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Arabische Liga will Krieg

Staatenorganisation beschließt Aufbau gemeinsamer Armee. Schwere Bombardements im Jemen

Von Christian Selz *

Während vor allem Saudi-Arabien den Krieg gegen schiitische Ansarollah-Rebellen im Jemen weiter ausweitet, hat die Arabische Liga am Sonntag die Bildung einer gemeinsamen Armee beschlossen. Wie Ägyptens Militärmachthaber Abdel Fattah Al-Sisi am Rande eines Treffens der Staatenorganisation in Scharm el Scheich sagte, solle die Truppe gegen »extremistische Gefahren« in der Region eingesetzt werden. Die Gründung sei »aus Verantwortung gegenüber den wachsenden Herausforderungen der arabischen Nationen« erfolgt, behauptete Al-Sisi.

Der Aufbau der gemeinsamen Streitmacht befördert die Eskalation im Konflikt mit dem Iran. Die gegenüber den USA loyalen Regime auf der arabischen Halbinsel haben in den vergangenen Jahren ihr Militär stark aufgerüstet und führen seit der vergangenen Woche mit einer Allianz aus zehn Staaten Krieg gegen den Jemen. Dort bombardierten Luftwaffenverbände unter der Führung Saudi-Arabiens am Wochenende erneut Städte im ganzen Land. Bei Angriffen in der Nacht zum Sonntag zerstörten sie die Landebahn des internationalen Flughafens der Hauptstadt Sanaa. Bei einer Attacke auf das Hauptquartier der auf seiten der Rebellen kämpfenden Republikanischen Garde wurden deren Angaben zufolge 15 Menschen getötet. In der Hafenstadt Aden forderten die Angriffe nach lokalen Medienberichten über 100 Menschenleben. Der in den Vereinigten Arabischen Emiraten ansässige Sender Al-Arabija berichtete unter Berufung auf das saudische Militär derweil, dass bei Bombardements der im Norden des Landes gelegenen Stadt Saada, die als Hochburg der Ansarollah gilt, ein Großteil der Waffenbestände der Rebellen zerstört worden sei.

Ein Ende des Kriegs ist derweil nicht abzusehen. Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil Al-Arabi, sagte bei einem Gipfeltreffen am Sonntag in Scharm el Scheich, der »Einsatz« werde bis zur Kapitulation der Rebellen fortgesetzt. Der inzwischen mit saudischer Hilfe geflohene Präsident des Jemen, Abed Rabbo Mansur Hadi, hatte die Angriffe auf sein Land selbst gefordert.

* Aus: junge Welt, Montag, 30. März 2015


Der Tod der Liga

Arabische Staaten sind mit USA auf Linie

Von Knut Mellenthin **


Die Arabische Liga hat nach einem Gipfeltreffen am Sonntag ihre Absicht bekanntgegeben, eine gemeinsame Eingreiftruppe zu bilden. Dass diese Maßnahme beschlossen werden würde, konnte man den Medien schon am Freitag entnehmen. Demokratisch, transparent oder gar überraschend geht es nicht zu bei den Treffen der Dachorganisation, die zur Zeit ohne das suspendierte Syrien 21 Mitgliedstaaten zählt. Wenn die Führer Saudi-Arabiens und Ägyptens sich einig sind, und das waren sie in diesem Fall, sind Konferenzbeschlüsse nur noch Formsache.

Praktische Bedeutung wird die nicht gerade substantiell formulierte Entscheidung vom Sonntag vermutlich in absehbarer Zeit nicht bekommen. Bisher sind weder die Zusammensetzung und die Befehlsstrukturen einer solchen Truppe noch ihr Einsatzauftrag geklärt. Die von den Medien verbreitete Angabe, dass die künftige panarabische Task Force eine Stärke von 40.000 Mann haben solle, beruht auf inoffiziellen Erzählungen ägyptischer Politiker und Militärs. Die Aussage im Kommuniqué des Treffens, dass die Beteiligung der Mitgliedstaaten an der Truppe freiwillig sei, weist auf die Meinungsverschiedenheiten und widersprüchlichen Interessen innerhalb der Liga hin. Die Vertreter des mehrheitlich schiitischen Iraks haben dem Beschluss bekanntermaßen nicht zugestimmt. Sie waren aber vermutlich nicht die einzigen Kritiker der von Saudi-Arabien und Ägypten diktierten Entscheidung, die eine deutliche Stoßrichtung gegen den Iran hat.

In formaler Hinsicht enthält schon das Abkommen über Verteidigungs- und Wirtschaftskooperation, das die damaligen sieben Mitglieder der Liga am 17. Juni 1950 unterzeichneten, die Verpflichtung zur engen militärischen Zusammenarbeit. Unter anderem sieht dieser Vertrag die Bildung von Gremien für die gemeinsame Verteidigungsplanung vor, die aber nicht stattfand. Ägyptische Vorstöße zur Bildung eines »Vereinigten Arabischen Oberkommandos« scheiterten in den frühen 1960er Jahren. Auch spätere Initiativen führten zu nichts. Eine von den Staaten der arabischen Halbinsel 1984 gegründete regionale Eingreiftruppe kam bisher nur zur Bekämpfung schiitischer Demonstrationen in Bahrain zum Einsatz.

Der Beschluss vom Sonntag hat vor diesem Hintergrund im wesentlichen symbolische Bedeutung. Er ist Ausdruck der wachsenden Bereitschaft einiger arabischer Regierungen, in Mitgliedstaaten der Liga militärisch zu intervenieren und dabei nicht nur deren Destabilisierung, sondern auch die damit verbundenen negativen Folgen für die gesamte Region zwischen dem Westen Nordafrikas und dem Mittleren Osten in Kauf zu nehmen. Von der Verteidigung der nationalen Souveränität gegen die USA und die europäischen Großmächte, die in der Anfangszeit der Liga noch beschworen wurde, ist nicht mehr die Rede. Die Strategie, die gegenwärtig von Riad und Kairo durchgesetzt wird, ist mit der Politik des Westens und Israels vollständig kompatibel.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 31. März 2015


Der große Feind Iran

Neue "Eingreiftruppe" soll Instrument gegen schiitische Rebellen und gegen Teheran sein. Doch einig sind sich die Staaten der Arabischen Liga nicht

Von Karin Leukefeld ***


Die Arabische Liga hat bei ihrem Gipfeltreffen am vergangenen Wochenende die Bildung einer gemeinsamen arabischen »Eingreiftruppe« abgesegnet. Doch nicht alle der 22 Mitgliedsstaaten sind mit der Entscheidung einverstanden, nur 14 Staatsoberhäupter waren im ägyptischen Badeort Scharm el Scheich überhaupt zugegen. Obwohl elf Themen auf der Tagesordnung standen – darunter die Konflikte zwischen Israel und den Palästinensern sowie die Lage in Syrien, Libyen und im Jemen – konzentrierte sich die Debatte der Präsidenten, Könige und Emire auf die Bildung der arabischen Streitmacht. Der ägyptische Präsident Abdel Fattah Al-Sisi brachte allerdings auch das Thema eines »nuklearwaffenfreien Mittleren Ostens« vor und forderte ein Ende der israelischen Besatzung in Palästina.

Befeuert worden war die Diskussion um die gemeinsame Armee durch das Vorpreschen von Saudi-Arabien und den Staaten des Golfkooperationsrates, die zwei Tage vor dem Gipfel mit Luftangriffen in den internen Machtkampf im Jemen eingegriffen hatten. Der amtierende Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi war von der Ansarollah-Miliz abgesetzt worden, die Hadi vorwerfen, sie von der Macht auszugrenzen. Die von ihren Gegnern und in westlichen Medien als »Huthis« bezeichneten Rebellen, die ihre Hochburgen vor allem im Nordjemen an der Grenze zu Saudi-Arabien haben, werden von Teilen der jemenitischen Armee unterstützt, die den ehemaligen Präsidenten Ali Abdullah Saleh als ihren Oberbefehlshaber ansehen. Saleh war 2012 unter dem Druck öffentlicher Proteste und nach dem Eingreifen Saudi-Arabiens abgesetzt worden. Er gehört – wie die Ansarollah – der Religionsgruppe der Zaiditen an, einer Strömung des schiitischen Islam, die es nur im Jemen gibt.

Ein Bündnis von zehn Staaten folgte – unter Führung der saudischen Luftwaffe – einem Aufruf des in Bedrängnis geratenen jemenitischen Präsidenten Hadi, der nicht nur zum Kampf gegen die »Banditen der Huthis« aufrief, sondern auch gegen den Iran. Beobachtern zufolge scheint der Einfluss des Irans allerdings weniger bedeutsam zu sein, als allgemein dargestellt. Vermutlich soll Teheran – nicht zuletzt vor dem Hintergrund seiner Rolle in Syrien – zum großen Feind der arabischen Welt aufgebaut werden. Der saudische Außenminister hat bereits mehrfach erklärt, Syrien sei »vom Iran besetzt« und müsse »befreit« werden.

Wofür oder gegen wen die neue arabische Truppe eingesetzt und von wem sie perspektivisch geführt werden soll, ist noch nicht ausgemacht. Der ägyptische Präsident Al-Sisi fordert eine arabische Koalition, um gegen die »Bedrohung der Sicherheit« in der arabischen Welt vorgehen zu können. Er sagt das vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt und Anschläge gegen ägyptische Soldaten auf der Sinai-Halbinsel und der Lage im benachbarten Libyen. Beide Staaten sind durch eine lange gemeinsame Grenze verbunden und wurden in jüngerer Vergangenheit von Milizen angegriffen, die sich der Terrororganisation »Islamischer Staat« zugehörig erklärt haben. Der ehemalige Emir von Katar schließlich sprach sich bereits 2011 für ein arabisches Eingreifen gegen die Führung in Syrien aus. Das wiederum wird von Al-Sisi strikt abgelehnt.

Die Entscheidung der Arabischen Liga muss nun umgesetzt werden, was Monate dauern kann. Zunächst sollen Experten einen Plan erstellen. Nach Vorstellung Kairos soll die Truppe 40.000 Elitesoldaten umfassen und in der ägyptischen Hauptstadt oder in der saudischen Kapitale Riad ihr Hauptquartier haben. Neben Soldaten werden auch Kampfflugzeuge und Kampfschiffe zur Verfügung gestellt. Die Frage der Führung ist ungeklärt. Ägypten verfügt über die meisten Soldaten und große militärische Erfahrung. Allerdings ist das Land auf finanzielle Hilfe der Golfstaaten und Saudi-Arabiens angewiesen, was eine Führungsrolle unwahrscheinlich erscheinen lässt.

Die 22 Staaten der Arabischen Liga werden sich auf freiwilliger Basis an der neuen Truppe beteiligen. Die Nachrichtenagentur AP wies darauf hin, dass es sich bei der Truppe letztlich um eine »sunnitisch-muslimische arabische Streitkraft« handeln werde, die sowohl gegen »schiitische Aufstände« als auch »gegen den Iran« eingesetzt werden könne. Sowohl das Sultanat Oman als auch der Irak lehnen eine Beteiligung an der neu gebildeten arabischen »Streitmacht« ab. Für die USA und die NATO ist die Entscheidung der Arabischen Liga zum Aufbau der Truppe jedoch ein Erfolg, denn sie soll in enger Abstimmung mit den westlichen Militärmächten agieren.

*** Aus: junge Welt, Dienstag, 31. März 2015


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