Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Jemen droht die Spaltung

Kompromissabkommen zwischen den Bürgerkriegsparteien hielt nur einen Tag. Abgesetzter Präsident Hadi bildet Gegenregierung in Aden

Von Knut Mellenthin *

Ein von der UNO am Freitag vermitteltes Abkommen zwischen den jemenitischen Bürgerkriegsparteien scheint bereits wieder gescheitert. Der von schiitischen Rebellen für abgesetzt erklärte Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi hat sich am Sonnabend in der südjemenitischen Hafenstadt Aden an die Spitze einer Gegenregierung gestellt. Ihn unterstützen Teile der Streitkräfte und die mächtigen Führer der sunnitischen Stämme der Region. Aden, ehemals Hauptstadt der 1990 mit dem Jemen vereinigten Volksdemokratischen Republik Südjemen, war schon am vorigen Montag von loyalen Armeeeinheiten und Stammeskriegern besetzt worden.

Hadi war es am Sonnabend gelungen, aus dem Hausarrest zu entkommen, den die Milizen der schiitischen Organisation Ansarollah Ende Januar über ihn verhängt hatten, und in seine Heimatstadt Aden zu flüchten. Mit seinem ersten dort verkündeten Erlass erklärte er alle seit dem 21. September vorigen Jahres von Ansarollah veranlassten Maßnahmen für null und nichtig. An jenem Tag hatten die überwiegend aus dem Nordjemen stammenden schiitischen Milizen fast kampflos die Kontrolle über die Hauptstadt Sanaa übernommen. Hadi erklärte zugleich, dass er nach wie vor der legitime Präsident Jemens sei, und rief die Abgeordneten des Parlaments auf, ihm nach Aden zu folgen. Ansarollah hatte das Parlament Ende Januar für aufgelöst erklärt, aber am Freitag seiner Wiedereinsetzung zugestimmt.

Die vom UN-Sonderbotschafter Jamal Benomar vermittelte Einigung scheint allerdings durch die Entwicklung am Wochenende hinfällig geworden zu sein. Die Verhandlungen wurden sofort nach dem Eintreffen Hadis in Aden abgebrochen. Das Abkommen hatte vorgesehen, dass das alte Parlament im Amt bleibt, aber sich seine Macht mit einem neu zu schaffenden Gremium, dem sogenannten »Übergangsvolksrat«, teilen muss. Diesem Rat sollten Vertreter der Schiiten und anderer bisher politisch unterrepräsentierter Bevölkerungsteile – Frauen, junge Leute und Vertreter des Südens – angehören.

Ungefähr 25 bis 30 Prozent der Jemeniten gehören zur schiitischen Strömung des Islam. Der mehrheitlich schiitische Iran unterstützt Ansarollah politisch und vermutlich auch mit Geld und Waffen. Auf der Gegenseite arbeitet das saudische Regime eng mit der traditionellen sunnitischen Elite und den Stammesführern zusammen. Die saudische Luftwaffe unterstützte in der Vergangenheit immer wieder massiv die Feldzüge der jemenitischen Streitkräfte gegen schiitische Rebellen.

Jemen ist der ärmste Staat der arabischen Halbinsel, nach manchen Schätzungen sogar der gesamten arabischen Welt. Die bescheidenen Erdöl- und Erdgas-Vorkommen liegen zu 70 Prozent im Süden, der sich jetzt abzuspalten droht, und werden voraussichtlich in wenigen Jahren erschöpft sein. Das Land ist weitgehend abhängig von Hilfszahlungen des Westens und der Weltbank. Saudi-Arabien hat offiziell seine Subventionen in Höhe von vier Milliarden Dollar jährlich eingestellt, nachdem die Milizen von Ansarollah im September 2014 in Sanaa eingezogen waren. Nach Pressemeldungen liefern die Saudis aber regelmäßig große Mengen Waffen an die sunnitischen Stämme. Wahrscheinlich werden sie auch Hadis Gegenregierung in Aden finanziell unterstützen.

Ein weiterer wichtiger Faktor im jemenitischen Bürgerkrieg sind die bewaffneten Islamisten, die im Westen unter dem Namen »Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel« (AQAP) bekannt sind. Ansarollah hat nach der Einnahme Sanaas im vorigen September seine Einheiten weiter nach Süden und Südosten vorrücken lassen, um Stützpunktgebiete der AQAP anzugreifen. In der Praxis führte das jedoch zu einem stärkeren Zusammenrücken zwischen sunnitischen Stämmen und den Fundamentalisten. AQAP hat in den letzten Wochen mehrere anscheinend kaum verteidigte Armeestützpunkte im Süden eingenommen. Ihren Kämpfern fielen dabei Panzer, Militärfahrzeuge, Luftabwehrwaffen und automatische Gewehre in die Hände.

* Aus: junge Welt, Montag, 23. Februar 2015


Zurück zur Jemen-Seite (Beiträge ab 2014)

Zur Jemen-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage