude heraus auf die Demonstranten geschossen. Am Freitagabend waren bereits einige Demonstranten in Alexandria in das Gebäude der Staatssicherheit eingedrungen.

Für die Staatssicherheit arbeiten mindestens 100 000 Angestellte, hinzu kommt ein riesiges Netzwerk von Informanten. Eine der Hauptforderungen der Opposition ist die Auflösung der Behörde.

** Aus: Neues Deutschland, 7. März 2011


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