Parlamentswahl im Klima des Misstrauens
Ein Großteil der Jordanier fühlt sich von den Abgeordneten in Amman schlecht vertreten
Von Karin Leukefeld, Amman *
In Jordanien wird heute (20. November) ein neues Parlament gewählt. Die regierungstreuen Abgeordneten könnten
auch künftig die Mehrheit in der Majlis al Nuwaab bilden.
Umfragen sind auf den Webseiten arabischer Medien beliebt. »Gibt es irgendwelche Kandidaten, die
Ihrer Meinung nach Ihre Interessen im nächsten Parlament vertreten werden«, fragte die
englischsprachige »Jordan Times« ihre Leserschaft einen Tag vor den Wahlen zur
Abgeordnetenkammer des jordanischen Parlaments. Mit »Ja« antworteten 32 Prozent, mit »Nein«
56 Prozent, »Ist mir egal« sagten zwölf Prozent von insgesamt 336 Leserinnen und Lesern per
Mausclick.
Die Stimmung vor den heutigen Wahlen in Jordanien ist gedrückt. Das stellte auch das Zentrum für
Strategische Studien der Universität Jordanien nach der Befragung von 1722 Jordaniern fest. 18
Prozent waren überzeugt, dass die Wahlen »unfair« ablaufen würden. Mehr als die Hälfte
bezeichnete Arbeitslosigkeit und Armut als die wichtigsten Themen, die die Bevölkerung
beschäftigen. Und ein gutes Viertel der Befragten meinte, das letzte Parlament hätte sich mehr um
die ökonomischen Probleme im Land kümmern müssen. Für die 110 Sitze der
Abgeordnetenkammer (Majlis al Nuwaab) kandidieren nun 750 Männer und 201 Frauen. Sechs Sitze
der Kammer sind für Frauen reserviert, neun für Christen und 3 Sitze für die große Minderheit der
jordanischen Tscherkessen.
Die Wahlen interessierten ihn nicht, meint Ahmed, der als Taxifahrer das Brot für sich, seine Frau
und vier Töchter verdient. Monatlich erhält er von dem Unternehmen, für das er arbeitet, 150
Jordanische Dinar (150 Euro). Das Gehalt liegt 40 Euro über dem festgelegten Mindestlohn und
reicht, um die Miete zu bezahlen. »Dann kommen die Steuern, die Krankenversicherung, die
Lebensmittel.« Ahmed seufzt. »Die Kinder müssen in die staatliche Schule gehen, eine Privatschule
kann ich nicht bezahlen, obwohl sie besser wäre.« Seit Anfang 2007 seien die Preise gestiegen wie
noch nie zuvor, sagt auch der Besitzer eines Ladens für Kunsthandwerk. Anfang 2008 werde zum
vierten Mal seit 2003 der Benzinpreis steigen. »Wir schaffen das nur, wenn wir als Familien
zusammenhalten«, erklärt der Mann und fügt dann hinzu: »Die Kriege machen das Leben überall auf
der Welt teuer.«
Von den großen sozialökonomischen Problemen könnten die Kandidaten der Islamischen
Aktionsfront (IAF), die der Jordanischen Muslimbruderschaft nahe steht, profitieren. Im alten
Parlament war die IAF mit 17 Abgeordneten vertreten, dieses Mal hoffen sie auf mehr Sitze. Der
Wahlkampf konzentrierte sich vor allem auf junge Wähler, 72 Prozent der Jordanier sind jünger als
39 Jahre. Der staatliche »Hohe Rat für die Jugend« (HCY) veranstaltete in seinen 80 Jugendzentren
landesweit Diskussionen, um die Jugend für die Wahlen zu interessieren. Die Wahlen seien »nicht
nur für die Alten, die Wohlhabenden und Mächtigen«, so die HCY-Koordinatorin Rose Otoum im
Gespräch mit der »Jordan Times«. Die Jugendlichen hätten ihre Forderungen an das neue
Parlament am Ende einer Demonstration auf Wandtafeln geschrieben, die an der Mauer des
Parlaments angebracht waren. Sie trugen Armbinden und T-Shirts mit dem Schriftzug »Sharek«,
was soviel heißt wie: Mach mit! Wählen darf man in Jordanien ab 18 Jahren, das Mindestalter für
Abgeordnete liegt bei 30 Jahren. Die Jugendlichen fordern, das Mindestalter auf 25 Jahre zu
senken. »Abgeordnete, die 60 oder 70 Jahre alt sind, haben ein anderes Verständnis von der
Zukunft unsers Landes als wir«, zitierte die »Jordan Times« den 19-jährigen Studenten Mohammad
aus Irbid.
Um dem großen Misstrauen an den Wahlen etwas entgegenzusetzen, hat das staatliche »Nationale
Zentrum für Menschenrechte« (NCHR) Nichtregierungsorganisationen eingeladen, die Wahlen zu
beobachten. Unter den 16 Organisationen, die sich gemeldet hätten, seien fünf
Frauenrechtsgruppen, fünf Menschenrechtsgruppen und zwei Jugendgruppen, erläuterte der Leiter
des Zentrums, Shaher Bak. Der Forderung der Islamistischen Aktionsfront nach einer unabhängigen
Wahlbeobachtung hatte Ministerpräsident Marouf Bakhit eine Absage erteilt. Politische Beobachter
erwarten, dass Vertreter der Beduinenstämme und von Familien, die dem Königshaus nahe stehen,
die Wahl für sich entscheiden werden.
* Aus: Neues Deutschland, 20. November 2007
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