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Bürgerkrieg im Jemen

Schiitische Rebellen und meuternde Truppen auf dem Vormarsch nach Aden. USA evakuieren Stützpunkt. 142 Tote nach Anschlägen auf Moscheen

Von Knut Mellenthin *

Die USA haben am Sonnabend ihren Militärstützpunkt im Jemen »vorübergehend« evakuiert. Das bestätigte das State Department am Sonnabend. Als Grund wurde »die sich verschlechternde Sicherheitslage« im Land angegeben. Bewaffnete Fundamentalisten hatten am Freitag kurzzeitig Teile der südjemenitischen Provinzhauptstadt Al-Hawta bzw. Lahidsch überrannt, in deren Nähe sich die Luftwaffenbasis Al-Anad befindet. Dort waren seit mindestens 2012 nach übereinstimmenden, aber nicht offiziell bestätigten Berichten rund 100 Angehörige der US-Streitkräfte stationiert, unter denen sich auch Offiziere von Spezialeinheiten befanden. Neben der Ausbildung entsprechender jemenitischer Truppen soll das US-Kontingent in Al-Anad bei Drohneneinsätzen gegen Ziele im Jemen mitgewirkt haben. Offenbar befanden sich dort Anlagen der militärischen Aufklärung.

Die Mitteilung des US-Außenministeriums vom Wochenende enthält über diese geheimgehaltenen Vorgänge keine Informationen, sondern besagt nur, dass »das verbliebene Personal zeitweise aus dem Jemen umverlegt wurde«. Die USA hatten schon im Januar ihre Botschaft in der Hauptstadt Sanaa geschlossen und alle dort Beschäftigten abgezogen.

Ebenfalls am Wochenende setzten die schiitischen Rebellen und mit ihnen verbündete Teile der Streitkräfte ihren Vormarsch auf die südjemenitische Hafenstadt Aden fort, wo der im Februar gestürzte, aber immer noch international anerkannte Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi mit Unterstützung sunnitischer Parteien und Stammesführer der Region eine Gegenregierung installiert hat. Von dort aus rief er am Sonnabend zum bewaffneten Widerstand auf und kündigte an, dass bald über den Maran-Bergen im Norden »die jemenitische Flagge statt der iranischen wehen wird«.

Die Region ist die Heimat der vom Iran unterstützten schiitischen Minderheit, der ungefähr 30 Prozent der Landesbevölkerung angehören. Nachdem die jemenitische Zentralregierung jahrelang Krieg gegen die Schiiten führte, an dem sich das benachbarte Saudi-Arabien mit Luftangriffen beteiligte, befinden sich schiitische Rebellen seit September 2014 in der Offensive. Neben der Hauptstadt Sanaa beherrschen sie gegenwärtig neun der 21 Provinzen des Landes.

Wenige Stunden nach Hadis aggressiver Rede verkündeten die Rebellen eine »allgemeine Mobilmachung«. Ziel sei die Eroberung aller Stützpunkt und Gebäude, die zur Zeit von Hadis Anhängern besetzt sind. Unterstützt wird die neue Offensive der Rebellen von Truppen, die gegenüber dem 2011 entmachteten Expräsidenten Ali Abdullah Saleh loyal sind. Ihnen gehören angeblich unter anderem Spezialeinheiten an, und sie verfügen offenbar auch über einige Kampfflugzeuge, mit denen sie am Donnerstag Hadis Amtssitz in Aden angriffen.

Am Sonntag nahmen schiitische Rebellen und verbündete Truppen den Flughafen von Taiz ein, der drittgrößten Stadt des Landes. Von dort sind es nur 250 Straßenkilometer bis Aden. Taiz war in den vergangenen Wochen Schauplatz sunnitischer Massendemonstrationen gegen die Rebellen aus dem Norden.

Islamistische Terroristen sind bemüht, den Konflikt weiter zu verschärfen. Am Freitag lösten mindestens drei Selbstmordattentäter während des Mittagsgebets Explosionen in und vor zwei schiitischen Moscheen der Hauptstadt Sanaa aus. Die gemeldeten Zahlen über die Opfer der Anschläge wuchsen aufgrund der unübersichtlichen Situation in den Krankenhäusern und der vielen Schwerverletzten rasch an. Am Sonnabend hieß es, dass 142 Menschen getötet und 350 verletzt worden seien. Unter den Toten sollen der Imam einer der angegriffenen Moscheen und zwei Rebellenführer sein.

Bisher nicht in Erscheinung getretene Sprecher des hauptsächlich im Irak und in Syrien operierenden »Islamischen Staates« behaupteten im Internet, die Anschläge organisiert zu haben. Die im Jemen seit Jahren aktive Gruppe »Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel« distanzierte sich und erklärte, sie greife keine Moscheen an.

* Aus: junge Welt, Montag, 23. März 2015


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