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Kriegszerrissenes Land

Staat im Südosten Arabiens mit schwacher Zentralgewalt

Von Karin Leukefeld *

Die USA haben zurzeit keine Pläne zur Entsendung von Soldaten nach Jemen. Dies sei absolut nicht im Gespräch, sagte ein Vertreter des US-Heimatschutzministeriums.

»Die jemenitische Regierung hat ihre Bereitschaft bekundet, Al Qaida zu bekämpfen. Sie ist bereit, unsere Unterstützung anzunehmen, und wir geben ihr, worum sie gebeten hat.« Mit diesen Worten wies der Sprecher des US-Heimatschutzministeriums, John Brennan im Sender Fox News Spekulationen über angebliche Truppenentsendungen nach Jemen zurück. Kurz zuvor hatte Jemens Außenminister Abu Bakr al-Kirbi in BBC erklärt, Jemen brauche Unterstützung bei der Ausbildung von Anti-Terroreinheiten und neue Hubschrauber, dann wäre der Kampf gegen Al Qaida kein Problem.

Im Zusammenhang mit Drohungen gegen die britische und die US- Botschaft in Jemen töteten Sondereinheiten der jemenitischen Polizei am Montag bei einer Razzia nahe Sanaa zwei mutmaßliche Terroristen. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin sagte, die deutsche Botschaft habe bislang keine Terrordrohung erhalten, der Dienstbetrieb werde fortgesetzt. Die Sicherheitsvorkehrungen seien aber verstärkt worden.

Seit mehr als zehn Jahren ist bekannt, dass Sympathie für den Kampf von Al Qaida gegen die USA in Jemen weit verbreitet ist. Im Oktober 2000 hatte ein Kommando per Boot den US-Zerstörer USS Cole im Hafen von Aden angegriffen und 17 Marinesoldaten getötet. 2008 wurden US-Einrichtungen in Sanaa attackiert, wobei vor allem lokale Mitarbeiter starben.

Vertreter der ersten Qaida-Generation, die heute eher kommentieren als agieren, kritisierten die Aktion als »gedankenlos und unreligiös«, die jungen Leute sollten erstmal den Koran richtig lesen. Wie stark und einig die neue Qaida-Generation in Jemen tatsächlich ist, ist schwer zu sagen.

In dem Land mit vielen traditionell autonom agierenden Stämmen ist die politische Gemengelage schwer zu durchschauen. Die Regierung um Präsident Ali Abdullah Saleh, der mittlerweile mehr als 30 Jahre an der Macht ist, hat eine Gefahr durch Al Qaida stets bestritten und vor nicht allzu langer Zeit Islamisten aus dem Gefängnis entlassen. Saleh und seine Regierung sehen eine »terroristische« Gefahr eher in den zwei starken Oppositionsbewegungen im Land, gegen die das Regime erbarmungslos vorgeht.

Im Nordwesten Jemens führt die Armee mit der Operation »Verbrannte Erde« Krieg gegen die Houthi-Bewegung, eine religiöse Gruppe der Zaiditen, die kulturelle Freiheiten sowie mehr soziale, wirtschaftliche und politische Partizipation für die verarmten Provinzen im Nordwesten fordert. Im Süden bekämpft Saleh eine gut organisierte Opposition, die sich von der Zentralregierung politisch und wirtschaftlich ebenfalls ausgegrenzt fühlt und inzwischen für eine (Wieder-)Loslösung und Bildung eines eigenen, unabhängigen Staates plädiert.

Beide Kriege haben mehr als 100 000 Inlandsvertriebene, viele Tote und Gefangene zur Folge gehabt, Zeitungen und Fernsehsender wurden verboten, Kritiker des Regimes wurden eingesperrt. Die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wirft der Regierung vor, ein »Klima der Angst« zu produzieren. Die Vereinten Nationen schätzen darüber hinaus die Zahl von afrikanischen Kriegsflüchtlingen, die über den Golf von Aden nach Jemen geflohen sind, auf inzwischen mehr als 140 000.

Präsident Saleh verschärft derweil den innenpolitischen Ton, verhängte über mehrere Regionen den Ausnahmezustand und warnte im Mai davor, dass Jemen wie Irak und Somalia auseinanderfallen und permanenter Kriegsschauplatz werden könnte. Der jemenitische Parlamentsabgeordnete Shawki al-Qadhi vom oppositionellen Bündnis Joint Meeting Party kritisierte die Regierung Saleh scharf. Das Parlament sei die »schwächste Institution« in Jemen, so Qadhi, bei Sicherheitsfragen werde es ausgegrenzt und übergangen. »Wir wissen nicht was im Norden in Saada geschieht, wir wissen nicht was im Süden geschieht«, sagte der Abgeordnete.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Januar 2010


Obamas neue Front?

Von Olaf Standke **

Gestern kehrte Barack Obama aus seinem Jahresendurlaub auf Hawaii zurück nach Washington. Viel Zeit zum Ausspannen blieb dem USA-Präsidenten nicht. Schuld daran hatten nicht zuletzt die Geheimdienste der Supermacht. Denn dass ein Anschlagsversuch auf einem Flug nach Detroit vereitelt werden konnte, war nicht ihr Verdienst. Im Gegenteil: Ungewöhnlich scharf kritisierte Obama Sicherheitspannen, nannte die Versäumnisse so »katastrophal« wie »inakzeptabel« und bestellte die obersten Schlapphüte für heute ins Weiße Haus. Sie sollen etwa erklären, warum gegen Umar Farouk Abdulmutallab trotz vieler Warnungen kein Flugverbot verhängt wurde. 16 Spionagebehörden Washingtons mit einem Etat von über 40 Milliarden Dollar agieren im In- und Ausland. Am bekanntesten dürfte die CIA (Central Intelligence Agency) sein, die nicht erst im Anti-Terrorkrieg der USA mit Menschenrechtsverletzungen immer wieder für Schlagzeilen sorgt. Als mächtigster und wohl auch teuerster Dienst gilt jedoch die National Security Agency (NSA), 1952 als Abhör- und Entschlüsselungsstelle für die Streitkräfte gegründet und heute mit modernster Technik und bis zu 120 000 Militärs und Zivilisten globales Auge und Ohr der USA.

So gab es auch dieses Mal ähnlich wie bei den Anschlägen vom 11. September 2001 »keinen Mangel an zusammengetragenen Informationen«, wie ein Regierungsvertreter im Nachrichtensender CNN klagte, wohl aber ein »mangelndes Vermögen, damit etwas anzufangen«. Dabei hat man nach den Attentaten vor acht Jahren extra ein Nationales Anti-Terror-Zentrum (NCTC) installiert, das die Informationen bündeln soll. Ein Geheimdienstdirektor, seit Januar 2009 Dennis Blair, koordiniert die Arbeit der Spione - aber wohl nur auf dem Papier. »Wir haben Milliarden für ein System ausgegeben, das bevorstehende Angriffe erkennen soll. Es hat wohl versagt«, urteilt das »Wall Street Journal«. Nicht zum ersten Mal wird den Geheimdiensten vorgeworfen, mehr zu konkurrieren als zu kooperieren. Deshalb will der Präsident nur vier Jahre nach ihrer letzten Reform heute erneut über grundlegende Veränderungen reden.

Aber auch das Thema Jemen wird auf der Agenda stehen, nachdem Obama Al-Qaida-Strukturen auf der Arabischen Halbinsel für den jüngsten Attentatsversuch verantwortlich gemacht hat. Man werde den verantwortlichen regionalen Ableger des Terrornetzwerks zur Rechenschaft ziehen, tönte er in Bush-Manier. Während Washingtons Botschaft in Sanaa nach Anschlagsdrohungen gestern den zweiten Tag in Folge geschlossen blieb, dementierte der Terrorismusexperte des Heimatschutzministeriums und Obama-Berater John Brennan angebliche Pläne zur Entsendung US-amerikanischer Soldaten. Man habe nicht vor, eine neue Anti-Terror-Front in Jemen zu eröffnen. Allerdings werde man die Regierung dort unterstützen: »Wir geben ihnen, worum sie gebeten haben.« Einzelheiten hat nach CIA-Vize Stephen Kappes gerade auch Pentagon-General David Petraeus bei einem Blitzbesuch mit Präsident Ali Abdullah Salih erörtert. Der Kommandeur des Central Command für Nahost und Zentralasien versprach zuvor eine Verdoppelung der Militär- und Sicherheitshilfen. Bislang erhalte das Land rund 70 Millionen Dollar pro Jahr. 2006 waren es noch elf Millionen.

Nach US-amerikanischen Medienberichten kundschaften Pentagon und CIA zugleich potenzielle Ziele für Luftschläge aus. Man wolle für den Fall vorbereitet sein, dass Präsident Obama den Befehl zum Angriff geben sollte. Übung hat man ja: Schon Mitte Dezember begannen die neuen Verbündeten eine Luft- und Bodenoffensive gegen mutmaßliche Al-Qaida-Lager. Als Heiligabend in Schabwa unter Beteiligung von US-Kampfbombern - so der Fernsehsender ABC undementiert von der Regierung - ein Häuserkomplex durch Cruise Missiles zerstört wurde, starben zwar keine Terroristenführer, wohl aber unschuldige Zivilisten.

** Aus: Neues Deutschland, 5. Januar 2010


Obama-Scanner

Von René Heilig ***

Die USA haben verschärfte Sicherheitskontrollen für Flugpassagiere angeordnet. Tiefengescannt werden vor allem Menschen aus Ländern, die auf einer Terror-Dauerliste stehen: Kuba, Iran, Sudan und Syrien. Es gehe zudem um Reisende aus Afghanistan, Algerien, aus Irak, Libanon, Libyen, Nigeria, Pakistan, Saudi-Arabien, Somalia und Jemen. Dazu werden Geheimdienst- und Militäroperationen abseits von Irak und Afghanistan geplant. Auch wenn man den unseligen Begriff vom Kampf der Kulturen noch meidet - das Böse wird verfolgt. Immer und überall. Zur Not konstruiert man den Feind - wider jede Vernunft.

Irgendwie beschleicht einen das Gefühl, der terror-irre Nigerianer, der zu Weihnachtszeiten einen Airbus über Detroit sprengen wollte, kam manchem US-Hardliner nicht nur im republikanischen Lager sehr gelegen. Auch wenn sie zur Gefahrenabwehr ungeeignet sind, können nun Bushs alte Verfolgungslisten wieder aus dem Schubfach geholt werden. Auch ohne - wie einst unter dem Texaner - die Ampel der Terrorgefahr landesweit ständig von Gelb auf Rot zu schalten. Die Volksseele folgt auch jetzt allzu willig, wenn Farmer und Familienväter auf CNN Sturm laufen gegen den Umzug von Guantanamo-Gefangenen aufs US-Festland.

So einfach ist es, Obama zu lenken. Der angeblich erste Mann im Staate hat keine Chance. Innenpolitisch schwach, muss er irgendwie Stärke zeigen - also sich an die Spitze der Terror-Abwehrfront stellen.

*** Aus: Neues Deutschland, 5. Januar 2010 (Kommentar)


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