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Nur ein Slogan

Jemens schiitische Rebellen wollen »normale Beziehungen« zu den USA. Washington zieht trotzdem sein Personal ab

Von Knut Mellenthin *

Die USA und Großbritannien haben am Mittwoch ihre Botschaften im Jemen bis auf weiteres geschlossen und das gesamte Personal nach Hause ausgeflogen. Als Begründung wurde die Verschlechterung der Sicherheitslage in den letzten Tagen angegeben. Am vorigen Freitag hatte die bewaffnete schiitische Organisation Ansarollah (»Helfer Gottes«), die in westlichen Medien meist als »Huthis« bezeichnet wird, das Parlament aufgelöst und die Regierung für abgesetzt erklärt. An ihrer Stelle wurden Übergangsinstitutionen für die nächsten zwei Jahre eingerichtet.

Die US-Vertretung hatte schon seit September 2014, als die schiitischen Streitkräfte fast ohne Widerstand der regulären Truppen die Hauptstadt Sanaa eroberten, nur noch mit stark reduziertem Personal gearbeitet. Nachdem Ansarollah im Januar wichtige Regierungsgebäude besetzte und führende Politiker unter Hausarrest stellte, hatte die US-Botschaft nur noch einen Notdienst aufrechterhalten. Nach ersten, zunächst unbestätigten Meldungen wurden am Mittwoch auch die Marines, die zum Schutz der amerikanischen Diplomaten abgestellt waren, abgezogen. Im Gegensatz dazu sollen die Kräfte, die die USA an verschiedenen, nicht genau bekannten Plätzen zur Terrorbekämpfung stationiert haben, vorerst im Jemen bleiben.

Zur schiitischen Minderheit, die hauptsächlich im Norden des Landes lebt, gehört ungefähr ein Drittel der mindestens 25 Millionen Einwohner. Aus dem Iran erhält sie politische, vermutlich auch finanzielle und militärische Unterstützung. Nachdem deren bewaffnete Einheiten im vorigen Jahr die Kontrolle über die Hauptstadt übernahmen, haben sie ihren Vormarsch nach Süden und Südosten und damit in Gebiete mit Stützpunkten von Al-Qaida und mit dieser verbündeten Stammesmilizen fortgesetzt. Offenbar ergibt sich daraus eine partielle Interessenübereinstimmung mit Washington. US-Militär und CIA haben in den letzten Wochen mehrere Drohnenangriffe durchgeführt. Die schiitischen Rebellen hatten diese in der Vergangenheit kritisiert, während sie jetzt zu deren Wiederaufnahme schwiegen.

Saleh Ali Al-Sammad, der als Nummer zwei von Ansarollah gilt, betonte am Dienstag in einer langen politischen Stellungnahme, dass seine Organisation weder gegen die diplomatische Vertretung der USA in Sanaa noch gegen deren Mitarbeiter sei, sondern lediglich die von Washington praktizierte Politik ablehne. Seit der Übernahme der Kontrolle über die Hauptstadt durch die schiitischen Rebellen im September sei nicht ein einziger ausländischer Diplomat zu Schaden gekommen. Man strebe normale Beziehungen zu den USA an. Die bei Demonstrationen von Anhängern der neuen Machthaber regelmäßig zu hörende Parole »Tod den USA!« sei nicht wörtlich zu nehmen, sondern nur ein Slogan.

Auch den entmachteten Politikern und den Oppositionsparteien reichte Sammad, wie vor ihm schon mehrmals Ansarollah-Chef Abdel-Malik Al-Huthi, die Hand zur Versöhnung und Zusammenarbeit. Die Vorgänge am Freitag seien »kein Staatsstreich« gewesen. Man wolle nicht die Kontrolle über die Staatsorgane, sondern nichts weiter als Partnerschaft.

Unter diesen Vorzeichen hat der marokkanische UN-Sondergesandte Dschamal Benomar seine seit Monaten geführten Vermittlungsbemühungen am Montag wieder aufgenommen. Nach dem Machtwechsel am Freitag war er zu Absprachen in die saudische Hauptstadt Riad geflogen, kehrte aber schon am Wochenende nach Sanaa zurück. Gerüchten zufolge soll als Kompromiss über die Wiedereinsetzung des Parlaments verhandelt werden. Die größte sunnitische Partei, die fundamentalistisch-salafistisch ausgerichtete Al-Islah, zog sich am Dienstag aus den Gesprächen mit Ansarollah zurück, weil sie von deren Politikern bedroht worden sei, soll aber inzwischen wieder an den Verhandlungstisch zurückgekehrt sein.

Dagegen beteiligen sich die Separatisten im Südjemen, die für einen eigenen Staat kämpfen, nicht an den von Benomar moderierten Verhandlungen. Stammesführer aus mehreren Verwaltungseinheiten im Süden drohten am Sonntag eine Unabhängigkeitserklärung noch in dieser Woche an, falls Ansarollah die Machtübernahme nicht rückgängig macht.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 12. Februar 2015


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