Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Parlamentswahl im Klima des Misstrauens

Ein Großteil der Jordanier fühlt sich von den Abgeordneten in Amman schlecht vertreten

Von Karin Leukefeld, Amman *

In Jordanien wird heute (20. November) ein neues Parlament gewählt. Die regierungstreuen Abgeordneten könnten auch künftig die Mehrheit in der Majlis al Nuwaab bilden.

Umfragen sind auf den Webseiten arabischer Medien beliebt. »Gibt es irgendwelche Kandidaten, die Ihrer Meinung nach Ihre Interessen im nächsten Parlament vertreten werden«, fragte die englischsprachige »Jordan Times« ihre Leserschaft einen Tag vor den Wahlen zur Abgeordnetenkammer des jordanischen Parlaments. Mit »Ja« antworteten 32 Prozent, mit »Nein« 56 Prozent, »Ist mir egal« sagten zwölf Prozent von insgesamt 336 Leserinnen und Lesern per Mausclick.

Die Stimmung vor den heutigen Wahlen in Jordanien ist gedrückt. Das stellte auch das Zentrum für Strategische Studien der Universität Jordanien nach der Befragung von 1722 Jordaniern fest. 18 Prozent waren überzeugt, dass die Wahlen »unfair« ablaufen würden. Mehr als die Hälfte bezeichnete Arbeitslosigkeit und Armut als die wichtigsten Themen, die die Bevölkerung beschäftigen. Und ein gutes Viertel der Befragten meinte, das letzte Parlament hätte sich mehr um die ökonomischen Probleme im Land kümmern müssen. Für die 110 Sitze der Abgeordnetenkammer (Majlis al Nuwaab) kandidieren nun 750 Männer und 201 Frauen. Sechs Sitze der Kammer sind für Frauen reserviert, neun für Christen und 3 Sitze für die große Minderheit der jordanischen Tscherkessen.

Die Wahlen interessierten ihn nicht, meint Ahmed, der als Taxifahrer das Brot für sich, seine Frau und vier Töchter verdient. Monatlich erhält er von dem Unternehmen, für das er arbeitet, 150 Jordanische Dinar (150 Euro). Das Gehalt liegt 40 Euro über dem festgelegten Mindestlohn und reicht, um die Miete zu bezahlen. »Dann kommen die Steuern, die Krankenversicherung, die Lebensmittel.« Ahmed seufzt. »Die Kinder müssen in die staatliche Schule gehen, eine Privatschule kann ich nicht bezahlen, obwohl sie besser wäre.« Seit Anfang 2007 seien die Preise gestiegen wie noch nie zuvor, sagt auch der Besitzer eines Ladens für Kunsthandwerk. Anfang 2008 werde zum vierten Mal seit 2003 der Benzinpreis steigen. »Wir schaffen das nur, wenn wir als Familien zusammenhalten«, erklärt der Mann und fügt dann hinzu: »Die Kriege machen das Leben überall auf der Welt teuer.«

Von den großen sozialökonomischen Problemen könnten die Kandidaten der Islamischen Aktionsfront (IAF), die der Jordanischen Muslimbruderschaft nahe steht, profitieren. Im alten Parlament war die IAF mit 17 Abgeordneten vertreten, dieses Mal hoffen sie auf mehr Sitze. Der Wahlkampf konzentrierte sich vor allem auf junge Wähler, 72 Prozent der Jordanier sind jünger als 39 Jahre. Der staatliche »Hohe Rat für die Jugend« (HCY) veranstaltete in seinen 80 Jugendzentren landesweit Diskussionen, um die Jugend für die Wahlen zu interessieren. Die Wahlen seien »nicht nur für die Alten, die Wohlhabenden und Mächtigen«, so die HCY-Koordinatorin Rose Otoum im Gespräch mit der »Jordan Times«. Die Jugendlichen hätten ihre Forderungen an das neue Parlament am Ende einer Demonstration auf Wandtafeln geschrieben, die an der Mauer des Parlaments angebracht waren. Sie trugen Armbinden und T-Shirts mit dem Schriftzug »Sharek«, was soviel heißt wie: Mach mit! Wählen darf man in Jordanien ab 18 Jahren, das Mindestalter für Abgeordnete liegt bei 30 Jahren. Die Jugendlichen fordern, das Mindestalter auf 25 Jahre zu senken. »Abgeordnete, die 60 oder 70 Jahre alt sind, haben ein anderes Verständnis von der Zukunft unsers Landes als wir«, zitierte die »Jordan Times« den 19-jährigen Studenten Mohammad aus Irbid.

Um dem großen Misstrauen an den Wahlen etwas entgegenzusetzen, hat das staatliche »Nationale Zentrum für Menschenrechte« (NCHR) Nichtregierungsorganisationen eingeladen, die Wahlen zu beobachten. Unter den 16 Organisationen, die sich gemeldet hätten, seien fünf Frauenrechtsgruppen, fünf Menschenrechtsgruppen und zwei Jugendgruppen, erläuterte der Leiter des Zentrums, Shaher Bak. Der Forderung der Islamistischen Aktionsfront nach einer unabhängigen Wahlbeobachtung hatte Ministerpräsident Marouf Bakhit eine Absage erteilt. Politische Beobachter erwarten, dass Vertreter der Beduinenstämme und von Familien, die dem Königshaus nahe stehen, die Wahl für sich entscheiden werden.

* Aus: Neues Deutschland, 20. November 2007


Zurück zur Jordanien-Seite

Zurück zur Homepage